Andreas Laß fährt Rad – und mit wachsender Begeisterung immer weiter. Seine jüngste Tour führte den 59-Jährigen aus Aichwald an 76 Tagen durch 13 Länder.

Aichtal - Wenn Andreas Laß, über den Dächern des mediterranen Nizza radelnd, noch die zur Hundeabwehr angeschaffte Pfefferspray-Dose in der Tasche getragen hat, dann nur aus einem einzigen Grund: „Sie sollte mich daran erinnert, dass ich wenige Tage zuvor noch durch Bulgarien geradelt bin, wo ich sie wegen der wilden Hunde angeschafft hatte“, sagt der Radreisende. So viele unterschiedliche Augenblicke hat Laß auf seiner 9000-Kilometer-Tour durch halb Europa gesammelt, dass zurückliegende Erlebnisse angesichts der immer neuen Eindrücke schnell zu verblassen drohten. Zu schnell. „Und das wollte ich nicht. Das wäre zu schade gewesen“, sagt er.

 

Zurück im heimischen Aichtal-Grötzingen, braucht der 59-Jährige die Spraydose als Erinnerungshilfe nicht mehr. Will er die Stationen der Reise, die ihn an 76 Tagen durch 13 Länder geführt hat, in Gedanken noch einmal Revue passieren lassen, ruft er einfach die inzwischen im Computer gespeicherten Bilddateien auf.

Für die überdauernden Einsichten benötigt Laß, der sich mit dem Fahrrad als ernsthaftem Fortbewegungsmittel erst angefreundet hat, nachdem er vor sechs Jahren seinen stressigen Job als Troubleshooter eines weltweit tätigen Automobilzulieferers an den Nagel gehängt hatte, ohnehin keine technischen Hilfsmittel. „Wenn ich von Autofahrern richtig angehupt werde, dann nur in Deutschland“, ist eine dieser grundlegenden Erfahrungen. „In Europa ist der Wohlstand zweigeteilt. Die Grenze verläuft in Italien auf der Höhe von Rom“, eine weitere. Paradoxerweise hat er von dort an wieder begonnen, sein Trekkingrad in unbeaufsichtigten Momenten konsequent abzuschließen, nicht etwa auf dem Balkan oder in Griechenland.

Inspiration von Reisebekanntschaften

Die Ziele, die ihn jetzt antreiben, hat Laß allerdings von Reisebekanntschaften vermittelt bekommen, die unterwegs seinen Weg gekreuzt haben. „Ich dachte schon, ich sei mutig, so eine Tour in Angriff zu nehmen. Aber es gibt viele Radfahrer, die sind noch krasser unterwegs“, sagt er. Die junge Familie aus der Schweiz beispielsweise, die er irgendwo in Serbien getroffen hat. „Die waren mit zwei kleinen Kindern, drei und fünf Jahre alt, auf dem Weg nach Usbekistan“, sagt er. Oder der junge Mann aus Litauen, der mit Rad, Zelt und Musikinstrument zu einem Festival nach Indien unterwegs war.

„Der hat nur wild gecampt. Solche Leute inspirieren mich. Das sind die Leute, an denen ich mich ausrichte“, sagt Laß. Vor sechs Jahren hatte er noch in einer anderen, einer kleineren Welt gelebt. „Ich habe von Null angefangen, zuerst mit Touren von maximal 30 Kilometern“, erinnert er sich. Dann hat er den Radius und den Horizont nach und nach erweitert. Erst die Region, dann Baden-Württemberg, dann Deutschland. „Inzwischen fühle ich mich erst so richtig wohl, wenn ich die deutsche Grenze hinter mir gelassen habe“, sagt er. Vor drei Jahren ist er noch in ihrem Sichtkontakt geradelt – 6200 Kilometer, einmal rund um Deutschland herum. Im Jahr darauf stand eine 7000-Kilometer-Tour durch Italien und Spanien auf dem Programm. Und die 9000-Kilometer-Runde ans Schwarze Meer und zurück in diesem Jahr soll noch nicht das Ende gewesen sein.

Die Europa-Karte, die Laß von seinem Sohn geschenkt bekommen hat und auf der er seine Routen mit farbigen Reißknöpfen markiert, dürfte bald ausgedient haben. „Usbekistan“, sagt er und holt tief Luft: „Das kriege ich seither nicht mehr aus meinem Kopf heraus. . .“