Singen, tanzen, lachen: Die Musiktherapie im Münchinger Spitalhof kommt prima an. Sogar Fachleute sind von den Auswirkungen auf die plötzlich viel entspannteren Senioren überrascht. Nur eines fehlt.

Korntal-Münchingen - Liselotte P. swingt durch den Raum. Ihre Hüfte schaukelt nach rechts und links, während sie sich ihrem Platz auf dem Sofa nähert, ihre Hand malt unsichtbare Töne in die Luft. Die kleine alte Frau strahlt. Michael Bäßler hat kaum die ersten Akkorde auf seiner Akustikgitarre gespielt, da hat seine Musik die Seniorin schon mitten ins Herz getroffen.

 

Der 30-Jährige ist Musiktherapeut und arbeitet seit 2015 eng mit dem Spitalhof in Münchingen zusammen. Regelmäßig besucht er Wohngruppen im Altenheim und musiziert und singt mit den Bewohnern. Viele davon sind dement, und gerade auf sie hat die Musik einen besonderen Effekt. „So viel, was man verloren geglaubt hat, kommt wieder zum Vorschein. Man merkt es beim ersten Ton“, sagt Michael Bäßler.

Sogar die Hausleiterin ist beeindruckt

Musik rege im Vergleich zur gesprochenen Sprache mehr Bereiche im Hirn an und beeinflusse so die Emotionen ebenso wie die Motorik und das Sprachzentrum. Sigrid Tüchter, eine Wohnbereichsleiterin, berichtet Erstaunliches. Durch die Therapie richteten sich die alten Leute mehr auf und gingen besser, der Blick werde klarer, die Zunge löse sich, sie würden agiler und fröhlicher. „Mit einen Klang kann man alle Bereiche ansprechen“, sagt Michael Bäßler.

Laut einem Bericht des „Ärzteblatts“ haben Forscher der Frankfurter Goethe-Universität derartige Veränderungen bei Demenzpatienten während einer Musiktherapie-Studie bereits dokumentiert. Der Schlüssel zur Welt der Senioren sind Lieder aus deren Kindheit und Jugend. Volkslieder etwa und Schlager, „Lili Marleen“, „Am Brunnen vor dem Tore“, „Die Gedanken sind frei“. Während neuere Erinnerungen häufig schon ausgelöscht sind, sind die Hits von früher oft auch im fortschreitenden Stadium der Demenz noch präsent. Sie zu hören und zu singen bringe ein Gefühl von Geborgenheit. „In der Gruppe überträgt sich das auf andere“, weiß Michael Bäßler. Sigrid Tüchter bestätigt das, „das hält noch Tage an“. Viele Senioren gingen singend durch die Flure.

Auch der Therapeut lernt dazu

Auch die Hausleiterin spricht von einer positiven Energie. „Die Leute werden leichter und völlig entspannt“, erklärt Patricia O’Rourke. Sie ist vom Erfolg überzeugt und hat die Musiktherapie längst in allen drei Wohngruppen eingeführt. Finanziert wird die Therapie vom Förderverein. „Ich würde es gern wöchentlich anbieten, wenn mehr Mittel da wären“, sagt sie. Michael Bäßler stellt klar, dass die Therapie nicht bei allen Personen gleich gut funktioniere, auch könne sie die Demenz weder aufhalten noch heilen, „aber sie kann den Umgang ändern“.

Die meisten Senioren singen bei „Muss i denn zum Städtele hinaus“ und „Hoch auf dem gelben Wagen“ textsicher mit. Füße wippen, Finger tanzen auf Stuhllehnen, dazu erklingen Rasseln und Glöckchen, die Michael Bäßler reihum ausgeteilt hat. Ein Mann schlägt nicht immer taktsicher, aber engagiert die Trommel. Auch beim gebürtigen Münchinger Bäßler ist eine Veränderung eingetreten. Er redet lauter, deutlicher, sieht die Menschen intensiv an, wenn er sie anspricht, und er verfällt stark ins Schwäbische. „Am Schluss dürfet Sie älle batscha“, ruft er in die Runde.

Bei den Capri-Fischern gibt es kein Halten

Anna B. wartet nicht auf weitere Ermunterungen. Bei den „Capri-Fischern“ zieht sie Liselotte P. vom Sofa und tanzt mit ihr im Kreis. Die beiden Frauen strahlen sich an. „Bella, bella, bella Marie“, schmettern sie sich entgegen. Als das Lied zu Ende ist, klatschen sie munter – und lachen. Das Alter und die damit verbundenen Leiden haben sie einfach vergessen.