Deutschland entdeckt Afrika als neuen Wirtschaftspartner – auch aus Eigeninteresse. Das kann jedoch nur gelingen, wenn auch die Handelspolitik überdacht wird, kommentiert Christopher Ziedler.

Berlin - Eine reine Showveranstaltung ist der Berliner Afrika-Gipfel nicht gewesen. Die Erklärungen und angestoßenen Initiativen schließen einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik ab: Es geht weg von der moralisch begründeten Hilfe hin zu einer interessengeleiteten Zusammenarbeit. Die geschätzte Verdoppelung der Bevölkerungszahl in Afrika bis zur Mitte des Jahrhunderts spielt bei der Begründung dieser Kurskorrektur eine zentrale Rolle: Ohne Zukunftsperspektive zu Hause kommen diese Menschen zu uns.

 

Deutschland, mit der Erfahrung großer Flüchtlingszahlen im Rücken, hat den neuen Ansatz maßgeblich forciert. Er funktioniert auch innerhalb der in Migrationsfragen zerstrittenen EU, weil etwa Polen und Ungarn Hilfe in den Herkunftsländern einer Asylbewerberverteilungsquote vorziehen. Im G-20-Kreis ist nicht zuletzt China Vorreiter einer Wirtschaftskooperation mit Afrika, die großen Investitionen vor Ort größere Bedeutung einräumt als kleineren Projekten zur nachhaltigen Entwicklung.

Geht es Deutschland und Europa nur darum, den Rückstand auf dem afrikanischen Markt wettzumachen, wenn dort nun Investitionspartnerschaften ins Leben gerufen werden und Kanzlerin Merkel die deutsche Wirtschaft zum Engagement aufruft? Das kann so sein, muss es aber nicht. Im Idealfall profitieren beide Seiten. Die Bilanz vieler Jahrzehnte Entwicklungshilfe jedenfalls ist dazu angetan, neue Wege auszuprobieren: Das Wachstum des Kontinents – 3,4 Prozent sagt die OECD für dieses Jahr voraus – konzentriert sich auf rund die Hälfte der 55 Staaten, in anderen grassiert der Hunger. Angesichts der Bevölkerungsentwicklung müsste die Wirtschaftskraft aber um sieben Prozent jährlich steigen, um die Armut zurückzudrängen. Deshalb sind Investitionen wichtig: Ohne mehr Fabriken und eigene Wertschöpfungsketten bleibt Afrika als Ganzes ein Rohstofflieferant ohne echte Aufstiegschance.

Es kommt auf die Balance der Interessen an

Es muss also nicht automatisch schlecht sein, wenn aus routiniertem Mitleid oder schlechtem kolonialistischen Gewissen echtes Eigeninteresse an einer guten Entwicklung des Nachbarkontinents wird. Der diplomatische Austausch, den etwa die Bundesregierung mit zahlreichen afrikanischen Staaten pflegt, hat zugenommen, das gegenseitige Verständnis damit auch.

Es kommt jedoch auf die Balance der Interessen an, auf das Miteinander – und hier stellen sich kritische Fragen. Warum spielen Umwelt- oder Sozialstandards im neuen „Compact with Africa“ kaum eine Rolle? Sind sie bei einer Kooperation in Flüchtlingsfragen etwa verhandelbar? Warum werden nur die Korruptionsbekämpfung und eine bessere Infrastruktur finanziell gefördert, mithin also wirtschaftsfreundliche Vorhaben? Dieser eindimensionale Ansatz hat bisher nur die Elfenbeinküste, Marokko, Ruanda, den Senegal und Tunesien zum Mitmachen animiert – das deutet darauf hin, dass doch wieder ein Konzept übergestülpt statt gemeinsam entwickelt wird. Befürchten andere, dass die Investitionsförderung irgendwann die Entwicklungshilfe ersetzen soll? Fallen ländliche Räume oder die Wasserversorgung künftig unter den Tisch? Es mutet zumindest zynisch an, dass die G-20-Staaten in Berlin neue Strategien diskutieren – und zugleich nicht in der Lage sind, genug Geld für die UN aufzutreiben, um den Kampf gegen Afrikas Hungersnöte zu finanzieren.

Grundsätzlich krankt das durchaus löbliche Ansinnen, Afrika zum gleichberechtigten Akteur der wirtschaftlichen Globalisierung zu machen, am Fehlen einer fairen Handelspolitik. Offene Märkte sind zwischen entwickelten Volkswirtschaften von Vorteil – in vielen Ländern Afrikas dagegen hat die Liberalisierung manch zarten Anfang zerstört. Wirklich glaubhaft würde der neue Afrikaplan erst dann, wenn die Handelspolitik Teil desselben wäre. Sonst gesellen sich zu alten Fehlern lediglich neue.