Die Grundmauern des Geburtshauses Albert Einsteins liegen im Baufeld eines zukünftigen Einkaufszentrums. Doch die endgültige Zerstörung soll abgewendet werden.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Der Komiker Mike Krüger, die Schauspielerinnen Hildegard Knef und Ursula Karven, Entertainer Harald Schmid, die Fußballbrüder Uli und Dieter Hoeneß – alle sind sie Söhne und Töchter Ulms. Ein Abkömmling aber überstrahlt sie alle: Albert Einstein. Wer in der Stadt nach Spuren des Genies sucht, braucht allerdings eine Lupe. Nun stehen die Chancen gut, dass sich das ändert.

 

Am 14. März 1879 wurde Albert Einstein im Haus Bahnhofstraße 20 geboren. Schon im Sommer des folgenden Jahres zogen die Eltern Hermann und Pauline nach München um – da war der Sohn gerade 15 Monate alt. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges, im Dezember 1944, wurde das dreistöckige Haus nach einem Fliegerangriff auf die Innenstadt in Asche gelegt. Kaum etwas erinnerte noch daran, dass die jüdische Familie einst an der Donau gelebt hatte.

Als in den 60er Jahren die Bagger in dem zerstörten Quartier auffuhren, um Platz für neue Häuser zu schaffen, kletterten einige wenige in den Trümmern der Bahnhofstraße 20 herum. Einer von ihnen war der Schweizer Architekt Max Bill, der auf dem Ulmer Kuhberg mit dem Designer Otl Aicher und dessen Ehefrau Inge Aicher-Scholl – Schwester der ermordeten Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl – die Hochschule für Gestaltung errichtet hatte. Der geschichtsbewusste Bill rettete die hölzerne Türschwelle des Einstein-Geburtshauses und brachte sie in die Schweiz. Dort, in Zumikon, wird sie bis heute von der Bill-Witwe Angela Thomas verwahrt. Für die meisten Ulmer sei alles in und um die Baubrache „einfach Müll“ gewesen, erinnert sich der 71 Jahre alte CDU-Stadtrat Hans-Walter Roth. Leider, fügt er hinzu. Aber unter der Erde, mutmaßt er, müssten sich immer noch intakte Wände und Fliesen des Kellerbodens befinden.

Eine zweite historische Chance tut sich auf

Seit dem Jahr 2013 sind die zugeschütteten Kellergewölbe wieder zugänglich, zumindest theoretisch. Sie liegen am Rand eines mit der Abrissbirne frei gemachten, 10 000 Quadratmeter großen Baufeldes, auf dem der Hamburger Projektentwickler DC Developments von Herbst an das Einkaufszentrum Sedelhöfe bauen will – einschließlich 700 Tiefgaragenplätzen. Einsteins Geburtshauskeller droht damit die endgültige Zerstörung.

Dieser Gedanke bereitet einer sich abzeichnenden Mehrheit im Ulmer Gemeinderat deutliches Unbehagen. Bereits 2012 hatten Mitglieder der SPD-Fraktion im Ulmer Rathaus angeregt, die Fundamente für die Nachwelt zu erhalten. Doch der damalige Oberbürgermeister Ivo Gönner beschied seinen Parteifreunden, er sehe keine Erhaltungswürdigkeit. Im Januar 2014 beantragte der CDU-Stadtrat Hans-Walter Roth einen vorläufigen Baustopp des Einkaufszentrums und warnte davor, „in Ulm weitere Kultur zu vernichten“. Statt Gönner stoppte dann die Finanzkrise den Multimillionenbau. Die Rabobank liquidierte ihre deutsche Projektentwicklungstochter MAB, die ursprünglich die Sedelhöfe-Vertragspartnerin war.

Auch der Hamburger Projektentwickler gibt sich aufgeschlossen

Anfang März hat die SPD-Fraktion in Sachen Einstein einen neuen Anlauf bei der Rathausspitze gemacht, und diesmal, unter dem frisch gewählten CDU-Oberbürgermeister Gunter Czisch und seinem Baubürgermeister Tim von Winning, stehen die Chancen offenbar erheblich besser. Die „Marke Einstein“, so die SPD-Mitglieder in einem Antrag, müsse als „Standortfaktor“ ausgebaut werden. Den Hamburger Neu-Investor forderte die Fraktion brieflich auf, die historischen Mauern in der künftigen Tiefgarage „sinnlich erfahrbar“ zu machen. Der CDU-Stadtrat Roth befürwortet den Vorstoß. Wenn es voraussichtlich im Juli zu letzten Beschlussfassungen im Gemeinderat kommt, erwartet er „fraktionsübergreifend Einstimmigkeit“, sagt er.

Trotz des Zeitdrucks herrscht auch in Hamburg Offenheit, was einen unterirdischen Einstein-Gedenkort anbelangt. Lothar Schubert, geschäftsführender Gesellschafter von DC Developments, teilt auf Anfrage mit: „Wir werden natürlich Albert Einstein gedenken und sind uns der Verantwortung bewusst. Wir befinden uns bezüglich eines Konzeptes in enger Abstimmung mit der Stadt. Eine Bauverzögerung ist nicht zu erwarten.“ Dass der Bauherr aus dem Norden einen Geschichtsort aus eigener Tasche bezahlt, ist jedoch illusorisch. Die wirklich offene Frage lautet also, wie tief die Ulmer Stadtpolitik für den Ausbau der Marke Einstein in die Tasche zu greifen bereit ist.

Die Ehrenbürgerwürde hat Einstein stets abgelehnt

Geht es nach dem Ulmer Stadtarchivar Michael Wettengel, der eine erste interne Konzeption ausgearbeitet hat, dürfte ein auch wissenschaftlichen Ansprüchen genügender Gedenkort teuer werden. Die früheren Kellerräume des Einstein’schen Geburtshauses seien gemäß ihrer Lage und Ausdehnung geeignet, zur „Durchgangspassage fürs Einkaufspublikum“ hergerichtet zu werden. Historisches Material wäre – neben Ziegelsteinen – genügend vorhanden, sagt Wettengel – auch wenn die Bill-Witwe sich bisher nicht durchringen konnte, die Türschwelle herauszugeben. Zu den Ulmer Archivalien gehört etwa ein umfangreicher Briefwechsel, den Einstein nach seiner Emigration in die USA mit der Stadtspitze und Verwandten geführt hat. Es gibt außerdem seinen Eintrag im standesamtlichen Geburtenregister.

Der Verleihung der Ulmer Ehrenbürgerwürde hat sich das Physikgenie Zeit seines Lebens verweigert. Mehrere seiner Familienmitglieder sind während der NS-Zeit ermordet worden. Nicht nur Einsteins Geburt in Ulm zu feiern, sondern auch die Verfolgung und Verfemung der Familie nachzuzeichnen, müsste also die Aufgabe einer neuen Gedenkstätte sein. Stadtarchivar Wettengel hofft auf den nötigen Weitblick des Gemeinderats auch in dieser Frage. Er könne nur hoffen, sagt er, „dass die Ulmer jetzt ein bisschen cleverer reagieren als in früheren Zeiten“.

Wo Einstein heute in Ulm bisher zu finden ist

Fußgängerzone

Das zentrale Einstein-Denkmal aus 24 Granitquadern hat der Architekt und Grafiker Max Bill aufgestellt, es befindet sich seit 1982 in der Bahnhofstraße.

Münster

Im Jahr 1985 ist im Ulmer Münster das „Fenster der Verheißung“ eingesetzt worden. Es zeigt neben Kopernikus, Kepler, Galilei und Newton auch Albert Einstein.

Weinhof

In der Zeughausgasse steht der Einsteinbrunnen aus dem Jahr 1984. Das Haus „zum Engländer“, in dem Einsteins Großmutter wohnte, steht noch am Weinhof.