Edris Fakhri stand auf der Theaterbühne in Kabul, als sich ein Selbstmordattentäter im Publikum in die Luft sprengte. Im Rahmen der westlichen Militäraktion verließ er seine Heimat aus Angst vor den Taliban.

Gerlingen - Edris Fakhri schaut grimmig. Er macht vor, wie man zuhause – in Afghanistan – auf einem Foto zu schauen hat. Im nächsten Moment löst sich der Ernst aus seinem Gesicht, wenigstens ein wenig, und der 34-Jährige lächelt.

 

Es ist ein kühler Herbsttag in Gerlingen. „Ich bin kein Soldat, ich kann nicht dort sein, wo Krieg ist“, sagt der Mann. „Ich musste dorthin gehen, wo ich Kunst machen kann.“ In nüchternen, zurückhaltenden Worten fasst der Schauspieler zusammen, warum er mit seiner Familie sein Land verließ und immer noch unterwegs ist. Als er die Taliban in Kabul sah, war ihm klar, dass es für ihn, den Künstler, dort keine Zukunft geben würde. Er musste um sein Leben fürchten, denn die Taliban verachteten Kunst und Kultur.

Ringen um die Identität

Im August wurde Fakhri mit seiner Frau Zahra und den beiden Töchtern aus Kabul ausgeflogen. Anderen Familien sei die Flucht nicht gelungen, sie mussten bleiben, erzählt Niklas Schenck. Mit Unterstützung des Filmemachers und seiner Frau erhielten Fakhri und seine Familie einen Platz in einer französischen Maschine, die sie im Rahmen der westlichen Militäraktion außer Landes brachte. „Wir haben unser Land verloren“, sagt der Schauspieler und fügt an: „Der Krieg kam und die Identität ging verloren.“

Afghanistan ist seine Heimat. Er blieb deshalb auch, als er im Jahr 2014 einen Anschlag auf die Theaterpremiere des Stückes „Heartbeats – die Stille nach dem Anschlag“ im französischen Kulturzentrum von Kabul überlebte. Trotzdem machten alle Schauspieler weiter – manche flohen nach Europa und wirken seither im Exil. Andere entschlossen sich, in Kabul zu bleiben und noch mehr Risiko in Kauf zu nehmen. Edris Fakhri war wenige Monate später zurück – für ein Theaterstück auf offener Straße inmitten von Kabul. Er wollte sich einmischen, um für seine Vorstellung einer offeneren Gesellschaft einzutreten. Nun aber, nach der Machtübernahme der Taliban, sah er für sich keinen anderen Weg mehr.

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Der preisgekrönte, 2013 für den Grimmepreis nominierte Filmemacher Niklas Schenck wiederum hatte einige Zeit in Kabul gelebt. Er kehrte dann zurück, um die Geschichte des Theaterensembles, damit auch den Weg Fakhris, zurück auf die Bühne zu erzählen. „Ich wollte die vielen Geschichten festhalten“, sagt Schenck, der heute mit seiner Frau, der Filmemacherin Ronja von Wumb-Seibel, in Bayern lebt. Es entstand der Kino-Dokumentarfilm „True Warriors“. Einer der Akteure: Edris Fakhri. Seitdem sind die beiden befreundet.

Die Geflüchteten sind noch nicht angekommen

Fakhri ist nun auch in einem weiteren Film Schencks zu sehen. ln „Ankommen“ erzählen junge Männer, die aus Syrien oder Afghanistan, aus Somalia, Eritrea oder dem Irak nach Deutschland kamen. Es sei viel häufiger über sie gesprochen als mit ihnen, sagt Schenck. Das habe er mit dem Film ändern wollen.

Fakhri und seine Frau Zahra mit den beiden drei Jahre und sieben Monate alten Kindern fühlen sich nicht, als seien sie angekommen. Dafür fehlt noch die Wohnung, in der sie zuhause sein können. Sie sind dem Landkreis Ludwigsburg zugewiesen und bisweilen sind sie zu Gast in Gerlingen bei Familie Volz. Claudia Volz vom Freundeskreis Asyl hatte Niklas Schenck und seinen Film vor wenigen Tagen nach Gerlingen geholt. Schenck kam zur Filmvorführung, so entstand der Kontakt zu Fakhri. Seine Frau bewertet die Situation zurückhaltend bis skeptisch. „Wir sind noch nicht angekommen“, sagt die 27 Jahre alte, zierliche Frau. Die Sitten und Gebräuche hierzulande kennen sie nicht, sie würde sich wünschen, dass man ihnen, den Flüchtlingen, auch diese näherbrächte. Ganz zu schweigen von den Behördengängen, den Formularen, die ausgefüllt werden müssen. Claudia Volz’ Mann begleitete die Familie bisweilen dabei.

Kursleiter an der Akademie für Darstellende Kunst

Derweil ist bei dem Künstler Edris Fakhri „alles auf Pause gestellt“, wie es Schenck formuliert. Gleichwohl ist ein Ende absehbar – mit Hilfe der Martin-Roth-Initiative: Edris wird mittels eines Stipendiums für Künstler aus Krisengebieten an der Akademie für Darstellende Kunst Kurse in Theatergeschichte, Spielpraxis und Improvisation leiten. Als Gasthörer an der ADK und der Filmakademie will er selbst in den Bereichen Dramaturgie und Filmediting dazulernen.

Fremd ist ihm die lehrende Tätigkeit nicht: 2018 war er für ein Jahr lang an einem internationalen Theaterprojekt an 14 deutschen und europäischen Schauspielhäusern beteiligt. Danach ging er nach Kabul zurück, um das Gelernte an der Universität Kabul zu unterrichten.

Filmvorführung online

Martin-Roth-Initiative
Der gebürtige Gerlinger Martin Roth war ein deutscher Museumsdirektor, Kulturwissenschaftler und Kulturmanager. Er war zuletzt Direktor des Victoria and Albert Museums in London und wurde 2016 als ehrenamtlicher Präsident des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) gewählt. Er starb 2017. Zu seinen Ehren wurde nach seinem Tod die Martin-Roth-Initiative ins Leben gerufen. Sie wird als Gemeinschaftsprojekt vom ifa und dem Goethe-Institut getragen und vergibt Stipendien für temporäre Schutzaufenthalte in Deutschland oder Drittstaaten an Künstler, die sich in ihrem Heimatland für die Freiheit der Kunst, Demokratie und Menschenrechte engagieren und deswegen dort bedroht werden.

Die Akademie
 Die Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg wurde 2007 gegründet. Sie befindet sich auf dem gemeinsamen Campus mit der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Bachelor- und Masterstudiengänge im Bereich Schauspiel, Regie und Dramaturgie, die Theater und Film eng miteinander verknüpfen, sind möglich.

Online-Filmvorführung
 Der Dokumentarfilm „True Warriors“ ist am Montag, 13. Dezember, 19 Uhr, online zu sehen. In der Veranstaltung von Treffpunkt „Campus International“, VHS Ludwigsburg und Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg ist ein Gespräch mit dem Regieteam und Edris Fakhri geplant.

Link zur Veranstaltung
https://adk-bw.de/veranstaltung/treffpunkt-campus-international-mit-edris-fakhri/