Die EU macht der Türkei Zugeständnisse, um den Flüchtlingsstrom zu bremsen. Doch an der Vereinbarung gibt es sofort nach dem EU-Gipfel Kritik. Reichlich Stoff also für den Besuch von Kanzlerin Merkel in der Türkei an diesem Wochenende.

Brüssel - In der Flüchtlingskrise signalisiert die EU dem wichtigsten Transitland Türkei Entgegenkommen. Um den Strom von Flüchtlingen nach Europa zu begrenzen, verständigten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in der Nacht zum Freitag in Brüssel grundsätzlich auf einen Aktionsplan.

 

Doch viele Fragen bleiben noch offen, etwa wie viel Geld die Türkei von der EU bekommen soll. Für eine weitere Annäherung will sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer Reise in die Türkei am Wochenende einsetzen.

Die Kanzlerin hatte angekündigt, bei ihrem Treffen mit Präsident Recep Tayyip Erdogan auch strittige Punkte ansprechen zu wollen. Etwa der Anti-Terror-Kampf oder die Menschenrechtslage.

Rund zwei Millionen Syrer leben in der Türkei

Drei Milliarden Euro hatte Ankara für die Versorgung von Flüchtlingen im Land gefordert - drei Mal so viel wie von der EU angeboten. „Wir werden mit der Türkei in den nächsten Tagen über die Finanzierung und das Ganze reden“, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach rund achtstündigen Beratungen. In dem EU-Kandidatenland Türkei leben rund zwei Millionen Menschen, die aus dem kriegserschütterten Syrien geflohen sind.

Im Gegenzug sagte die EU zu, die Lockerung der Visa-Pflicht für türkische Bürger zu beschleunigen, sagte Juncker. Die Türkei soll auch eine Perspektive für den gewünschten Beitritt zur Union bekommen. „Der Beitrittsprozess muss mit neuer Energie weitergeführt werden“, steht in der Abschlusserklärung.

„Vollständige Umsetzung des Rückübernahmeabkommens“

Dafür verpflichtet sich die Türkei, Migranten zurückzunehmen, die illegal über die Türkei in die EU eingereist sind. Der Gipfelbeschluss nennt als Ziel, „die vollständige Umsetzung des Rückübernahmeabkommens zu beschleunigen“.

Die Türkei ist in der Flüchtlingskrise von entscheidender Bedeutung, weil das Land an Syrien grenzt und zugleich gemeinsame Grenzen zu den EU-Ländern Bulgarien und Griechenland hat.

Der Gipfel beschloss, die gemeinsamen Außengrenzen besser zu schützen. So soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex das Recht erhalten, in bestimmten Fällen die Abschiebung von Migranten umzusetzen. Frontex und das Europäische Asyl-Unterstützungsbüro EASO sollen zudem personell gestärkt werden, die EU-Staaten haben zugesagt, weitere Grenzschützer und Asylexperten bereit zustellen.

Schlüssel zur Verteilung von Flüchtlingen bleibt umstritten

Umstritten bleibt das Vorhaben der EU-Kommission, einen dauerhaften Schlüssel zur Verteilung von Flüchtlingen festzulegen. „Wir können ja nicht alle sechs Monate wieder von vorne anfangen“, sagte Juncker. Die bisher vereinbarte Verteilung von 160 000 Flüchtlingen auf die EU-Staaten beruht auf einer Notfallregelung. Merkel räumte ernste Meinungsverschiedenheiten ein. Es habe „sehr ehrliche Diskussionen“ gegeben.

Kritik kam aus dem Europaparlament. Milliarden-Zahlungen wären Wahlkampfhilfe für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, kritisierte Rebecca Harms, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament mit Blick auf die von Erdogan angesetzten Neuwahlen am 1. November. „So richtig die erneute Einsicht ist, dass die EU und die Türkei sich gegenseitig brauchen, so falsch ist es, dass die Vertreter der EU und die Regierungschefs zu der politischen Eskalation in der Türkei schweigen“, sagte Harms.

Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber, kritisierte: „Die Ergebnisse des Gipfels sind für die Herausforderungen durch die Flüchtlingskrise eindeutig zu wenig.“ Zu viele EU-Staaten glaubten immer noch, dass sie sich „mit einer Augen-zu-Strategie durchmogeln können. Dies ist aber Illusion.“