Weil er als Arzt unter anderem für die ISAF arbeitete, wurde ein Afghane von den Taliban gekidnappt. Er kam frei, floh nach Deutschland – und muss nun um sein Bleiberecht fürchten.

Weinstadt - „Wir vom Freundeskreis Asyl/Verein zur Förderung von Integrationsprojekten sind entsetzt über die teilweise unlogische und oberflächliche Entscheidungspraxis bei der Ablehnung von Asylbewerbern in Asylverfahren.“ Das schreiben ehrenamtlich Aktive der Weinstädter Initiative in einer aktuellen Stellungnahme. Der Anlass für den Aufschrei derer, die versuchen, zur Integration Asylsuchender mittels Deutschkursen und sonstiger Projekte zu fördern, ist der Fall eines vor wenigen Wochen in einer Weinstädter Unterkunft angekommenen afghanischen Arztes.

 

Kared Jusufi (33, Name geändert), der ganz passabel Englisch spricht, ist nach eigenen, mit Bildern belegten Aussagen eben wegen seiner Tätigkeit als Arzt von Taliban gekidnappt und gefoltert worden. Mit einem in Bild und Ton aufgezeichneten simulierten Hinrichtungsszenario sind offenbar Angehörige zu hohen Lösegeldzahlungen gezwungen worden.

„In Afghanisten wäre er in höchstem Maße gefährdet“

Nach der Flucht aus dem Heimat über die Türkei und Griechenland ist trotz der drohenden Todesgefahr im Heimatland sein Asylantrag in kürzester Zeit und ohne Begründung abgelehnt worden. Sollte der momentane Abschiebestopp in das mit Hochburgen der Taliban durchsetzte Land am Hindukusch ausgesetzt werden, droht dem Mann, der von sich sagt, er wolle eigentlich nur als Mediziner Menschen helfen, die Abschiebung – und möglicherweise Folter und Tod.

„Seine Dokumente, Fotos und eigene Berichte beweisen, dass er in Afghanistan in höchstem Maße gefährdet war und im Fall seiner Rückkehr immer noch wäre“, sagen seine Betreuer vom Freundeskreis Asyl. Die Anhörung allerdings habe bereits in der Erstaufnahmeeinrichtung stattgefunden. Anfang Mai, kurz nachdem Jusufi in die Weinstädter Unterkunft gezogen war, sei für den Mann, der erst Ende des vergangenen Jahres in Deutschland angekommen ist, bereits der Abschiebebescheid eingegangen.

Sein Job als Arzt – unter anderem für ISAF – brachte ihn ins Visier der Taliban

Auffallend schnell und offenkundig ohne die für solche Fälle von Innenminister Thomas de Maizière versprochene intensive Einzelfallprüfung, meint die Asylbewerber-Betreuerin Barbara Mansperg zum Fall des afghanischen Arztes. Landsleute von ihm wohnten teils seit zwei Jahren in der selben Weinstädter Unterkunft, ohne auch nur einen Termin für eine Anhörung bekommen zu haben. Selbst die Originale der von Jusufi vorgelegten Dokumente seien noch irgendwo im Sigmaringer Aufnahmelager unter Verschluss.

Pikant an dem Fall des 33-jährigen Arztes ist die Tatsache, dass es wohl gerade seine ärztliche Tätigkeit für in Afghanistan tätige ausländische Organisationen war, die ihn ins Visier der Taliban gebracht hatte. Als Mediziner gearbeitet habe er, nachdem er 2009 sein siebenjähriges Studium vollendet hatte, unter anderem für kanadische und französische Organisationen. Wegen Drohungen von Talibangruppierungen sei er schon damals mehrmals in andere afghanische Provinzen umgezogen. Die letzte Arbeitsstation, bevor er gekidnappt wurde, war dann 2015 für etwa neun Monate bei der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) als Ausbilder an medizinischem Gerät.

Fingierte Hinrichtung soll die Familie zur Zahlung von Lösegeld zwingen

Eben wegen diesen Tätigkeiten für internationale Organisationen, war offenbar das ursprüngliche Vorhaben der Entführer, von diesen Geld für den Arzt zu erpressen, der schon in jenen ersten Tagen der Gefangenschaft massiv geschlagen und gegen den Kopf getreten wurde. Als dies nicht funktionierte, wurde es für Jusufi besonders schlimm. Vor laufender Kamera wurde er misshandelt, seine Hinrichtung mit an den Hals gehaltenem Messer simuliert, seine Schreie per Handyvideo an die Verwandtschaft übertragen, um diese zur Lösegeldzahlung zu veranlassen.

Dem 33-Jährigen ist noch im Gespräch in Weinstadt deutlich die Traumatisierung durch die Folter anzumerken. Eine Schwester habe ihr Haus verkauft, um ihn frei zu bekommen, berichtet er unter Tränen. Und für ihn sei – nachdem er schwer verletzt freigekommen war, klar gewesen, dass er nicht in Afghanistan bleiben könne.

Tausend Euro für die Flucht über Malta und die Türkei

Letzte Ersparnisse sind dann für die Reise draufgegangen. Umgerechnet tausend Euro für die Flucht aus Afghanistan über Malta in die Türkei. Mit falschen Papieren weiter nach Griechenland und schließlich Italien – unterbrochen durch mehrere Verhaftungen. Er sei ein Mensch, der wisse was rechtens sei und dass man Gesetze beachten muss, sagt Jusufi auch über die Wochen der Flucht. Aber ohne gefälschte Papiere und Zahlungen an Schieber hätte er die Flucht nicht überstanden.

„Wir fragen uns“, so heißt es nun in der Stellungnahme des Weinstädter Freundeskreises Asyl zu seinem Fall, „wie so entschieden werden kann, wenn ein Mensch mit hoch qualifizierter, langjähriger Ausbildung und Berufserfahrung in Verfolgungsangst die Strapazen und Gefahren einer wochenlangen Flucht auf sich genommen hat und eine Rückkehr seinen sicheren Tod bedeuten würde.“ Zwar seien die Abschiebungen momentan ausgesetzt, „aber die sogenannten Entscheider arbeiten zum Teil weiterhin ungenau und willkürlich, wie uns scheint“. Und selbstverständlich so ergänzt Rainer Bliesener vom Weinstädter Freundeskreis Asyl, werde der Freundeskreis den afghanischen Arzt bei einer Klage gegen den Ablehnungsbescheid nach Kräften unterstützen.