Die Hauptschule in Wiesensteig schließt. Sie ist das erste Opfer des Lehrermangels im Kreis Göppingen.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Wiesensteig/Göppingen - Zumindest mit dem Unwesen des Abschreibens dürfte es an der Wiesensteiger Hauptschule eigentlich keine Probleme geben. Rein rechnerisch könnte der Rektor Frank Henzler bei seinen Mathearbeiten fast jedem Schüler ein eigenes Klassenzimmer zuteilen. Für eine zweizügige Hauptschule war das Gebäude einst ausgelegt worden. Doch in diesem Schuljahr verlieren sich gerade noch 21 Buben und Mädchen in dem 60er-Jahre-Bau, die in einer jahrgangsübergreifenden Kombiklasse unterrichtet werden. Von September an wären es sogar nur noch zwölf Schüler gewesen. Doch dazu wird es nicht kommen. Das Schulhaus wird aufgegeben, die Schüler werden künftig an der Werkrealschule in Deggingen unterrichtet, als deren Außenstelle die Wiesensteiger Hauptschule seit zwei Jahren fungiert.

 

Das sei ein „unglaublicher Vorgang“. „Wir sind schlicht und einfach betrogen worden“. Die Reaktionen im Gemeinderat auf diese Entwicklung war heftig. Doch der Leiter des staatlichen Schulamts in Göppingen, Hans-Jörg Polzer, der als Adressat der Proteste gilt, hat ganz andere Probleme. Ihm fehlen schlicht die Lehrer. Nach seinen gegenwärtigen Berechnungen sind in seinem Schulamtsbezirk, zu dem auch der Ostalbkreis und der Kreis Heidenheim gehören, 140 von insgesamt 4500 Vollzeitdeputaten im kommenden Schuljahr unbesetzt. „Wir werden beim Pflichtunterricht kürzen müssen“, sagt Polzer. Eine Schule aufrecht zu erhalten, die zwar vom örtlichen Gemeinderat verteidigt wird, aber keine Schüler mehr hat, wäre da wohl ein fragwürdiger Luxus.

Lehrermangel ist ein mathematisches Ergebnis

Wie es zu dem „schwerwiegenden Defizit in der Unterrichtsversorgung“ kommen konnte, kann Polzer nicht genau sagen. Nur so viel: „Es handelt sich um ein mathematisches Ergebnis“, das mit der allgemeinen Schulstrukturveränderung wenig zu tun habe. „Wir haben viele Pensionierungen.“ Zwar nehmen auch die Schülerzahlen vor allem an den Haupt- und Werkrealschulen stark ab. Doch führt dies bisher nicht zu weniger, sondern zu kleineren Klassen.

Noch hofft Polzer auf die Zuteilung zusätzlicher Lehrer durch das Regierungspräsidium Stuttgart. Die entscheidende Sitzung werde am 17. Juni im Kultusministerium stattfinden. „Die Zahl der Bewerber würde ausreichen“, sagt Polzer. Dennoch ist er nicht allzu optimistisch, dass es gelingt, das gesamte bestehende Defizit auszugleichen. An einen Ergänzungspool über den Pflichtbereich hinaus sei momentan überhaupt nicht zu denken. Sollte jedoch ein solcher entstehen, werde er damit eine „halbwegs hinreichenden Lehrerreserve für Vertretungsfälle“ bilden. „Für Klassen, die abweichend vom sogenannten Organisationserlass gebildet würden, stünden jedoch keine personelle Ressourcen zur Verfügung, teilt Polzer in einem Brief an den Bürgermeister Gebhard Tritschler mit.

„Wir haben unsere Hauptschule geopfert“

Für die Wiesensteiger ist das Aus ihrer Hauptschule bitter. Erst vor zwei Jahren hatte man sich entschlossen, das eigene Schülerkontingent, das auch aus den Nachbarorten Mühlhausen, Hohenstadt und Gruibingen stammt, in eine gemeinsame Werkrealschule in Deggingen einzubringen. Polzer habe dieses Modell als Zukunftsprojekt angepriesen, erinnert sich der Stadtrat Sven Gajo. Jetzt sei all dies überholt. „Wir haben unsere Hauptschule für diesen glorreichen Weg geopfert.“

Damals war vereinbart worden, dass die Klassen fünf bis sieben weiterhin in Wiesensteig unterrichtet würden. Die Abschlussjahrgänge sollten dann in Deggingen beschult werden. Doch schnell zeichnete sich ab, dass die Eltern ganz andere Pläne hatten. Sie meldeten ihre Kinder lieber gleich im modernen Degginger Schulzentrum an. Schon in diesem Schuljahr hatte es deshalb in Wiesensteig keine Eingangsklasse mehr gegeben. Die Sechst- und Siebtklässler wurden in einer gemeinsamen Kombiklasse unterrichtet.

Schülerzahl halbiert sich

Bisher sei Wiesensteig ein Einzelfall in seinem Bezirk, sagt Polzer. Doch seit die Grundschulempfehlung nicht mehr verpflichtend ist, kämpfen immer mehr Haupt- und Werkrealschulen ums Überleben. Um 40 Prozent sind ihre Anmeldezahlen eingebrochen. „Ich bin froh, dass ich wenigstens in Deggingen noch eine fünfte Klasse bilden kann“, sagt Rektor Henzler. 18 Anmeldungen hat er fürs neue Schuljahr, 16 hat das Kultusministerium als Mindestschülerzahl festgelegt. Was aus dem Wiesensteiger Hauptschulgebäude wird, ist ungewiss. Zumindest kann sich die Stadt eine millionenschwere Sanierung sparen.