Das Linden-Museum versucht in seiner neuen Ausstellung „Wo ist Afrika?“ alles richtig zu machen: Es geht kritisch mit der kolonialen Geschichte um und hinterfragt seine Rolle als Museum. Nur eines hat man dabei vergessen: das Publikum.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Man sollte ein Spielchen wagen. Denn Mancala ist gut für die grauen Zellen. Das Strategiespiel, das aus Afrika stammt, gibt es in verschiedenen Varianten, die eines verbindet: sie zu spielen macht schlau. Das zumindest wird im Linden-Museum behauptet, in dem man am Ende der neuen Afrika-Abteilung selbst eine Runde Mancala spielen kann. Vielleicht wäre es besser gewesen, das Spiel gleich zum Auftakt zu präsentieren, denn beim Rundgang werden die grauen Zellen der Besucher kräftig beansprucht. Ein wenig Gehirnjogging vorab würde da nicht schaden.

 

„Wo ist Afrika?“ nennt sich die neu eingerichtete Dauerausstellung – und der Titel ist beredt. Denn ist Afrika nicht nur ein Konstrukt, das durch die Köpfe von Nichtafrikanern geistert? Im Grunde geht es in der neuen Abteilung nicht um Afrika, sondern um unser aller unrühmliche Vergangenheit und die des Linden-Museums selbst. Denn viele Objekte aus dessen Sammlung kamen während der Kolonialzeit nach Stuttgart – und oft wurden sie auf blutige Weise erbeutet, wie die Provenienzforscher inzwischen ermittelt haben. Mit den Objekten hielt aber auch ein koloniales Denken in den Köpfen der Europäer Einzug, ein Denken, das bis heute auch noch die Ausstellungspraxis der ethnologischen Museen bestimmt.

Das Museum beansprucht keine Deutungshoheit mehr

Die Kuratorin Sandra Ferracuti hat sich nun eine wahre Herkules-Aufgabe vorgenommen. Sie wollte eine Ausstellung konzipieren ohne die „wirkmächtige Matrix der Diskriminierungen, die unsere Gesellschaften vielfach beeinflussen“, wie es in der Schau heißt. Anders gesagt: Mit „Wo ist Afrika?“ will das Linden-Museum alles richtig machen. Deshalb wird zum Auftakt an die „ermordeten, versklavten, gefolterten, vergewaltigten Menschen“ und deren „gestohlene Körper“ erinnert – zwei Fußeisen lassen Übles ahnen.

Ferracutis Ansatz ist durchaus radikal, denn sie geht mit der Institut Museum kritisch ins Visier und will vermitteln, dass das Museum keine Autorität mehr ist und nicht die Deutungshoheit über ihre Sammlung besitzt, was nach wie vor keineswegs selbstverständlich ist. Für die Sammler waren die Objekte aus den deutschen Kolonien nichts als Trophäen, für die Menschen und Geschichten dahinter interessierten sie sich nicht. Deshalb wird in der Ausstellung immer wieder von Stille gesprochen, die Objekte seien für uns heute letztlich stumm, weil nichts über sie in den Archiven steht.

Um sie wieder zum Sprechen zu bringen, hat sich das Linden-Museum Hilfe geholt und einen Beirat gegründet mit Stuttgartern mit afrikanischen Wurzeln. Der Performancekünstler Raoul Zobel Tejeutsa und der Dichter Stone Karim Mohamad gedachten zudem den Opfern des Kolonialismus, wovon ein Video zeugt.

Der Betrachter steht mitunter ratlos vor den Objekten

Wenn man als Besucher allerdings vor einem schönen Stück Stoff steht, zu dem man nur erfährt, dass es sich um ein „prestigeträchtiges Textil mit Stickereien“ handelt, lässt einen das relativ ratlos zurück. Verloren und lapidar stehen zahlreiche Masken, Hocker oder Figuren hinter Glas – einerseits stumm. Andererseits sollen sie aber doch eine Geschichte erzählen, nicht ihre eigene, sondern wiederum die der Europäer, die jetzt aber um Wiedergutmachung ringen. Bei einer Rasierklinge aus Angola steht entsprechend „Akquiriert von: Manar. Eingang ins Museum: 1980“. Damit beweist das Museum, dass es sich offensiv mit der Herkunft der Objekte befasst hat.

Der Fokus der neuen Abteilung also liegt auf den eigenen Aktivitäten, sei es in der Provenienzforschung oder in Arbeitsgruppen zum Thema Rückgabe. Die Objekte selbst treten dabei in den Hintergrund. Die Lamellophone, Instrumente, die mit den Fingern gezupft werden, hängen stumm hinter Glas, auch die riesige Zeremonial-Doppelglocke aus Kamerun steht wie tot in der Vitrine. Nichts verrät, wie sie genutzt wurde oder klingt.

Das Museum kann nicht vermitteln, warum es die Objekte zeigt

Damit verrät die Ausstellung auch eine große Hilflosigkeit, weil man sich nicht mehr der alten Kategorien bedienen kann, mit denen man die fremden Völker klassifizierte und seine eigene Überlegenheit demonstrieren wollte. Gleichzeitig hat man aber noch keine Antwort auf die Frage, weshalb man diese Objekte überhaupt ausstellt und ob ihnen die Institution Museum gerecht werden kann.

Es wird noch lange dauern, bis die ethnologischen Museen eine adäquate Lösung gefunden haben. Das Linden-Museum will bei dieser Entwicklung als Speerspitze vorausgehen und dazu neue Formate erproben, sagt die Direktorin Inés de Castro, um herauszubekommen, welche Rolle das Museum in der Gesellschaft künftig spielen kann und will – gerade auch im Hinblick auf einen erhofften Neubau für das Linden-Museum als ein modernes Haus der Kulturen.

Das Konzept ist radikal und zukunftsweisend, hat das Publikum aber vergessen

Die Afrika-Abteilung beweist, dass dem Linden-Museum ernsthaft daran gelegen ist, die eurozentristische und diskriminierende Perspektive aufzugeben. Ein Diaroma aus den sechziger Jahren, das ein klischiertes Bild von Wilden vor Basthütten zeigt, wird mit klarer pädagogischer Botschaft versehen. „Denk daran, das ist nicht Afrika“, steht mahnend dabei.

Umso bedauerlicher, dass diese kluge und bis ins Detail durchdachte Ausstellung ausschließlich auf die aktuellen Debatten zum Kolonialismus reagiert und so stark in diesem Diskurs verfangen ist, dass man das breite Museumspublikum dabei aus den Augen verloren hat. Die vielen Texte sind mal sehr allgemein, dann wieder extrem speziell, dabei ist die Sprache anspruchsvoll und sperrig. Hier geht es um die „Hinterlassenschaften europäischer Rhetorik“ dort um „Narrative“. Am Ende der Schau wird ein solches durchaus fragwürdiges Narrativ sogar fortgeschrieben, indem ein Video vom Meer vor Lampedusa gezeigt wird – als sei Afrika nichts anderes als der Kontinent des Elends.