Millionen Ferkel werden jedes Jahr ohne Betäubung kastriert. Diese schmerzvolle Prozedur soll 2019 enden. Doch Agrarverbände laufen dagegen Sturm. Und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) signalisiert, dass sie bereit ist, die Wünsche der Verbände zu erfüllen.

Stuttgart - Das deutsche Tierschutzgesetz ist glasklar: Ab dem 1. Januar 2019 dürfen Ferkel nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden. Gegen das Verbot laufen nun allerdings Agrarverbände Sturm. Und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) signalisiert, dass sie bereit ist, die Wünsche der Verbände zu erfüllen. „Eine Änderung des Tierschutzgesetzes wird nicht an der CDU/CSU scheitern“, sagte sie Ende Juni auf dem Bauerntag. Klöckner riet den Landwirten, mit den Landesregierungen über das Thema zu sprechen. Dieser Rat blieb nicht ungehört. So ist in der SPD-Bundestagsfraktion zu erfahren, dass vor allem die Landesregierungen von Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen Druck ausüben. Gerade die rot-schwarze Regierung von Hannover will so erreichen, dass Union und SPD im Bundestag das Tierschutzgesetz ändern. Es ist also völlig offen, ob die betäubungslose Kastration ab 2019 vorbei sein wird.

 

Diese Tortur müssen Millionen männliche Ferkel jedes Jahr erleiden: Sie werden rasch nach der Geburt in einem Gestell fixiert, bevor ihnen mit einem Skalpell die Hoden entfernt werden. Damit verhindern die Schweinehalter, dass das Fleisch der Tiere beim Erhitzen einen Ebergeruch freisetzt, den die Verbraucher als unangenehm empfinden.

Die umstrittene Praxis hätte schon in diesem Jahr enden sollen

Schon seit Jahren kämpfen Tierschützer gegen die chirurgische Kastration. Sie konnten 2006 erreichen, dass die Erlaubnis, ein Tier betäubungslos zu kastrieren, nur noch bis zum sieben Lebenstag gilt. Vorher war das bis zur vierten Woche erlaubt. Im Jahr 2010 einigten sich Vertreter der Fleischwirtschaft, Bauernverbände und Tierschutzorganisationen aus ganz Europa auf die „Brüsseler Erklärung“. Dieses Dokument, das auch der Deutsche Bauernverband mit unterzeichnet hat, besagt, dass die chirurgische Kastration ab 2018 enden soll. Dieses Ziel hat Deutschland nicht erreicht. Die höchst umstrittene Praxis soll ja erst 2019 enden. Diese Festlegung, die die schwarz-gelbe Koalition traf, kommt allerdings keineswegs überraschend. Sie steht seit Juli 2013 im Gesetzblatt. Schwarz-Gelb gab den Tierhaltern also eine lange Übergangsfrist.

Deshalb ist es fast kurios, wenn der Landesbauernverband von Niedersachsen nun eine „schier endlose Hängepartie“ beklagt. Dahinter steht ein ökonomisches Kalkül. Die Agrarlobby fürchtet, dass weiter viele Ferkel aus dem Ausland importiert werden. Diese Entwicklung hat es in den letzten Jahren tatsächlich gegeben. Führte Deutschland im Jahr 1998 knapp 1,7 Millionen Ferkel ein, waren es nach Angaben der Bundesregierung im vergangenen Jahr 10,2 Millionen Tiere. Fast alle Importe stammen aus Dänemark und den Niederlanden.

Eine Impfung könnte eine weniger schmerzhafte Lösung sein

Der Agrarbranche wäre es nur recht, wenn künftig in der Bundesrepublik möglich wäre, was in Dänemark erlaubt ist (so genannter „skandinavischer“ oder „vierter Weg“). In Dänemark wird zwar die betäubungslose Kastration ebenfalls ab 2019 verboten sein. Dort darf jedoch seit 2018 ein Tierhalter selbst die Hodenentfernung vornehmen, sofern er das Tier lokal betäubt. Das Verfahren, das ohne Tierarzt stattfindet, ist kostengünstig und genau deshalb der Wunsch der deutschen Agrarbranche. Die Lösung, wie sie in Holland praktiziert wird – dort werden die Tiere mit einem Mittel namens Isofluran betäubt – spielt in der deutschen Debatte keine Rolle. Denn in Deutschland gibt es nach Auskunft der Bundesregierung kein dafür zugelassenes Tierarzneimittel: „Anders als in den Niederlanden“, so die Regierung weiter, dürfte diese Narkose „in Deutschland zudem nur von Tierärzten durchgeführt werden.“

Aus Sicht der Bundestierärztekammer und der Tierärztlichen Vereinigung Tierschutz (TVT) kommt das dänische Procedere, das die deutsche Agrarwirtschaft gerne übernehmen würde, keinesfalls in Betracht. „Die Verabreichung einer Lokalanästhesie in Hoden und Samenstränge ist für die Tiere hochgradig schmerzhaft. Sie sind durch die Fixation und Injektion gestresst und eine ausreichende Schmerzausschaltung während der Prozedur kann nicht garantiert werden – abgesehen davon, dass auch hinterher die Schmerzausschaltung in der Heilungsphase sichergestellt werden muss“, betont die TVT.

Was also tun? Die TVT macht sich für die Impfung (auch „Immunokastration“ genannt) stark. Sie unterdrückt bei männlichen Ferkeln die Hodenfunktion und damit die Entstehung des Ebergeruchs im Steak, der Wurst oder im Schnitzel. Das Verfahren, so die TVT, sei völlig unbedenklich und führe zu einwandfreien Lebensmitteln. Allerdings meint die Agrarlobby, dass die Bürger Fleisch von geimpften Tieren nicht kaufen würden. Diesen Einwand weist die Bundesregierung zurück und meint, dass die Branche nicht genug getan habe, um diese Produkte voranzubringen: Es lägen „keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine breite Masse der Verbraucher Fleisch von Tieren, bei denen die Immunokastration angewandt wurde, ablehnen. Die aktuelle geringe Marktakzeptanz reflektiert eine Zurückhaltung (…) der Branche gegenüber der Immunokastration.“