Das ARD-Fernsehspiel „Eine mörderische Entscheidung“ beschreibt die Zwangslage, in der ein Bundewehroberst vor vier Jahren zwei Tanklastzuüge bei Kundus bombadieren ließ.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Wer ist dieser Mann, den alle Welt als Oberst Klein kennt und der die folgenreichste Fehlentscheidung in der Geschichte der Bundeswehr getroffen hat? Die Öffentlichkeit kennt ihn nicht wirklich, weil er sich – nunmehr Brigadegeneral – konsequent vor ihr verbirgt und wohl auch nichts mehr offen sagen darf. Am 4. September 2009 hat der damalige Kommandeur des Feldlagers Kundus zwei Tanklastzüge auf einer unweit gelegenen Sandbank bombardieren lassen. 70 bis 140 Afghanen, auch Kinder, starben – wie viele genau, das war allen Darstellungen zum Trotz nie zweifelsfrei zu beweisen.

 

Selbst in dem Dokumentarfilm „Eine mörderische Entscheidung“, den heute Arte und am kommenden Mittwoch die ARD zeigen, wird nur bedingt klar, wer dieser Georg Klein wirklich ist. Gewiss, ein Feingeist und Liebhaber von klassischer Musik ist er, ein freundlicher und teamfähiger Soldat – kein militanter Haudegen. Noch heute reden sie gut über ihn in Kundus.

In jedem Fall fehlten Klein die Kampferfahrung und umsichtige Berater, als vor vier Jahren aus dem Stabilisierungseinsatz ein Krieg wurde. So kam er fast unvorbereitet in eine angespannte Situation, die ihn dann den fatalen Befehl geben ließ. Mehrere seiner Soldaten waren zuvor gefallen – die Aufständischen verbreiteten ungehindert Terror. Dieses Szenario zu zeichnen, das den Kommandeur in die Zwangslage brachte, ist eine große Stärke des Films.

Manchmal wird es theatralisch

Völlig ausgeblendet wird die höchst fragwürdige Nacharbeitung von Isaf-Oberbefehlshaber Stanley A. McChrystal, dessen Version des Geschehens fortan die öffentliche Meinung prägte, aber auch die desaströse Kommunikationsstrategie des Verteidigungsministeriums und das Versagen der Politik. Vielmehr konzentriert sich die Aufmerksamkeit – zurecht – auf die Figur Klein, gespielt von Matthias Brandt.

Dieser zeigt ihn als bedächtigen Kommandeur, der von dubiosen Militärs und Geheimdienstleuten sowie einem rachsüchtigen afghanischen Gouverneur im entscheidenden Moment zum Jagen getragen wird. Mag sein, dass Brandt den bestimmenden Duktus eines hohen Offiziers stärker herausgekehrt hätte, wenn er die Bundeswehr von innen kennen würde. Ohnehin gerät manches im Zusammenspiel der Protagonisten ein wenig theatralisch. Denn gewöhnlich pflegen die Soldaten in Kundus einen eher nüchternen Umgang.

Durchweg glaubwürdig erscheinen die Auftritte Kleins vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags. Seine Aussagen dort sind den Protokollen entnommen. Gleiches gilt für den Funkverkehr der US-Piloten, die damals die Bomben abwarfen. Ebenso tragen die harten Schnitte zur Authentizität bei: Zu Wort kommen die Eltern des Monate zuvor getöteten Soldaten Sergej Motz, aber auch Afghanen, die in der Feuerhölle des Kundus-River Geschwister oder Kinder verloren haben – ihre Erinnerungen können niemanden kalt lassen.

Nur eine Annäherung

Auf einige Stellungnahmen wie die der Politiker hätte der Regisseur Raymond Ley im Sinne der Dramaturgie verzichten sollen. Dennoch ergibt sich eine packende Mischung aus Rekonstruktion und Fiktion. Darin liegt zugleich die Gefahr: dass Dichtung und Wahrheit kaum auseinander zu halten sind. Realitätsfern wird etwa der Beschuss des Konvois geschildert, in dem Sergej Motz zu Tode kommt. Die stundenlangen Feuergefechte sind tatsächlich nicht darstellbar. Auch werden Klein etliche bedeutungsschwangere Sätze in den Mund gelegt – er hat sie nie gesagt. So darf der Film nur als Annäherung, nicht als Wiedergabe der Ereignisse verstanden werden. Aber das ist auch schon ein Verdienst.

Rasch hat sich damals das Bild von einem kriegslüsternen Offizier verfestigt, der seine Feinde „vernichten“ wollte, wie er selbst später sagte. Zu der einseitigen Sicht auf den Mann haben auch jene beigetragen, die sich seinerzeit weggeduckt haben. Dazu gehört auch der im Gefolge vom 4. September 2009 geschasste Generalinspekteur: Vorgesetzte wie Wolfgang Schneiderhan haben den Kommandeur zumindest indirekt unter Druck gesetzt, Erfolge im Kampf gegen die Taliban vorzuweisen.

Georg Klein hat militärisch betrachtet schwere Fehler gemacht, wurde aber juristisch freigesprochen – auch der Untersuchungsausschuss entlastete ihn, obwohl er seinen Befehl kühl als „auftragsgemäß, rechtmäßig und verhältnismäßig“ verteidigt hatte. Dennoch trägt er nun die Schuld mit sich und wird Zeit seines Lebens eine tragische Figur der Zeitgeschichte bleiben.