Der Spardruck, zu wenige Bewerbungen: die Krankenhäuser in der Region Stuttgart haben zunehmend Schwierigkeiten, Hebammenstellen zu besetzen. Das führt zu gravierenden Problemen. Ein Runder Tisch soll nun Lösungsvorschläge entwickeln.

Kreis Ludwigsburg - Es ist ein gewagter Vergleich, aber ein passender. „Das war für manche Schwangere wie die Suche in Bethlehem nach dem Stall“, sagt Anja Tieg, leitende Hebamme am Klinikum Ludwigsburg. Heutzutage suchen Schwangere keinen Stall, sondern Geburtsstationen, und da herrscht Mangel in der Region. Spätestens seit dem Sommer 2016, als das Klinikum Stuttgart begann, den Betrieb der Geburtsstation zurückzufahren. Weil keine Hebammen zu finden waren, musste auch der Kreißsaal in Mühlacker für mehrere Monate geschlossen werden. Die abgewiesenen Schwangeren kamen häufig nach Ludwigsburg, erzählt Tieg. „Den Anstieg haben wir deutlich bemerkt.“

 

Den sinkenden Zahlen an Geburtshelfern stehen steigende Geburtenzahlen in der Region gegenüber. Beides zusammengenommen ergibt ein gravierendes Problem, denn: ohne Hebamme ist die Niederkunft im Krankenhaus nicht erlaubt. Wer Geburtskliniken nach ihren Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung fragt, stößt nicht immer auf offene Türen. Die Rems-Murr-Kliniken verweigern die Auskunft über Beschäftigtenzahlen. Ingo Matheus vom Klinikverbund Südwest, zu dem auch das Klinikum Sindelfingen-Böblingen gehört, sagt: „Bisher haben wir es geschafft, alle Stellen wieder zu besetzen, es dauert aber momentan etwas länger“. Die Sprecherin des Klinikums Esslingen, Anja Dietze, teilt mit, dass drei Stellen frei seien.

Inzwischen ist ein regelrechter Kampf zwischen den Kliniken entbrannt

Inzwischen ist ein regelrechter Kampf entbrannt: „Die Kliniken werben sich gegenseitig Hebammen ab“, sagt Jutta Eichenauer, die Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg. Alle Kliniken müssten sich heute von ihrer besten Seite zeigen, um überhaupt noch Personal zu finden. Einer Klinik gelingt das offenbar gut. Das Krankenhaus in Bietigheim habe nie große Probleme gehabt, Hebammenstellen zu besetzen, sagt Alexander Tsongas, der Sprecher der Regionalen Kliniken-Holding, zu der neben dem Bietigheimer auch das Ludwigsburger Krankenhaus gehört. Beide Häuser arbeiten nach einem neuen Expertenstandard, der von Geburtshelferinnen selbst entwickelt wurde. Eine Rarität in der Region: die Kreißsäle sind hebammengeführt. Das heißt, dass die Geburtshelferinnen die alleinige Verantwortung haben, aber jederzeit ärztliche Hilfe hinzuziehen können. Die Hausgeburt wird so quasi in die Klinik verlegt.

Damit liegen die beiden Krankenhäuser im Trend, denn eine Geburt soll heutzutage wieder möglichst natürlich ablaufen. Es gilt, die Mutter-Kind-Bindung zu stärken und Kaiser- sowie Dammschnitte zu reduzieren. „Ich kann hier ausüben, was ich gelernt habe“, sagt die Hebamme Angela Tremmel. In der hauseigenen Elternschule gibt sie außerdem Hypnosekurse für Frauen, die bei einer Geburt traumatische Erlebnisse hatten. Das Krankenhaus in Bietigheim zeigt sich offen gegenüber Neuem – und gewinnt deshalb offensichtlich leichter Personal.

Andere Krankenhäuser greifen zu anderen Methoden. Das Klinikum Esslingen setzt auf Familienfreundlichkeit und bietet Hebammen Kinderbetreuungsplätze samt Ferienprogramm. Bisher hat das nicht ausgereicht, genügend Geburtshelfer aus Deutschland anzulocken, weshalb in Esslingen nun zwei Hebammen aus Italien im Einsatz sind. Nichts Außergewöhnliches: die Göppinger Alb-Fils-Klinik habe gute Erfahrungen mit Rumäninnen und Italienerinnen gemacht, sagt die Sprecherin Britta Käppeler.

Die Bewerberzahlen sind drastisch zurückgegangen

Im Imagevideo der Rems-Murr-Kliniken verspricht Marielle-Christine Korn, die Bereichsleiterin Entbindung, drei Hebammen pro Schicht, einen Putzdienst und Hilfen für administrative Tätigkeiten. „Wir haben auch schon Radiowerbung geschaltet, um Nachwuchs anzuziehen“, sagt die Kliniksprecherin Monique Michaelis. Von April an sollen in Winnenden Hebammen in Kooperation mit der Uni Freiburg ausgebildet werden – auch andere Häuser in der Region beteiligen sich an dem Projekt, das vor allem einen Missstand beheben soll. „Es werden zu wenige Hebammen ausgebildet“, sagt Jutta Eichenauer. Was dazu führt, dass die Bewerberzahlen drastisch zurückgegangen sind, obwohl das Interesse an dem Beruf hoch ist. Im Jahr 2015 meldeten sich durchschnittlich sechs Bewerberinnen und Bewerber auf einen freien Ausbildungsplatz.

Ein weiteres Problem ist, dass die Geburtshelferinnen in Deutschland im Schnitt nur rund drei Jahre an Krankenhäusern bleiben. Das liege nicht nur daran, dass dieser Job extrem familienunfreundlich sei. „Die Hebammen sind am Limit“, sagt Jutta Eichenauer vom Hebammenverband. Sie betreuten teilweise drei bis fünf Geburten gleichzeitig. Kaum eine Hebamme arbeite in Vollzeit, denn das halte kaum jemand durch. „Dienstpläne werden nicht eingehalten. Die Situation steht vor dem Kollaps.“

In der Öffentlichkeit steht jedoch eher die Diskussion um die Haftpflichtbeiträge, die für freie Hebammen in die Höhe geschossen sind, im Vordergrund. Von dieser Problematik, so Jutta Eichenauer, seien die angestellten Hebammen aber gar nicht betroffen, wohl aber von dem zunehmenden Spardruck an Krankenhäusern. „Kliniken sind Unternehmen, das ist der größte Fehler“, sagt Eichenauer. „Geburten bringen wenig Umsatz.“ Solange der Staat nicht eingreife, sehe sie kaum eine Chance für höhere Personalschlüssel und eine bessere Bezahlung der Geburtshelfer.

In Baden-Württemberg wurde nun auf Initiative des Sozialministeriums ein Runder Tisch mit Politikern, Medizinern und anderen Experten sowie Eltern eingerichtet, auch der Hebammenverband ist dabei. Das kommt viel zu spät, kritisiert Eichenauer. Das erste Treffen war im Januar. „Wir sind noch ganz am Anfang.“