Afrob gibt am Donnerstag im Stuttgarter Club Schräglage ein furioses Konzert - mit den Hits, aber auch Tracks der jüngeren Alben. Unser Autor erklärt, warum dieser Mann schon immer ganz große Klasse war. 

StuttgartHipHop ist wahrlich noch kein alter Mann, aber auch nicht mehr der Jüngste. Er ist in einem Alter, in dem man, zumindest der schwäbischen Faustregel nach, langsam gescheit sein sollte. Das exakte Geburtsdatum ist zwar schwammig, an dieser Stelle sei die Netflix-Serie „The Get Down“ empfohlen, die sehr detailverliebt die Anfänge der HipHop-Kultur in den frühen 1970ern in der Bronx rekonstruiert, aber mit - also - Mitte 40, so denkt man, sollte man vielleicht etwas gelassener sein. Ist HipHop aber nicht, es wird eher mit jedem Lebensjahr schwieriger. Oder wie man vor noch nicht allzu langer Zeit gerne im Facebook-Beziehungsstatus-Deutsch sagte: Es ist kompliziert.

 

Oldschool zum Beispiel, was ist das? Für die Einen sind das die frühen 80er, für die anderen Anfang bis Mitte 90er und für die Dritten, ja tatsächlich, die erste Hälfte der 2000er. Es kam schon vor, dass sich ein Mädchen, geschätzt zwischen 18 und 20, beim DJ Oldschool gewünscht hat („du weißt schon, 50 Cent und so“), während Craig Macks „Flava in die Air“ lief, ein klassischer Eastcoast-Track von 1994, der vermutlich älter war als die junge Dame. Die jungen Leut', gell, so sind sie halt. 

Und dann die Alten. OMG, diese Alten. Okay, sagen wir die Mittelalten. Die Mittelalten sagen gerne so Dinge wie, dass man mit dem „ganzen neuen Zeug“ gar nicht klarkommt. DAS soll HipHop sein? Und posten dann z.B. einen Biggie Song von 1997: „Als HipHop noch gut war!!!1!!11!!“ Oder spezifischer, um endlich, irgendwie, zum Thema zu kommen: „Also mit dem neuen Afrob Album kann ich überhaupt nichts mehr anfangen.“ Ja, 1999 und „Rolle mit HipHop“, Afrobs Debütalbum, lange her. Die Dinge verändern sich und am Ende steht für viele von uns 30ern und 40ern, die diese Musik schon als Yung-Teenie eingesaugt haben wie Raiders, nun doch leider die Erkenntnis, dass wir meist nicht (viel) besser sind als unsere Eltern. Die waren nämlich einst schwer irritiert, warum der Buah denn jetzt so aggressiv-düstere Musik hört (z.B. von Public Enemy oder später Wu-Tang Clan).

40 wird Afrob. Erst 40, besser gesagt

Nicht so Afrob. Er ist gesegnet mit einer der besten Rap-Stimmen des Landes, und er ist seit 20 Jahren immer im Flow mit den aktuellen HipHop-Strömungen geblieben. Vergangenheit ist Vergangenheit. Sie ist wichtig und gehört dazu und wird integriert – wie bei seinem ausverkauften Konzert in der Schräglage am Donnerstag. Aber es ist 2017 und der Sound auch ein anderer. Und das ist das Beste an dem Gig: Das Publikum sieht das genauso und ist nicht gekommen, um nur auf „Reimemonster“, „Get up“, „Sneak Preview“ oder „Rolle mit HipHop“ zu warten und den Rest desinteressiert über sich ergießen zu lassen. Nein, sie sind Fans, und mit dem Gesamtwerk des Künstlers durchaus vertraut.

Dazu kommt: Über zwanzig Jahre Bühnenerfahrung zahlen sich aus. Afrob hat seine Gäste anderthalb Stunden lang routiniert im Griff. Es ist eine intensive Show, da eben gerade auch der jüngere HipHop ein hohes Energielevel in seinen Beat- und Sound-Strukturen verbirgt. Ganz abgesehen davon, explodiert die Bude, natürlich, bei „Reimemonster“ (teilweise dargeboten in einem Mashup mit M.O.P.s „Ante up“) am härtesten.

Afrob alias Robert Zemichiel wird dieses Jahr erst 40. Erst 40, muss man sagen. Afrob hat schon alles mitgemacht, was Deutsch-Rap-mäßig ab Mitte der 1990er passiert ist. Und er ist natürlich auch Protagonist und Repräsentant dieser Stadt („Stuttgart-Pfaffenäcker meldet sich zu Wort“). Bei seinen ersten Features, etwa im einzig wahren Stuttgart-Song („Mutterstadt“ von Massive Töne) war er gerade mal 19. Beim Debütalbum „Rolle mit HipHop“ inklusive dem unverwüstlichem Gassenhauer „Reimemonster“, der längst auf so einigen Hochzeiten läuft (file under „wir wollen die Musik von damals hören“) kratzte er die 22. Schon kurz darauf deutete sich an, dass Deutsch-Rap bald die Luft ausgeht. Vorerst zumindest. 

Afrob ist in den Nullerjahren, abgesehen von dem ASD-Aufbäumen 2003, durch das dunkle Tal gegangen, das die Plattenindustrie nach dem kurzem Hype der Musiklandschaft eingefräst hat und wahrscheinlich die berühmte keine Sau mehr deutschen HipHop gehört hat. Afrob ist drangeblieben, immer wieder neue Alben veröffentlicht, auch wenn das große Interesse, sagen wir, eher spärlich war, weil eben auch allgemein kein Interesse an dieser Musikgattung vorhanden war.

Zweiter Frühling

Auch als Deutsch-Rap längst wieder voll da war, war Afrob anfänglich noch nicht da. Mit „Push“ von 2014 dann das Comeback, erstes Album seit fünf Jahren, das flirrende „808 Walza“ gehört zur Setlist des Konzertabends in der Schräglage. Das ASD Album von 2015 knallte voll durch. Und jetzt „Mutterschiff“, 2016. Es clouded, trapped und triggert auf dem Kahn, alles auf High Level, der Sound wirkt mächtig aufgepumpt oder anders gesagt: Es entspricht den modernen HipHop-Standards.

Afrob macht das, wie oben schon angedeutet, nicht, weil er denkt, er müsse das jetzt so machen, auf Teufel komm raus, fresh sein zu müssen, sondern weil es seiner Künstler-Natur entspricht. Schon sein zweites Album „Made in Germany“ von 2001 (Afrob war 24) wirkte im Gegensatz zum Debüt wesentlich grimmiger und nahm die damals neusten Produktionsströmungen aus den Staaten auf. Und ey, 40 ist doch kein Alter. Da kann man auch noch mal was Neues ausprobieren.

Afrob ist jedenfalls fit, gut drauf, beansprucht die komplette Bühne und plaudert zwischendurch ganz gern mit dem Publikum. Ganz wichtig dabei stets die Verortung, gerade natürlich beim Heimspiel: „Mein Name ist Afrob und ich komm aus Stuttgart-Weilimdooooooorf!“ Krach, Batsch, Bäm, die HipHop-Arme des Publikums leisten kontinuierlich Schwerstarbeit.

Die hat auch Sero geleistet, seiner schweren Aufgabe bewusst, gerade IN Stuttgart FÜR Afrob die Bude anzuheizen, „wo doch alle nur auf Afrob warten.“ Aber man hätte acht Tunes und es hätte bislang immer geklappt. Eine Nummer heißt „Future“ und das ist dann das musikalische Programm – Future Rap. Ellbogen-Tanz.

Mutterschiff - knallt

Kurze Pause zwischen den Artists, und die Lücke wird nicht wie sonst so oft bei HipHop-Konzerten für, Achtung, Oldschool (!) Stadionhits-Ballerei genutzt wird (Dr. Dre, Naughty by Nature, Cypress Hill etc.). Stattdessen stellt sich eine spannungsgeladene Ruhe ein, damit das wieder aufgedrehte „Mutterschiff Intro“ richtig zu Geltung kommt. Stuttgart, Schräglage, 20:45 Uhr, hi Afrob. Und dann geht es Schlag auf Schlag, denn es gilt, 34 (!) Tracks in der urklassischen HipHop-Bühnenkonstellation abzuarbeiten, two turntables and one mic, keine Sperenzchen wie Live-Schlagzeuger oder Bassist, lediglich ein zweiter MC doppelt den Jungen aus Pfaffenäcker.

Viele Stücke werden dabei nur kurz für ein, zwei Strophen angerissen, man integriert, ebenso HipHop-Show typisch, fremde Beats von US-Acts, wie z.B. der aktuelle Kernspalter „El Chapo“ (Game/Skrillez), baut eine kleine Reggae-Runde mit „Ring The Alarm“ und anderen bekannten Riddims ein, sowie setzt vor „Get up“ das Original „Funky Sensation“ von Gwen McRae. Afrob bedient sich mit „Dr. Cooper“ bei Kollege Megaloh und nimmt sich auch dessen Part vom Max Herres Rucksack-Slammer „Rap ist“. Und „Blockbasta“ und „Sneak Preview“ von ASD gehören ja sowieso zur Hälfte ihm.

„Reimemonster“ wird ziemlich genau in die Mitte der Show gesetzt und rückt nicht in den Zugaben-Block. Den es gibt es nämlich gar nicht in den konsequenten anderthalb Stunden, auch wenn das Publikum natürlich hofft, dass er nochmals zurückkommt, aus den Katakomben der Schräglage. Weiter wurde die gesamte Show angereichert mit etlichen Tunes von den beiden letzten Alben, denn gerade live hat dieser Trigger-Sound natürlich seine unglaublichen Reize. Und wie gesagt, das Publikum nimmt es an, der Laden verwandelt sich vom schweren Mutterschiff zu einem spritzigen Wildwasser-Rafting-Boot, das durch tosende Flüsse treibt. Chaos-Stimmung. Das Eskalationsprogramm schließt mit dem eingängigen „Immer weiter“ (vom Album „Push“) sowie mit „Weltuntergang“ vom neuen Album – was ja wiederum für ein Konzert auch eher untypisch ist, was Neues ans Ende zusetzen. Aber wie gesagt, man kann auch mit bald 40 ja mal noch was ausprobieren.

„Der Robby hat's ultradrauf, der wird noch richtig abgehen“ raunte man vor über 20 Jahren in Weilimdorf, als Afrob noch der Robby war und die ersten Schritte seiner Musiker-Laufbahn unternahm. Und er geht immer noch ab. Am 4. März demonstriert Afrob das nochmals in der Schräglage. Allerdings ist die Show ebenso schon restlos ausverkauft. Das hat er sich natürlich alles redlich verdient. 


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