Sieben Aktivisten der Letzten Generation müssen sich vor dem Amtsgericht Bad Cannstatt verantworten. Der Vorwurf: Nötigung, weil sie mehrfach die Bundesstraße 10 blockierten und dadurch Staus verursachten.

Aimee van Baalen hätte niemals gedacht, dass sie eines Tages als Angeklagte vor Gericht erscheinen muss. „Ich bemühe mich schon mein Leben lang, eine aufrichtige, empathische und gerechte Person zu sein, die nicht selbstorientiert durchs Leben geht, sondern der Gesellschaft etwas zurückgibt. Das war schon immer so“, sagte die 22-Jährige am Donnerstag im Amtsgericht Bad Cannstatt. Ihr Handeln begründete sie mit der drohenden Klimakatastrophe, die all „unsere Mühen für eine gerechte und liebevollere Welt komplett zunichtemacht“, betont die Sprecherin der „Letzten Generation“. „Ich habe die Wahl, entweder ignoriere ich den Umstand, dass Milliarden von Menschen fliehen werden und es Kriege um Wasser geben wird, oder ich leiste mit allem, was ich habe, Widerstand.“

 

Blockade auf Höhe der Wilhelma

Im Rahmen der Kampagne „Essen Retten – Leben Retten“, die auf die Verschwendung von Lebensmitteln aufmerksam macht, hat die Sprecherin der „Letzten Generation“ gemeinsam mit sechs weiteren Mitstreitern am 31. Januar und am 4. Februar 2022 in Stuttgart die Bundesstraße 10 blockiert. Auf Höhe der Wilhelma setzten sie sich mit Transparenten auf die Fahrbahn und verursachten damit Verkehrsbehinderungen.

Beim ersten Mal blockierten die Protestierenden die Neckartalstraße für knapp 45 Minuten, beim zweiten Mal trug die Polizei sie bereits nach rund 20 Minuten von der Fahrbahn. Beide Protestaktionen seien friedlich verlaufen. Die Reaktion der Autofahrerinnen und Autofahrer sei sehr unterschiedlich ausgefallen, so eine der Angeklagten: „Natürlich ist niemand glücklich, wenn er plötzlich im Stau steht. Es wurden wilde Beschimpfungen und Androhungen von Gewalt vorgebracht. Viele haben ihren Ärger aber auch sehr beherrscht geäußert oder gesagt, dass sie unser Anliegen unterstützen.“

Mit der damaligen Protestaktion habe man auf Missstände hinweisen wollen, sagte Moritz Riedacher, der für den Bereich Stuttgart Sprecher der Klimaschutzbewegung ist und sich ebenfalls vor Gericht verantworten muss. „Um alle Lebensmittel herzustellen, werden unheimlich viel Arbeit, Energie, Wasser und meist sehr umweltschädliche Düngemittel aufgewendet“, sagte der 26-Jährige. Dementsprechend habe man sich dafür eingesetzt, dass das „Containern“ legalisiert werde, sagte Aimée van Balen. Wer noch genießbare Lebensmittel aus Mülltonnen von Supermärkten fischt, dürfe nicht belangt werden. In Deutschland würde tonnenweise Nahrung weggeworfen, die noch zum Verzehr geeignet ist. Das stehe in einem unverantwortlichen Gegensatz zum rapide zunehmenden Hunger in der Welt, sagte die 22-Jährige, deren Hoffnungen auf Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ruhen. Auch der Grünen-Politiker fordert die Straffreiheit fürs „Containern“.

Auf Straffreiheit hoffen die sieben Angeklagten – zwei davon müssen sich noch für eine Protestaktion am Planietunnel verantworten – am Amtsgericht Bad Cannstatt ebenfalls. Ein Freispruch ist aber eher unwahrscheinlich. Zuletzt wurden Aktivisten, die im vergangenen September ebenfalls die Bundesstraße 10 blockierten und so Autofahrer bewusst zum Anhalten „nötigten“, zu Geldstrafen verurteilt.