Die Chefs der Al-Qaida-Terrorgruppe werben in ihren Kreisen für eine neue Zentrale in Syrien bei der Stadt Idlib. Das deckt sich mit der Einschätzung von amerikanischen Terrorexperten.

Damaskus - Diesmal war die Botschaft des Al Qaida-Chefs für seine Verhältnisse ungewöhnlich kurz. Ganze zehn Minuten dauerte die Tondatei von Ayman al Zawahiri mit dem Titel „Zieht hin in die Levante“, in der der Top-Terrorist seine Anhänger erstmals auf ein eigenes Islamisches Emirat in Syrien einschwor. Syrien sei heute die Hoffnung der Gemeinschaft aller Muslime, „weil hier die einzige volksnahe Revolution begann, die dem richtigen Weg folgt“, erklärte er. Das Projekt der Terrorkonkurrenten vom „Islamischen Staat“ dagegen sei kein „rechtgeleitetes Kalifat“, sondern das Werk von Abtrünnigen und Extremisten.

 

Ob er selbst die Führung der neuen Terror-Enklave beansprucht, ließ der 64-Jährige offen, auf dessen Kopf die USA 25 Millionen Dollar ausgesetzt haben. „Wenn sie eine muslimische Regierung etablieren und einen Imam wählen, dann ist ihre Wahl auch unsere Wahl“, erklärte er.

Für Syrien, aber auch für Europa und die USA bedeutet dies nichts Gutes. Denn Zawahiris Ankündigung deckt sich mit der Beobachtung westlicher Geheimdienste, dass in den letzten Wochen eine Reihe von Al Qaida-Veteranen in die von der Al Nusra-Front kontrollierte nordsyrische Region um Idlib einsickerten.

Nicht weit weg von Jerusalem

Darunter befindet sich Abu Mohamed al-Misri, der die ersten großen Al Qaida-Anschläge 1998 auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania organisiert haben soll. Darunter befindet sich auch der ägyptische Ex-Offizier Saif al-Adel, der im Iran unter Hausarrest stand und im vergangenen Jahr freikam. Mit dabei sein soll auch Bin-Laden-Sohn Hamza, der vor allem die Nähe des geplanten Emirates zu Israel propagandistisch ausschlachtete. „Der Jihad in Syrien ist der Schlüssel zur Befreiung Jerusalems“, prahlte er kürzlich in einer eigenen Audiobotschaft.

Anders als aus dem zerklüfteten pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet könnte die Führung von ihrem neuen Hauptquartier aus auch enger Verbindung halten zu Al Qaida-Zellen in den Nachbarstaaten Irak, Türkei, Jordanien und Libanon. „Die Kombination von einem Al Qaida-Emirat und einer revitalisierten Al Qaida-Führung in Nordsyrien würde den Jihadisten weltweit neuen Auftrieb geben“, urteilt Charles Lister, Mitarbeiter beim amerikanischen „Middle East Institute“ in Washington. Fachleute wie er schätzen die Stärke von Al Qaida in Syrien auf 5000 bis 10 000 Kämpfer, während der Terrorrivale IS trotz empfindlicher Verluste immer noch rund 25 000 Extremisten unter seinem Kommando hat.

Bündnisse mit anderen Rebellen

Nach dem Urteil Listers agiert Al Qaida in Syrien bisher elastischer, geschickter und weniger brutal, um die lokale sunnitische Bevölkerung nicht gegen sich aufzubringen. Denn den Gotteskriegern stecken immer noch die Erfahrungen aus dem Irak in den Knochen, als sich 2007 die sunnitischen Stämme gegen sie erhoben und die dortige Terrorfiliale vernichteten. In vielen syrischen Frontabschnitten existieren Bündnisse mit anderen Rebellengruppen, darunter auch der „Freien Syrischen Armee“. Von Mitte 2012 bis Mitte 2014 habe die Al Nusra-Front ihr militärisches Engagement und ihre Aversion gegen Korruption herausgestrichen, schreibt Lister im Magazin „Foreign Policy“.

Gleichzeitig hätten die Extremisten ihre jihadistische Ideologie heruntergespielt. Viele Syrer hätten daher deren Rolle auf dem Schlachtfeld akzeptiert und vielfach sogar begrüßt, obwohl sie privat Bedenken hegen über die langfristigen Ziele der Extremisten. Deren wahres Gesicht jedoch könnte bald zum Vorschein kommen, wenn die Bin-Laden-Nachfahren ihr eigenes Emirat ausrufen. „Wahrscheinlich wird die Freiheit dann drastisch eingeschränkt und die Toleranz gegenüber nicht-religiösen, nationalistischen oder zivilen Gruppen rapide abnehmen“, schreibt Lister. „Und die Todesstrafen werden dramatisch steigen.“