Viele einheimische Helfer, die die Bundeswehr noch unterstützen, fürchten die Vergeltung der Taliban – wenn die Soldaten 2014 abgezogen sind. Erste Racheakte hat es bereits gegeben.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Oberst York Freiherr von Rechenberg hat eigentlich wichtigere Aufgaben. Der Kommandeur in Kundus soll das Bundeswehr-Camp für die Übergabe an die Einheimischen vorbereiten – ein großer Schritt auf dem Rückzug bis Ende 2014. Doch seit Monaten muss er regelmäßig Gespräche mit afghanischen Beschäftigten führen, die um ihre Zukunft bangen, sobald die Bundeswehr erst weg ist. Von Rechenberg widmet sich jedem Einzelfall. 90 sogenannte Ortskräfte haben schon auf dem Sofa in seinem Büro ihr Leid geschildert. „Ich hätte nicht gedacht, dass das so viel Raum einnimmt“, bekennt er.

 

Die Bundeswehr habe eine Fürsorgepflicht für ihre zivilen Mitarbeiter. „Wer sich gefährdet fühlt, kann sich an mich wenden.“ Etwa 350 afghanische Mitarbeiter beschäftigt die Truppe im Camp – unter ihnen 150 Wachleute sowie an die 70 Dolmetscher; zudem Handwerker, Reinigungskräfte und Küchenhilfen. Insgesamt sind 1260 Einheimische in Kundus, Masar-i-Scharif und Kabul für die Deutschen tätig. Etliche von ihnen sind bereits von Aufständischen bedroht worden.

Besonders die Informanten selbst leben riskant

Erst vor kurz wurde ein Wachmann der Isaf-Truppen in seinem Heimatdorf nahe Kundus umgebracht – und der Bruder gleich mit ihm. Für die Bundeswehr, aber auch das Auswärtige Amt und die Polizei besteht nun Handlungsbedarf, die Mitarbeiter zu schützen. Somit werden die Ortskräfte auf Flugblättern auch in ihrer Sprache Dari darüber informiert, dass im Ernstfall eine Ausreise möglich ist.

Häufig genug hat auch die Bundeswehr ein Interesse daran, dass der Mitarbeiter sich andernorts neu ansiedelt, damit er keine Geheimnisse weitergibt. Wachleute zum Beispiel könnten die Lücken im Sicherheitssystem des Lagers verraten. Übersetzer wiederum sind bei wichtigen Gespräche anwesend und kennen verdeckte Hinweisgeber der Isaf. Rechenbergs „Sprachmittler“ lebt ohnehin in Deutschland und erhält für die Zeit seines Einsatzes in Kundus eine Uniform. Besonders die Informanten selbst leben riskant, weshalb der Militärische Abschirmdienst erst jüngst einen Zuträger mitsamt Familie nach Deutschland gebracht hat. Er hatte Pläne für Hinterhalte und Sprengfallen verraten, war aber erkannt und bedroht worden.

Exmitarbeiter sollen sich an die deutsche Botschaft wenden

Doch nicht jede Ortskraft muss konkret um ihr Wohlergehen fürchten – nicht selten ist es eher ein latentes Bedrohungsgefühl. „Vielfach kommt auch Zukunftsangst auf vor dem Hintergrund, dass sie hier viele Jahre beschäftigt waren und dass einige das Fünf- bis Zehnfache bekommen haben, was einen afghanischen Durchschnittsverdienst ausmacht“, hat Oberst von Rechenberg erkannt. Zwischen den Zeilen höre er dann, dass eine Weiterbeschäftigung an anderer Stelle auch schon hilfreich wäre. Dass einer ins Ausland wolle, komme vor, aber „den Wenigsten geht es darum, nach Deutschland zu kommen“.

Es hat sogar schon drei Protestversammlungen vor dem Tor gegeben, bei denen 25 frühere Dolmetscher mit brennenden Reifen die Zufahrt blockierten. Ihr Anliegen: sie wollten genau so behandelt werden wie derzeitige Ortskräfte, die nach der Kündigung noch zwei Monate Übergangsgehalt bekommen. „Ich habe dreimal versucht, ihnen zu erklären, dass das Verfahren für sie nicht mehr gilt“, schildert von Rechenberg. „Wir können nur die Aktiven betrachten.“ Die Exmitarbeiter sollten sich lieber an die deutsche Botschaft wenden. Seither habe sich die Lage wieder beruhigt.

Eine Jobbörse wird aufgebaut

Mit deutscher Gründlichkeit muss allerdings auch rechnen, wer einen Aufnahmeantrag stellt: Von Rechenbergs Protokoll wird zunächst von einem Gremium im Lager Masar-i-Scharif begutachtet und dann zur deutschen Botschaft in Kabul weitergeleitet. Wird auch dort die Gefährdung anerkannt, wandert der Fall ins Bundesinnenministerium nach Berlin, wo letztendlich über das jeweilige Schicksal entschieden wird. Brigadegeneral Michael Vetter leitet das Komitee in Masar-i-Scharif. Der immer öfter erhobene Vorwurf, die Bundeswehr würde den Prozess überbürokratisieren und die Mitarbeiter im Stich lassen, ärgert ihn. „Das ist mitnichten so. Diese Menschen haben wertvolle Dienste für uns getan, aber wir sind ein mehr als fairer Arbeitgeber und zahlen die Leute gemessen am ortsüblichen Schnitt hervorragend.“ Zudem baue die Bundeswehr mit der Entwicklungsorganisation GIZ eine Art Jobbörse auf, um Ortskräfte an die zahlreichen zivilen Partner zu vermitteln. „Wir tun eine Menge, um ihnen danach eine Perspektive zu geben.“

Auch auf Drängen der Regierung in Kabul versucht die Bundeswehr, die gut ausgebildeten jungen Männer im Land zu halten, damit sie den weiteren Aufbau des Landes unterstützen. Die Regierung habe die Isaf-Nationen darum gebeten, nicht den Abfluss von Intelligenz zu unterstützen, sondern sie zum Bleiben zu bewegen, sagt der General. „Dies kann man nicht einfach so wegwischen.“ So wird ein Weiterbildungsfonds eingerichtet, um jungen Dolmetschern ein Studium in Indien zu finanzieren – mit der Auflage, danach in die Heimat zurückzukehren.

Etwa 230 Afghanen haben bisher offiziell um Hilfe ersucht, doch wurde erst wenigen Ortskräften und deren Familien die Ausreise genehmigt. Allerdings ist Vetter zufolge auch die Zahl der Übergriffe überschaubar. Mancher Afghane führe einen relativ aufwendigen Lebensstil, was Neidreaktionen in der Nachbarschaft provoziere. „Es sind schon Ortskräfte in ihrer Nachbarschaft angegangen worden, weil sie sehr gut verdienen“, sagt der General. In ganz wenigen Fällen hätten Regimegegner Racheakte verübt. Und die Sicherheitslage sei auch nicht so schlecht, „dass die Taliban sofort wieder durch die Stadt marschieren, wenn wir aus Kundus raus sind“.