Vor 50 Jahren haben zwei Kunststudenten mit einem Mao-Gemälde gegen die Springerpresse demonstriert, am Samstag haben sie die Aktion wiederholt – und gegen die Datenkraken unserer Zeit protestiert. Aber es ging auch um eine Ausstellung im Haus der Geschichte.

Stuttgart - Vor 50 Jahren haben die damaligen Studenten Ulrich Bernhardt und Eckhard Siepmann mit einem großen Mao-Gemälde auf dem Schlossplatz gegen die Springerpresse protestiert. An diesem Samstag wiederholten sie die Aktion: Das Mao-Porträt war zwar nur noch halb so groß und der Protest richtete sich gegen den unkontrollierten, großen „Datenfrosch“ von Google und Co. – doch originell und unangemeldet war der Auftritt wie einst 1967. Und ganz nebenbei sollte damit auch Werbung gemacht werden für die 1960er-Jahre-Ausstellung im Haus der Geschichte, die Ende des Jahres in Stuttgart eröffnet wird.

 

Das damalige Ziel: „Enteignet Springer“

Es war die Zeit der Studentenunruhen im konservativen Wirtschaftswunderland mit der unbewältigten Nazivergangenheit, Monate nach dem Tod von Benno Ohnesorg und dem Mordanschlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke, als sich Bernhardt und Siepmann zu einer ungewöhnlichen Aktion entschlossen. Sie lehnten am 18. November 1967 ein drei auf drei Meter großes, von Bernhardt gemaltes Mao-Porträt mit der Sprechblase „Enteignet Springer“ an eine Säule des Königsbaus und verteilten Flugblätter. „Wir protestierten damit gegen die Springerpresse, die gegen die rebellische Jugend hetzte“, sagen Bernhardt und Siepmann heute: „Nun sind wir 75 Jahre alt, und unsere Begeisterung für Mao ist ernüchtert“. Der Protest und die Lust auf Widerstand sind aber geblieben.

Wechselweise lasen Bernhardt, freischaffender Künstler und Filmautor aus Stuttgart, und Siepmann, Kunsthistoriker aus Berlin, der in den 1970er Jahren den Verlag Elefantenpress gründete, am Samstag aus der Offenbarung des Johannes und verteilten Flugblätter, mit dem Bild der Aktion von vor 50 Jahren, aber mit aktuellen Bezügen. „Ihr renitenten Stuttgarter habt 2010 mutig, kreativ und massenhaft gegen S 21 demonstriert und Deutschland eine unvergessliche Lektion für einen Widerstand gegen profitorientierten High-Tech-Wahnsinn erteilt“, der in „einer mafiösen Struktur aus Politik, Bauwirtschaft und Banken die Selbstzerstörung Stuttgarts vorantreibt“, heißt es auf den Flugblättern.

Anders als vor 50 Jahren große Zeitungshäuser manipulierten heute weltumspannende Unternehmen der Datenbranche die Menschen. „Wir müssen diese Prozesse wieder selbst steuern und kontrollieren, damit eine gerechte Gesellschaft ohne monopolistische Herrschaftsstrukturen und Superprofiteure entsteht“, sagte Bernhardt vor dem halben Mao-Porträt. Die andere Hälfte ist bei einer Ausstellung in den 1980er Jahren gestohlen worden.

Wo ist die gestohlene Hälfte des Mao-Porträts?

„Schon die Aktion 1967 war in den Zeiten der massiven Studentenproteste besonders originell“, sagte Sebastian Dörfler, einer der Kuratoren der 19060er-Jahre-Ausstellung. Das halbe Gemälde wird dann auch im Haus der Geschichte gezeigt. „Es ist unser größtes Exponat“, sagt Dörfler, der hofft, dass die andere Hälfte vielleicht wieder auftaucht.

Nach einer guten halben Stunde war die unangemeldete Aktion auf dem Schlossplatz vorbei: Bernhard und Siepmann hatten ihre Flugblätter verteilt, Mitarbeiter des Hauses der Geschichte die Ausstellungsflyer unter die Leute gebracht. Und Bernhardt erinnerte sich noch daran, wie vor 50 Jahren Polizisten aufgetaucht waren und gefragt hatten, was sie hier machten. „Das ist eine geistige Atombombe, habe ich geantwortet – und die Polizei ging wieder.“ Am Samstag kam keine Polizei.