Florian Tuercke verwandelt Verkehrslärm in Musik. Am Montag hat er in Stuttgart die urbane Geräuschkulisse aufgezeichnet.
01.06.2010 - 07:15 Uhr
Stuttgart - Der Gebhard-Müller-Platz ist nicht idyllisch. Doch für Florian Tuercke ist die vielbefahrende Kreuzung der ideale Ort für seine Aktion "Urban-Audio", denn der Künstler aus Nürnberg kreiert aus Verkehrslärm Musik. Die bremsenden, anfahrenden und vorbeirauschenden Fahrzeuge dienen ihm als Orchester. Für ihn habe der innerstädtische Verkehr kompositorisches Potenzial, sagte der Medienkünstler. Am Montag hat er mit seinem Instrumentarium die musikalischen Fähigkeiten der Stuttgarter Autofahrer untersucht. Am Straßenrand steht sein weißer Transporter. Wie Sonden stellt er sechs seiner acht Aufnahmegeräte rund um die große Kreuzung auf. "Mehr sind hier nicht sinnvoll", sagte er. So funktioniert es: an Metallstangen sind fußballgroße, gelbe Plastikkugeln befestigt, in denen wie bei einer Gitarre Saiten gespannt sind. Diese werden durch den von den Autos erzeugten Schall in Schwingungen versetzt, die dann per Funk in das kleine Tonstudio im Transporter gesendet und dort aufgezeichnet werden. Der erste Eindruck vom Stuttgart-Sound via Kopfhörer: ein kräftiges dunkles Brummen, im ersten Moment ein wenig bedrohlich, dann aber auch sakral bis erdig.
Durch die Interaktionen vieler Leute auf der Straße ergäben sich interessante Strukturen, berichtet der 33-Jährige. "Das versuche ich musikalisch umzusetzen." Eine Stunde dauert die Aufnahme, später wird sie im Studio nachbearbeitet. Für die wenigsten Hörer seien seine Aufnahmen Krach, die meisten fänden sie entspannend. Es gehe ihm darum, etwas vermeintlich Hässliches in etwas zu verwandeln, das eine angenehme und schöne Komponente habe, erklärt Tuercke.
"Es ist spannender, wenn der Verkehr fließt"
Am Gebard-Müller-Platz stellt er die Instrumente mit den Tönen D, E, Fis, G, A und H auf. Wer in Richtung Bahnhof unterwegs ist, erzeugt einen D-Dur-Akkord, und wer stadteinwärts fährt, einen G-Dur-Akkord. Sind denn tatsächlich musikalische Unterschiede zu anderen Städten auszumachen? "Ja, jede Stadt hat einen unterschiedlichen Charakter", sagt Tuercke. In Stuttgart gebe es, anders als zum Beispiel in Magdeburg, wegen der Umweltzone keine "alten, lauten Dreckschleudern" mehr auf den Straßen. Stuttgart sei eine wohlhabendere Stadt, die Autos seien größer und leiser. In Wiesbaden werde viel mehr gehupt als in Stuttgart, hat Tuercke festgestellt. Er achtet darauf, dass die Aufnahmen in allen Städten etwa zur gleichen Zeit laufen. Dichter und stockender Berufsverkehr habe sich als musikalisch nicht interessant gezeigt, so Tuercke: "Es ist spannender, wenn der Verkehr fließt." Tuercke hat nicht nur den Transporter technisch ausgerüstet, sondern auch die Instrumente selbst entwickelt und gebaut. Das weiße Fahrzeug mit Vorzelt und seine aufgestellten Instrumente versteht Tuercke als Teil einer temporären Skulptur. Mit seinem Projekt war der Medienkünstler bereits schon in den USA unterwegs, reist bis Herbst quer durch Deutschland und macht in den 16 Landeshauptstädten Station. In Magdeburg, Wiesbaden und Mainz war er schon. Letzte Station soll Berlin werden. Die Stuttgarter Verkehrsmusik ist in etwa zwei Wochen im Internet anzuhören.
Außerdem plant Tuercke Ausstellungen, bei denen alle Kompositionen präsentiert werden sollen.
Mehr Informationen im Internet unter
http://www.stadt-akustik.de