Erst Wittwer in Stuttgart, jetzt Aigner in Ludwigsburg: Ende Januar macht die ehemalige Hofbuchhandlung dicht. Hermann Hesse hat hier gelesen, Günter Grass – Generationen haben hier Bücher gekauft. Dem Inhaber blutet das Herz.

Ludwigsburg - Es ist nicht irgendein Laden, es ist einer der ältesten und bekanntesten der Stadt. „Aigner – seit 1804“ steht an den Schaufenstern in bester Innenstadtlage. Und an der gläsernen Eingangstür: „Vormals Hofbuchhandlung“. 1804 kämpfte Europa mit den Nachwirren der Französischen Revolution und gegen Napoleon, Württemberg war gerade zum Kurfürstentum erhoben worden, es waren turbulente Zeiten. In diesem Jahr also kaufte ein Buchbindersohn ein Haus an der Asperger Straße in Ludwigsburg und eröffnete einen Buchhandel.

 

Mehrere Eigentümerwechsel und Umzüge und zwei Weltkriege hat das Unternehmen überstanden, aber jetzt ist ein Konkurrent hinzugekommen, gegen den Aigner nicht ankommt. Das Internet. Ende Januar ist Schluss, die zwölf Mitarbeiter haben ihre Kündigung erhalten. „Mir blutet das Herz“, sagt Hermann Aigner, 87 Jahre, Geschäftsführer und – wie manche ihn nennen – Firmenpatriarch. „Generationen von Menschen haben hier eingekauft, es ist sehr traurig.“

Wittwer macht weiter, Aigner nicht

Aigner ist für Ludwigsburg und das Umfeld von der Bedeutung vielleicht nur mit dem Buchhaus Wittwer in der Landeshauptstadt Stuttgart zu vergleichen, und auch sonst gibt es Parallelen. Inhabergeführt, altehrwürdig, bekannt und trotzdem in der Krise. Der Unterschied ist, dass Wittwer sich unlängst mit Thalia zusammengetan hat und weiter Bücher verkauft, während die Buchhandlung Aigner im Februar Geschichte sein wird. Er habe, erzählt Hermann Aigner, mit potenziellen Interessenten aus der Branche gesprochen, aber niemand sei bereit, sein Geschäft zu übernehmen.

Mit der Mörike-Buchhandlung und Thalia existieren zwei weitere Buchläden in der Stadt, und mehr gibt der Markt offenbar nicht her. Aigner hat einen Makler beauftragt, der sich um den Verkauf oder die Vermietung des Hauses an der Arsenalstraße kümmern soll.

Das Ende kommt nicht überraschend. Noch vor zehn Jahren beschäftigte Aigner fast 50 Mitarbeiter in drei Filialen, 2010 wurden die Geschäfte in Marbach und Kornwestheim verkauft, und das Ludwigsburger Stammhaus rutschte ins Minus. Aigner pumpte nach eigenen Angaben seither rund eine Million Euro in den Laden, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Bis zuletzt hoffte er wohl, dass sein Sohn Peter, gelernter Buchhändler und zuletzt Betriebsleiter, das Geschäft übernimmt. Aber der winkt ab. „Die Jugendlichen lesen heute keine Bücher mehr, da sind ganze Käuferschichten weggebrochen“, sagt der 55-jährige Junior.

Der Buchhandel hat mehr als sechs Millionen Leser verloren

Der Kundenrückgang ist verheerend, Ketten wie Thalia oder Hugendubel versuchen dagegenzuhalten, indem sie das Sortiment erweitern und Geschenkartikel und anderen Schnickschnack feilbieten. Ebenso verheerend ist, dass seit einigen Jahren Amazon und andere Internethändler den Alteingesessenen das Wasser abgraben. Aigner hat selbst in Online- und Versandhandel investiert. „Das Geschäft läuft sehr gut“, sagt Peter Aigner. „Es reicht aber nicht, um den Umsatzrückgang aufzufangen.“ Aktuelle Studien zeigen, dass der deutsche Buchhandel von 2012 bis 2016 rund 6,1 Millionen Käufer verloren hat. „Die jungen Leute gucken ja nur in ihre Smartphones“, sagt der Senior und zieht ein klobiges Handy aus der Tasche, das Display kaum größer als ein Daumennagel und das Gehäuse mit Klebeband fixiert.

Smartphone, Digital, Internet – es ist nicht seine Welt, und wohl auch deshalb widerspricht er seinem Sohn doch recht vehement. Davon, dass „unser Online-Handel sehr gut funktioniert“ habe, könne keine Rede sein, sagt Hermann Aigner. „Das hat sich für uns kaum gerechnet.“

Hermann Hesse war einer der ersten Gäste

Hermann Hesse, Günter Grass, Martin Walser – Autoren dieses Kalibers haben bei Aigner Bücher vorgestellt – das ist die Welt von Hermann Aigner, und es war die Welt seiner Vorgänger, seines Vaters, Großvaters, Urgroßvaters. Der erste Aigner hieß Julius und erhielt 1889 von König Karl I. den Titel des Hofbuchhändlers, nachdem er die Firma von anderen Eigentümern übernommen hatte. 1924 begannen die Aigners mit Literatur-Abenden. Hermann Hesse war einer der ersten Gäste. Stolz präsentiert Hermann Aigner die Korrespondenz seines Großvaters mit dem berühmten Schriftsteller. Die Lesungen waren immer umsonst. „Wir wollten den Ludwigsburgern etwas zurückgeben.“

Asperger Straße, Wilhelmstraße, Arsenalstraße – mit jedem Umzug ist Aigner gewachsen, das aktuelle Gebäude wurde 1978 noch einmal deutlich erweitert. 1200 Quadratmeter für Bücher: Es waren goldene Zeiten. 1979 wurde Aigner von der Zeitschrift „Buchmarkt“ zur schönsten Buchhandlung Deutschlands gewählt. „Tempora mutantur“, sagt Hermann Aigner, die Zeiten ändern sich, sind längst nicht mehr golden. Der Kehraus hat begonnen. Die Verlagsvertreter, die im Herbst eigentlich die Frühjahrsbestellungen aufnehmen, haben bereits ihren Abschiedsbesuch gemacht. Auch für viele Autoren aus der Region ist dies eine schlimme Nachricht, denn ihnen hat Aigner immer ein Forum gegeben.

Die Firma geht nicht in die Insolvenz, sondern in die Liquidation, das heißt: Sie hinterlässt keine Schulden. Das Wichtigste sei jetzt, alle Mitarbeiter „gut unterzubringen“, sagt Peter Aigner. Bei einigen sei das bereits gelungen. Er ist gut vernetzt in der Branche und bleibt ihr vielleicht erhalten. Er überlege, sagt der Junior, sich mit einem Buchhandel selbstständig zu machen. „Aber halt nicht mehr in dieser Größe.“