In den nächsten zwei Jahrzehnten wird sich die Bevölkerung Afrikas verdoppeln. Aber eine neue Studie zeigt sieben Musterstaaten in Afrika auf, die den Kinderreichtum in den Griff gekriegt haben.

Berlin - Ein Kontinent mit vielen jungen Menschen birgt die Chancen für die Zukunft: für die Entwicklung der Wirtschaft, weil ein großer Markt entsteht und den Unternehmen viele Arbeitskräfte zur Verfügung haben. Das Berlin-Institut für Demografie hat in einer Studie über die demografische Entwicklung Afrikas dieser oft zitierten Ansicht seinen Dämpfer versetzt. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Bevölkerung Afrikas verdoppeln auf 2,5 Milliarden Menschen, so die allgemeinen Prognosen. Das hohe Bevölkerungswachstum werde viele Probleme des Kontinents verschärfen, sagen die Autoren der am Mittwoch vorgestellten Studie: „Die Mehrzahl der Staaten – insbesondere südlich der Sahara –wird kaum in der Lage sein, die erforderliche Gesundheits- und Bildungsinfrastruktur für die Menschen bereitzustellen, geschweige denn genügend Jobs, die ein auskömmliches Leben ermöglichen.“

 

Die Fortschritte in einzelnen Ländern werden vom Bevölkerungswachstum sprichwörtlich „aufgefressen“. Noch immer können über 37 Millionen Grundschulkinder in Afrika nicht zur Schule gehen, und mit jedem Jahr erreichen zusätzlich rund fünf Millionen Kinder das Alter, in dem sie eingeschult werden sollten. Selbst wenn sie ihr in vielen Ländern Afrikas mittlerweile verbrieftes Recht auf Bildung einlösen und eine Schule erfolgreich abschließen könnten, bringe sie das laut Studie nicht weiter: „Aktuell wachsen in Afrika jährlich zehn bis zwölf Millionen junge Menschen zwischen 15 und 35 Jahren ins Erwerbsalter hinein. Allerdings werden auf dem gesamten Kontinent pro Jahr nur etwa drei Millionen formale Arbeitsplätze geschaffen.“

Blockiert in der Armutsfalle

Fehlende Bildung und fehlende Einkommensquellen blockierten viele Afrikaner in der Armutsfalle. Da das Wirtschaftswachstum auf immer mehr Köpfe verteilt werden müsste, bleibe der „Wohlstandsgewinn“ aus. Die Folge sei, dass 40 Prozent der Menschen südlich der Sahara täglich mit weniger als zwei US-Dollar auskommen müssten. Die Kinderzahlen verharrten in Afrika auf einem hohen Niveau, heißt es in der Studie: Zwar seien die Geburtenziffern in den letzten beiden Jahrzehnten gesunken, doch mit durchschnittlich 4,4 Kindern bringen Afrikanerinnen heute im Schnitt noch fast doppelt so viel Nachwuchs zur Welt, wie Frauen in anderen Teilen der Welt. In über 25 Prozent der afrikanischen Staaten bekämen Frauen im Schnitt mehr als fünf Kinder. Dabei ist die Spreizung auf dem Kontinent mit seinen 54 Staaten enorm: „Während Frauen in Mauritius im Schnitt nur noch 1,4 Kinder zu Welt bringen, bekommen Frauen in Niger und Somalia noch mehr als sieben respektive sechs Kinder“.

Das rasche Bevölkerungswachstum hat einen Einfluss auf den sogenannten demografischen Bonus, der einzelnen Volkswirtschaften einen Aufschwung bescheren kann. Er tritt dann ein, wenn es mehr Menschen im Erwerbsalter gibt, als junge und alte Mitbürger zu versorgen sind. Eine Chance für junge Nationen, Aber laut UN-Berechnungen tritt der Bonus erst ein, wenn der Anteil der zu versorgenden jungen Menschen unter 15 Jahren an der Gesamtbevölkerung unter 30 Prozent sinkt und der Anteil der über 64-Jährigen noch keine 15 Prozent erreicht hat. Anders definiert: Erst wenn auf jede abhängige Person mindestens 1,7 Erwerbsfähige im Alter zwischen 15 und 64 kommen, erreichen Staaten eine günstige Ausgangssituation und können mit einem wirtschaftlichen Aufschwung rechnen. Das Berlin-Institut sagt, dass dies in den meisten Ländern südlich der Sahara und nördlich der Ländergrenzen von Namibia, Südafrika und Botsuana frühestens ab 2035 der Fall sein dürfte. „Zentral- und westafrikanische Länder wie Mali, Tschad und Angola können nicht vor 2060 auf einen Bonus hoffen.“

Sieben Nationen gelten als mustergültig bei der Familienplanung

Trotz der düsteren Szenarien versuchen die Autoren der Studie einige Lichtpunkte zu setzen. Sie schildern anhand der Länder Äthiopien, Kenia, Botswana, Ghana, Senegal, Tunesien und Marokko, wie Nationen es geschafft haben, das Bevölkerungswachstum in die Richtung europäische Dimensionen herunter zu fahren. Mehrer Faktoren bewirken, dass Mann und Frau sich auch von einer Familienplanung und einer geringeren Kinderschar überzeugen lassen: ganz wichtig ist die Bildung, Menschen mit Schulabschlüssen tendieren je nach Grad der Schulabschlüsse zu kleineren Familien in Afrika, auch die Urbanisierung, eine starke Politik zugunsten der Familienplanung, höhere Einkommen, die Akzeptanz von Familienplanung durch religiöse Führer und ein gutes Gesundheitssystem bremsen den Wunsch nach Kinderreichtum. Auch das alte Vorsorgedenken – viele Kinder bescheren den Alten ein Auskommen – spielt eine Rolle. In den prosperierenden Regionen, wo die allgemeine Kindersterblichkeit sinkt, werden auch die Eltern „gelassener“ und sind mit weniger, gesunden Kindern zufrieden.

Am stärksten hat Äthiopien die Kinderzahl gesenkt

Ein Musterbeispiel dafür, wie das Bevölkerungswachstum limitiert werden kann, ist das zentralistisch geführte Äthiopien, das schon 1993 eine nationale Strategie zur Bevölkerungspolitik auflegte. In keinem anderen afrikanischen Land ist die Geburtenrate so stark gesunken wie in Äthiopien – von sieben Kindern pro Frau in den 90er Jahren auf heute vier Kinder. Das Berlin-Institut führt dies zurück auf den starken Einfluss eines Basis-Gesundheitsdienstes – Zehntausende von Gesundheitshelferinnen sind auf die Dörfer geschickt worden, um Aufklärung auch über Verhütungsmittel zu betreiben – offenbar mit Erfolg. Aber immer noch, so die Studie, habe jede fünfte Äthiopierin, die Familienplanung wünsche, gar keinen Zugang zu Verhütungsmitteln. Ein anderer Fall ist Kenia, wo ein hoher Bildungsstandard – 61 Prozent der Schüler erreichen Sekundarstufeniveau- , eine starke Wirtschaft und eine schon in den 70er Jahren begonnen staatliche Unterstützung von Familienplanung die Kinderzahl hat sinken lassen. „Panga uzazi”, hatte Daniel arap Moi 1978 als frisch gebackener Präsident aufgerufen, „Plane deine Familie“. Damals hatte eine Kenianerin im Durchschnitt 7,6 Kindern, heute weist Kenia mit rund 3,8 Kindern je Frau eine der niedrigsten Fertilitätsraten Ostafrikas auf.

Bemerkenswert ist auch die Entwicklung von Marokko, das noch zu Beginn der 60er Jahre Geburtenraten von sieben Kindern pro Frau hatte und heute mit 2,4 Kindern je Frau eine der niedrigsten Geburtenziffern in ganz Afrika hat. Hier war es offenbar wirtschaftlicher Druck, der zum Umdenken führte, parallel dazu hatte das Königshaus die Familienplanung stets befürwortet. In den 70er Jahren geriet das Land in eine ökonomische Krise, Frauen waren zum Zusatzverdienst in der Textilindustrie gezwungen. Youssef Courbage vom französischen nationalen Institut für Demografie sagt: „Für die Fertilitätsentwicklung Marokkos hatte dies klare Folgen: Die Opportunitätskosten für ein zusätzliches Kind stiegen durch die Erwerbstätigkeit der Frauen erheblich an. Denn in Zeiten, in denen Konzepte wie Mutterschutz und Elternzeit gänzlich unbekannt waren, führten Fehlzeiten bei der Arbeit aufgrund von Schwangerschaft und Geburt oftmals zur Entlassung. Um das finanzielle Wohlergehen zu sichern, waren viele Familien gezwungen, die Zahl ihrer Kinder zu begrenzen und Verhütungsmittel zu nutzen.“

Die moderate Bevölkerungsentwicklung ist ein Bonus für Marokko, auf der anderen Seite ist sein Wirtschaftswachstum mit 1,26 Prozent nur etwa halb so hoch wie im afrikanischen Durchschnitt. Das Land wird seine Wirtschaft entwickeln müssen, um von der demografischen Entwicklung profitieren zu können.