In zwei Sachbuch-Bestsellern entdecken die Autoren überall nur Schwachsinn und Verdummung. Unser Autor versucht sich genau hier an einem Beitrag zu dieser Dummheitsdebatte – obwohl die StZ „selbstverständlich Teil eines Mainstream-Medienkartells ist“.
Stuttgart - Es steht schlimm um Deutschland. Ganz schlimm. Alles geht den Bach runter. Natürlich auch in den Medien. Das soll aber niemand mitbekommen. Deswegen wollten wir uns an dieser Stelle eigentlich wieder der allgemeinen Bespaßung unserer Leserschaft mit trivialen Themen zuwenden. Zumal auch die Stuttgarter Zeitung selbstverständlich Teil eines Mainstream-Medienkartells ist, das sich auf Druck dunkler Mächte verschworen hat, durch allgemeine Niveauabsenkung die Deutschen auf Dauer dumm zu halten.
Wir erlauben uns an dieser Stelle eine Ausnahme. Jetzt, wo die bittere Wahrheit über den allgemeinen Niedergang ohnehin schon ans Licht gekommen ist, können wir uns auch gleich in die aktuelle Dummheitsdebatte einmischen. Sie ist im vollen Gange und manifestiert sich unter anderem in Buchform. Um nur zwei Beiträge zu nennen, die seit Wochen auf der Bestsellerliste des „Spiegels“ stehen: Der ins Sonntagvormittagsprogramm abgeschobene Fernsehjournalist Peter Hahne hat seine „Empörung gegen den täglichen Schwachsinn“, die er allwöchentlich in der „Bild am Sonntag“ veröffentlicht, als Buch vorgelegt unter dem Titel „Rettet das Zigeuner-Schnitzel“.
Sie werden es schon ahnen, die titelgebende Kolumne empört sich gegen eine angebliche „Political Correctness“, die es den Menschen in diesem Lande verbiete, ein Schnitzel mit Paprikasoße weiterhin Zigeunerschnitzel zu nennen. Sie ahnen das Thema deshalb so schnell, weil jeder „Wutziputzi87“ und „Wutbürger00“, kurzum, fast jeder, der Zeit findet, die Kommentarforen der Online-Nachrichtenportale mit seiner Meinung zu füllen, schon den gleichen Gedanken geäußert hat.
In der Tat könnte man fast alle Wutausbrüche von Hahne und seine Beschwörung guter alter Werte wie Anstand und Aufrichtigkeit, etwas ungelenker formuliert und in unsicherer Rechtschreibung, an jenen Online-Hyde-Park-Corners finden, wo sich die nach eigener Einschätzung Klügsten der Nation zusammenfinden, um gegen die Dummheit der anderen in die Schlacht zu ziehen.
Geld verdienen durch Jammern
An ihrer Seite kämpft die zweite Bestsellerautorin, Professor Doktor Brigitte Witzer. Sie arbeitet laut Klappentext als „Executive Coach mit Schwerpunkten in Veränderungsmanagement und Umgang mit Macht“. Brigitte Witzer ist das Kunststück gelungen, auf 269 Seiten eine „Diktatur der Dummen“ zu beklagen, ohne einen einzigen originellen, die intellektuelle Debatte dieses Landes bereichernden Gedanken zu äußern.
Dennoch lohnt es sich, sich mit den beiden Erfolgsbüchern näher zu beschäftigen. Sie sind ein Beispiel, wie es der kulturellen Verwertungsindustrie gelingt, selbst am Gejammer über die kulturelle Verwertungsindustrie mitzuverdienen. Dies gelingt dank eines populären Topos: des Vorwurfs der Dummheit. Wer ihn in einer gesellschaftlichen Debatte ins Feld führt, beendet die Diskussion. Gegen Dummheit helfen keine Argumente. Wer mag schon eine Position vertreten, die als „dumm“ gebrandmarkt ist? Tut man es dennoch, stellt man sich als intellektuell nicht satisfaktionsfähig außerhalb des Diskurses.
Mit dem Vorwurf der Dummheit lässt sich auf zwei Arten arbeiten. Zum einen kann man die Dummheit der anderen, der Masse, beklagen. Leider, so geht diese Argumentationslinie, mangele es den meisten Menschen an Verstand, zumindest aber an Entschließung und Mut, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Deshalb würden sie, schreibt zum Beispiel Brigitte Witzer, statt ein gutes Buch zu lesen (sie schlägt ernsthaft ihr eigenes vor!), lieber vor dem Fernseher sitzen und schlechte TV-Dramen schauen. Was sie in einen Teufelskreis bringe: „Das Niveau sinkt immer weiter, sprich: Die Geschichten werden immer schlichter, die Dialoge immer mechanischer, die Liebesverwicklungen immer durchschaubarer“, schreibt die Autorin.
Eine Clique von Mächtigen regiert angeblich die Medien
Logisch, dass sich jeder, der sich keine Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen anschaut, im Lager der Klugen und Weisen wähnen darf. Was übrigens Witzer selbst unter Qualitätsfernsehen versteht, schreibt sie einige Zeilen später. Sie lobt die ZDF-Serie „Stolberg“ mit der Begründung, deren Hauptdarsteller trete im Anzug auf und treffe eine Mörderin in der Oper (sic!).
Die zweite Argumentationslinie betrifft die Medien. Sie seien Verdummungshelfer, Instrumente in den Händen einer kleinen Clique von Mächtigen, von Politikern und Wirtschaftsbossen. Für Autoren wie Thilo Sarrazin und Akif Pirinçci sind die Medien die Einpeitscher der Political Correctness, die die Mehrheit verdumme, weil sie verhinderten, dass die Wahrheit ausgesprochen werde. Diese Position teilen viele, die den Vorwurf des Denkverbotes in teils giftigen Internetbeiträgen aufgreifen.
Brigitte Witzer dreht den Vorwurf in eine andere Richtung. Für sie orientieren sich auch Qualitätsmedien zu sehr am Massengeschmack. Ihr empirischer Beleg: Sie beobachtete einen FAZ-Redakteur, der in einem Café im Prenzlauer Berg die „Bild“-Zeitung liest. Dummheit und Verdummung schaukelten sich auf diese Weise hoch. Peter Hahne, der als „Bild“-Kolumnist naturgemäß etwas zurückhaltender sein muss in seiner Medienschelte, entdeckt die Dummheit zumindest bei den anderen, den linksgerichteten Medien.
Intellektuelle Schlichtheit
Es leuchtet sofort ein, warum der Topos der „Dummheit“ so verführerisch ist. Wer erkannt hat, wo überall die Dummheit lauert, kann nicht selber dumm sein. Ironischerweise macht aber gerade der bequeme Vorwurf der Dummheit dumm. Wer sich mit den Argumenten der anderen nicht auseinandersetzt, sondern sie nur abqualifiziert, schärft seine intellektuellen Waffen nicht.
Das lässt sich sehr gut an Brigitte Witzers „Die Diktatur der Dummen“ zeigen. Nachdem sie wild zusammengewürftelte, wenngleich nicht sonderlich konkret benannte Nistplätze der Dummheit in unserer Gesellschaft ausgemacht zu haben glaubt, kommt sie auf den letzten zwei Dutzend Seiten zu Schlussfolgerungen, die ob ihrer intellektuellen Schlichtheit ihren Lesern die Tränen in die Augen treiben müssten. Zum Beispiel: die Medien sollten nur noch „Wahres und Wichtiges berichten“, die Gesellschaft solle auf Helden und Popstars verzichten, und die Politiker sollten mehr Ahnung haben von dem, was sie tun.
Aber was ist wahr, was wichtig? Kann eine Gesellschaft auf Helden verzichten, und was würde das bringen? Müssen Politiker von den Inhalten mehr verstehen als Fachexperten, oder sollten sie nicht besser den politischen Prozess organisieren? Aus den Phrasen die eigentlichen Probleme herauszumeißeln, dazu hätte es eines großen Maßes an Klugheit bedurft.