„Afrika! Afrika!“ bringt den Zauber des Kontinents auf die Bühne – aber die Show nach André Heller lockt weniger Besucher.

Stuttgart - Auf der Bühne die Wüstennacht, die große Düne im Hintergrund, im Sternenlicht rinnt Sand herab. Die Musik ist längst verklungen, nur ein mystisch tiefer Ton bleibt. Und der Atem des Künstlers, der, um vieles verstärkt, durch die Porsche-Arena zieht. Andreis Jacobs zeigt seine Sanddorn Balance, errichtet ein weit ausgreifendes Gebilde aus Palmrispen, ein Monument der Schwerelosigkeit, getragen von einer Feder – und nimmt ganz zuletzt die Feder fort, lässt alles in sich zusammenstürzen. Das Publikum in der Porsche-Arena hat gespannt und still geschaut, fast zehn Minuten lang. Nun bricht das Staunen hervor, der Applaus.

 

13 Jahre sind vergangen, seit André Heller erstmals seine Show „Afrika! Afrika!“ präsentierte, seinerzeit bekannt als erfolgreichste Zirkusshow Europas. Die Produktion mit ausschließlich afrikanischen Sängern, Tänzern, Bühnenkünstlern, Akrobaten wurde in großen Zelten gespielt, enthusiastisch gefeiert. 2013 kehrte „Afrika! Afrika!“ zurück, wieder unter Hellers Regie, dieses Mal in kleinere Hallen, kam auch nach Stuttgart. Im Januar 2018 schließlich ging die dritte Auflage des Spektakels an den Start, feierte Premiere in Berlin, im Theater am Potsdamer Platz. Nun führt George Momboye Regie, Hellers langjähriger Choreograf. Andreis Jacobs Balanceakt ist eines der vielen Highlights der neuen Show – der Künstler gehört der Familie des Schweizer Artisten Rigolo an, der die Sannddorn Balance 2011 in André Hellers Pferdeshow „Magnifico“ populär machte, trat auf im Circus Roncalli.

Hohes artistisches Niveau

Die neue Afrika-Show kommt in Stuttgart jedoch verhalten an. Die Bühne der Porsche-Arena ist weit nach vorne gestellt, der Publikumsraum auf diese Weise bereits verkleinert – und doch ist am ersten von zwei Abenden die Halle nur etwa zur Hälfte mit Zuschauern besetzt. „Afrika! Afrika!“ ist, so scheint es, in die Jahre gekommen. Vielleicht erklärt sich der geringe Zuschauerzuspruch auch daraus, dass die Show nicht mehr mit Hellers Namen lockt. Dem sehr hohen artistischen Niveau, das auf der Bühne gezeigt wird, tut dies keinen Abbruch. Wer Afrika entdecken möchte, als einen „Kontinent des Staunens“, der findet es hier: in einer Revue aus Tanz, Musik, verblüffender Körperbeherrschung, Vitalität, gesättigt mit Farbe, pulsierend, lebensfroh.

Unterbrochen von einer 20-minütigen Pause wechseln die Afrika-Bilder im Fluge; Artisten vollbringen, in bester Zirkustradition, mit scheinbarer Leichtigkeit unglaubliche Kunststücke. Menschenpyramiden recken sich vor afrikanischen Fresken empor; Afrika tanzt im Businesslook vor einer Neonwand; der Kontorsionskünstler Khatib Juma dehnt und wendet sich; der Äthiopier Abrham Woldehawaryat entlässt einen Wirbel aus Jonglagebällen. „The flying Ethiopians“ geben sich im Flug die Hände, Arme; die Kompanie „West African Dance“ wirbelt in neuen leuchtenden Kostümen vorbei.

Das Publikum ist betört

Zur Rechten, stets im Hintergrund, eine neunköpfige Band, die mit afrikanischen Klangfarben auch auf Balafon, Kora, Dun Dun und anderen Instrumenten spielt, mit Tenor und Sopransaxofon, sich sehr sicher auf der afrikanischen, afroamerikanischen Stilpalette bewegt. Aus Percussionmusik wird Soul und Hip-Hop; James Browns „I Feel good“, Miriam Makebas „Pata Pata“ gehören zum Soundtrack der Reise, und der Südafrikanische Nonhlanhla Pretty Shangase ist ein Zeremonienmeister mit charismatischer Singstimme. Der erste Teil des Abends endet in den Straßen der Großstadt eines anderen Kontinents, mit Baseball, Funk, Hip-Hop und einer Ahnung ihrer Ursprünge.

Schließlich tritt Dumbo auf, der Elefant, ein Werk des Marionettendesigners Michael Curry, der für „König der Löwen“ und „Blue Man Group“, Madonna und Pink tätig war – ein erstaunlich lebensechtes Tiermodell und der dramaturgische Höhepunkt der Show. Das Publikum ist betört von Afrika, hat wieder gestaunt. Nach mehr als zwei Stunden, in denen außergewöhnliche Darbietungen sich abwechselten, ist es aber vielleicht auch müde. „Afrika! Afrika!“ lässt eben auch Wünsche offen – den vor allem nach einer erzählerischen Struktur, die den Bilderreigen trägt. Und die Show verschweigt auch. Afrika präsentiert sich selbstbewusst, vital und schön – dass der schwarze Kontinent eine dunkle Vergangenheit hat, in der weiße Europäer eine große Rolle spielten, ahnt man nur in einem Augenblick: wenn eine Kompanie den „Gumboot Dance“ aufführt, mit Helmen, Stiefeln, und die Bildwand die Goldminen von Johannesburg zeigt.