Die Bundeswehr muss sich des Vorwurfs erwehren, tragische Folgen der Gefechte mit den Aufständischen zu vertuschen. Bei einer Großoperation im November 2010 sollen bis zu 27 Zivilisten getötet worden sein – bisher kein Thema für das Verteidigungsministerium.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Im Morgengrauen des 31. Oktober 2010 begann mit dem Angriff auf das afghanische Dorf Quatliam die bis dahin größte Offensive der Bundeswehrgeschichte: die Operation „Halmazag“ (Blitz). Ziel war es, das Dorf unter Kontrolle zu bringen und zivile Projekte wie einen Stromanschluss vorzubereiten. Doch die 300 Fallschirmjäger aus Seedorf (Niedersachsen) stießen in der Taliban-Hochburg Chahar Darreh südwestlich vom Lager Kundus auf heftigen Widerstand. Vier Tage lang wurden sie in Gefechte verwickelt, bis die geschätzt 50 bis 100 Gegner abzogen.

 

Zur Unterstützung der insgesamt 480 deutschen, afghanischen und amerikanischen Soldaten wurden auch F16-Kampfjets, Hubschrauber sowie schwere Waffen wie der Schützenpanzer Marder und Artilleriegeschütze eingesetzt. Im Internet kursierende Videos vermitteln einen Eindruck von der Gefahr für die Fallschirmjäger. Soldaten und Aufständische lieferten sich stundenlange Feuergefechte – mittendrin die unschuldigen Dorfbewohner. Der Bundeswehr blieben Tote erspart, allerdings soll es bis zu 27 zivile Opfer – darunter Kinder – gegeben haben, wie ein Team des ARD-Magazins „Monitor“ in langen Recherchen herausfand. Lokale Verantwortliche und Familienoberhäupter hatten die damaligen Vorfälle geschildert und eine Liste mit den Namen der Toten überreicht. Ein Zwölfjähriger etwa starb im Haus während der Hausaufgaben.

Die zuständigen Politiker wissen auch nicht mehr

Zu zivilen Opfern in Afghanistan hat die Bundeswehr generell fast nie Stellung bezogen – wohl auch eine Folge der Katastrophe am 4. September 2009 mit dem Beschuss von zwei Tanklastern und einer großen Zahl getöteter Zivilisten. Nach der Operation „Halmazag“ berichtete die Bundeswehr von Treffen mit einheimischen Führern. „Auch nach explizitem Nachfragen gab es keine Erkenntnisse über zivile Opfer“, hieß es. Vor der Kamera widersprechen einige betroffene Afghanen der Version: Einen schwer verwundeten Bauern hätten die Soldaten noch im Feldlager behandelt und später als Leichnam zurückgebracht. Erst jetzt, zur Ausstrahlung des ARD-Berichts am vergangenen Donnerstag, versprach das Verteidigungsministerium in einer knappen Stellungnahme, „den Vorfällen gesondert nachzugehen“.

Selbst die zuständigen Politiker wissen nicht mehr. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sagte der StZ: „Das Ministerium hat uns damals über diese Gefechte informiert – aber nicht über mögliche zivile Opfer.“ Denkbar sei, dass die vorgeschriebenen Nachuntersuchungen (Battle Damage Assessments) rund um Quatliam wegen der Risiken seinerzeit nicht vorgenommen worden seien, so dass die Spitze des Ministeriums die Details gar nicht kenne. „Da könnte man trotzdem genauer informieren und sagen, dass bestimmte Dinge nicht geklärt werden konnten“, moniert der Nürtinger Abgeordnete, der die ARD-Darstellung für schlüssig hält. Vielleicht habe man auch wegen des Kundus-Untersuchungsausschusses Schweigen für klüger gehalten. „Zumindest hatte später offensichtlich niemand Interesse daran, das zu klären.“