Die Kirche Zu unserer lieben Frau in Aichtal-Neuenhaus wird derzeit mit einem Aufwand von 180 000 Euro saniert. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Gotteshaus älter ist, als bisher vermutet.

Aichtal - Die schlechte Nachricht: der Turm der evangelischen Kirche Zu Unserer Lieben Frau in Aichtal-Neuenhaus ist um 25 Zentimeter gen Nord-Ost geneigt. Die gute Nachricht: das schiefe Mauerwerk hat sich nicht nur in den vergangenen mehr als 600 Jahren erfolgreich dem Wirken der Schwerkraft widersetzt – es steht auch weiterhin auf festem Grund.

 

„Der Turm muss sich schon in der Bauphase geneigt haben. Die Kirche steht am tiefsten Punkt des Orts, da war der Untergrund wahrscheinlich von Beginn an kritisch. Das auf ihn gesetzte Dachfachwerk ist dann wieder schwäbisch korrekt im Lot“, sagt der Tübinger Restaurator Martin Holzinger. Der Arbeitsplatz des Fachmannes befindet sich derzeit in acht Meter Höhe unter dem Chorgewölbe des Gotteshauses des Aichtaler Ortsteils. Dort bessert Holzinger die Malereien aus, denen der Zahn der Zeit ordentlich zugesetzt hat. „Die Farben sind zuletzt im Jahr 1961 aufgefrischt worden. Sie haben sich aufgelöst und müssen jetzt neu fixiert werden“, sagt der Restaurator, während er die Schichten vorsichtig mit Zelluloseleim besprüht. Holzinger orientiert sich dabei an der Farbvorlage der jüngsten Sanierung. „Aus dieser Zeit stammen auch die Kirchenfenster. Das gibt ein stimmiges Gesamtbild“, sagt er.

Sechs Jahre lang geplant, gespart und gesammelt

Rund 180 000 Euro lässt sich die evangelische Kirchengemeinde die Restaurierung ihrer Kirche unterm Strich kosten. „Ich bin jetzt seit sechseinhalb Jahren hier in Neuenhaus. Seither haben wir geplant, gespart und gesammelt“, sagt die Pfarrerin Stephanie Krause. Zuletzt hat sie einen Scheck der Staatlichen Lotto-Gesellschaft Baden-Württemberg über 15 000 Euro entgegengenommen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat mit dem Geld, das über die Rentenlotterie Glücksspirale eingenommen worden ist, das Sanierungsprojekt in Neuenhaus bedacht.

Holzbalken sind im Winter 1341/1342 geschlagen worden

Wenn keine bösen Überraschungen mehr auftauchen, dann sollten die Restauratoren ihre Mitte Februar begonnene Arbeit in der ersten Juniwoche abgeschlossen haben. Bis dahin steht der Pfarrerin und dem Kirchengemeinderat der rund 1000 Glieder zählenden Neuenhausener Gemeinde noch eine Zitterpartie ins Haus. Die Balken des Dachstuhls, die noch original aus der Bauzeit der Pfarrkirche stammen, haben Feuchtigkeit abbekommen. „Immerhin wissen wir jetzt, dass die Kirche noch älter ist, als wir bisher dachten“, sagt Stephanie Krause. Das Holz, das im Dachstuhl des Kirchenschiffes verbaut ist, wurde demnach im Winter 1341/1342 geschlagen. Bisher war man davon ausgegangen, dass der im Jahr 1480 gesetzte Schlussstein im Chor der Kirche das Baujahr angibt. „Es gibt sogar Indizien, die auf einen noch älteren Vorgängerbau hinweisen“, sagt Martin Holzinger. Ohne eine nähere Untersuchung sei das jedoch noch eine reine Spekulation.

Mit ihrem schiefen Turm steht die Kirche zu Unserer Lieben Frau im Landkreis Esslingen nicht alleine da. Auch die rund 900 Jahre alte Martinskirche in Neckartailfingen hat seit Menschengedenken Schlagseite. Ihr Turm neigt sich sogar 1,31 Meter aus der Senkrechten. Noch drei Meter mehr und das Neckartailfinger Wahrzeichen spielte in der gleichen Liga wie der weltbekannte Schiefe Turm von Pisa.