In Leinfelden-Echterdingen ist ein Konflikt mit einem Schüler eskaliert. Er hat einen Lehrer umgeworfen und einen Polizisten ins Gesicht geschlagen. Der Umgang ist rauer geworden, sagen Leute, die tagtäglich damit zu tun haben.

Filder - Ein 18-jähriger Schüler stößt einen Lehrer zu Boden, später holt er gegen die herbeigerufenen Polizisten aus, ein Faustschlag trifft einen Beamten im Gesicht. Pfefferspray und Schlagstöcke können den Schüler nicht abhalten, zu fliehen. Was folgt, ist ein Großeinsatz samt Hubschrauber. Am Ende sind drei Menschen verletzt, ein Polizist kann seinen Dienst für den Rest des Tages nicht fortführen. Dieser Fall hat sich kürzlich an der Ludwig-Uhland-Schule in Leinfelden ereignet. „Der Schüler leidet an einer psychischen Krankheit und hatte an dem Tag seine Medikamente nicht genommen, wie mir gesagt wurde“, sagt die Schulleiterin Gabriele Roegers Tage später.

 

Lehrer spüren es oft auch am eigenen Leib

Das ist freilich ein Extrembeispiel, solche Fälle sind nicht an der Tagesordnung. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung erlebt aber bundesweit die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen Ausgrenzung, Mobbing oder körperliche Gewalt an der Schule. Lehrer beobachten das auf dem Pausenhof, in den Fluren oder spüren es am eigenen Leib. Polizeibekannt wurden 2018 in Baden-Württemberg 49 Gewalttaten gegen Lehrer, das sind 13 mehr als im Jahr davor. 28 Körperverletzungen wurden aktenkundig, 20-mal waren Lehrer Opfer. Das teilte das Landeskriminalamt mit.

Wie kommt es überhaupt dazu? Eugen Keim, Polizist und Präventionstrainer des Württembergischen Judo-Verbandes (WJV), kennt sich mit dem Thema bestens aus: Er bildet Kollegen aus, um sie für die Streife zu wappnen. Seiner Meinung nach ist nicht die Zahl der Fälle gewachsen, wohl aber das Ausmaß und die Brutalität. Warum? „Das beginnt im Elternhaus. Da kommt es darauf an, mit welchen Werten man erzogen wird“, sagt Keim. Ab und zu besuche er an Schulen Elternabende und führe Einzelgespräche. „Manche Eltern zeigen absolutes Desinteresse, wenn es um ihre Kinder geht“, sagt er. Teils erschienen sie zum Elternabend erst gar nicht, teils wälzten sie Probleme auf die Schule ab. Nur bei Drohung einer Strafanzeige seien sie bereit, zuzuhören.

So reagieren Schulen auf den Trend

Ein weiterer Grund für Gewalttaten Jugendlicher seien die sozialen Medien, deren Inhalte ungefiltert konsumiert würden. „Manches, was man da sieht, halten die Schüler für normal und legal“, sagt er.

Der Rapper Gzuz beispielsweise hat im vergangenen Jahr gefilmt, wie er einen Schwan ohrfeigte, und dann das Video auf Instagram veröffentlicht. Der größte Teil seiner Follower hat ihn dafür gefeiert. Influencer werden zu Idolen. Was sie sagen und was sie tun, sagt der Beamte, werde oft für bare Münze genommen und kopiert: „Dadurch verändert sich die Vorstellung von gesellschaftlichen Werten, dem respektvollen Miteinander, und auch Grenzen werden nicht mehr wahrgenommen.“

Schulen reagieren auf diesen Trend. Früher waren Schulsozialarbeiter eine Sache von Hauptschulen, heute beschäftigen auch viele Gymnasien welche. Zudem sollen Streitschlichterprogramme helfen, dass Schüler Konflikte lösen, und Lehrer am Elisabeth-Selbert-Gymnasium in Filderstadt schnallen sich regelmäßig den Judogürtel um. Seit diesem Jahr geben ausgebildete Lehrer Techniken aus Tai-Chi, Jiu Jitsu und Judo weiter, die sie von Eugen Keim gelernt haben. Keim trainiert nämlich nicht nur Polizisten, sondern auch Lehrer. „Respekt“ taufte er das Gewaltpräventionsprojekt. Die Lehrer trainieren die Techniken anschließend mit den Schülern im Sportunterricht. „Dadurch lernen die Schüler, dass es wichtig ist, respektvoll miteinander umzugehen“, sagt die Schulleiterin Ursula Bauer.

Der Umgang mit dem Smartphone will gelernt sein

Dass sich Schüler unter der Aufsicht von Erwachsenen messen, ist wichtig, sagt Eugen Keim. „So erlangen die Jugendlichen ein gesundes Selbstbewusstsein und ein Bewusstsein für den eigenen Körper.“ Gerade in der Pubertät sei das wichtig. Die Rangeleien werden zum Ventil. Von Vorteil sei der Wechsel zwischen Kraft und Entspannung, dazu gehören die meditativen Ansätze aus dem Tai-Chi, die Körper und Geist in Einklang bringen sollen.

Oft geht es aber auch nicht um körperliche Gewalt, sondern um psychische: Mobbing, sowohl online als auch offline. „Körperliche Gewalt ist an unserer Schule eigentlich kein Thema“, sagt Ursula Bauer. „Was ich aber erlebe, ist, dass die Sprache in der Gesellschaft insgesamt verroht und oft verletzend ist. Dies wirkt sich auch auf Schule aus.“ Der Medienkonsum werde zur Herausforderung, denn das Smartphone gehört heute serienmäßig zum Teenager dazu, doch der Umgang will gelernt sein.

Von der fünften Klasse an sei deshalb ein Medien- und Sozialkompetenztraining Bestandteil des Lehrplans. „Dabei geht es vor allem um den Schutz der Kinder“, sagt sie. Um Fragen wie: Welche Fotos man posten dürfe, welche persönlichen Informationen man weitergeben könne und wie man sich im Internet verhalte. Die Eltern könnten dieses Angebot ebenfalls nutzen. Wer keine Zeit dafür habe, der bekomme dann eine Aufklärungsbroschüre.

Seitdem es all die Angebote gibt, beobachtet die Leiterin des Elisabeth-Selbert-Gymnasiums, dass die Schüler bei Mobbing mehr auf Vertrauenslehrer oder Schulmentoren zugingen als früher. Sie hätten die Wahl, sich einem Pädagogen oder einem Mitschüler anzuvertrauen. Grundsätzlich aber gelte: „Respektlosigkeit gegenüber Lehrern und Schülern gab es früher schon und wird es auch in Zukunft geben.“ Das heißt: Fälle wie an der Leinfelder Ludwig-Uhland-Schule lassen sich wohl nie komplett verhindern.