Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Mit ihrer Einzelkämpfermentalität zerstört sich die Band allmählich selbst. Der Ehrgeiz, sich von keiner Autorität etwas vorschreiben zu lassen, endet im Masochismus. Bei einem Konzert vor dem Neuen Schloss in Stuttgart, das SDR 3 live überträgt, spielt Schwoißfuaß das Kampflied der Hausbesetzer: „Jeder Stein, der abgerissen/wird von uns zurückgeschmissen.“ Fortan lassen die Radioredakteure die Schwoißfuaß-Anarchos barfuß im Regen stehen, selbst Hits wie „Bin i selber Rastamann?“ gehen nicht mehr über den Sender. „Einerseits waren wir hochmoralisch, haben die politischen Zustände kritisiert“, sagt Köberlein, „andererseits waren wir Arschlöcher, weil wir ein System bekämpften, von dem wir profitierten.“

 

Von 1982 an driftet die Band auseinander. Alex Köberlein ist verheiratet und Vater. Die anderen wollen sich aufs Pädagogikstudium konzentrieren oder ins hippe Berlin auswandern oder jazzigere Saiten anschlagen. Die dritte Schwoißfuaß-LP („Mir suchad jetzt dr Dialog“) ist hochpolitisch, die vierte („Du glaubscht des war a Spiel“) höchstpersönlich. Der Dialektlyriker Köberlein beschreibt die Zeugung seines unehelichen Sohnes oder seine geplatzten Hippieträume.

Töne und Texte sind verkopft, während sich die Zielgruppe der Pubertierenden nach den rauen Gitarrenriffs und banalen Wahrheiten der frühen Kompositionen zurücksehnt: „De gaile Böck, dia hand a Freidin, de Brave, dia gugged blöd/de oine dia siehsch en dr Disco, de andre dia wixed im Bett.“ Solche derben Gassenhauer kommen Köberlein nicht mehr in den Sinn, die Verkaufszahlen brechen ein, und das Finanzamt fordert eine Nachzahlung von 200 000 Mark. Schulden, Streit, Stress. Im Herbst 1985 verabschiedet sich Schwoißfuaß von der Bühne.

Nach zwei LPs ist die Solokarriere beendet

Notgedrungen kriecht Köberlein, der eine Familie ernähren muss, nun doch unter die Fittiche eines Plattenriesen. WEA will ihn zu einem Solokünstler aufbauen, der dem Alphaville-Falco-Zeitgeist entspricht, und verpasst ihm ein neues Image: trauriger Pirat. Ein trauriger Pirat singt Hochdeutsch, trägt lange Mäntel und komponiert Balladen, die von der tiefen Sehnsucht nach dem großen Glück handeln. Die Single „Fliegen“, ein Song über das Erwachsenwerden, wird tatsächlich zum Radiohit: „Wir waren phantastisch doof und gar nicht aufgeklärt/hatten keine Meinung, aber die hat sich bewährt.“ Das Sternchen Alex Köberlein lernt Stars wie Peter Maffay und Howard Carpendale kennen. In dieser Phase tun ihm zum ersten Mal die Bandscheiben weh. Köberlein spürt, wie sein Rückgrat zerbröselt, er wird zum ersten Mal operiert.

Zu diesem Zeitpunkt hat Alex Köberlein bereits sein Studium an der Pädagogischen Hochschule in Reutlingen beendet und eine Festanstellung als Realschullehrer geschmissen: kein Bock auf druckvollen Unterricht nach Lehrplan. Bleibt als Existenzgrundlage die Musik. Im Frühjahr 1979 schart der Sänger und Saxofonist Köberlein seine Kumpels Jürgen „Sulla“ Bratke (Schlagzeug), Rudolf „Riedel“ Diegel (Mundharmonika), Didi Holzner (Gitarre) und André Schnisa (Keyboards) um sich. Schwoißfuaß ist geboren.

Es ist die Ära der Friedens-, Anti-Atom- und Umweltbewegung. Alternatives ist angesagt, dazu zählt deutschsprachige Rockmusik. Die Fäuste von Vorkämpfern wie Ton Steine Scherben („Macht kaputt, was euch kaputt macht“) sind schon wieder am Sinken, als in süddeutschen Mehrzweckhallen rote Spontis und grüne Müslis zu Köberleins irrwitzigen Reimen schwofen: „Ond vorna isch dr Aldimarkt mit Haschisch, Gras ond LSD/a nackte Frau em Schlammbassin schreit: AKW – olé/ond s’Irrahaus macht Ferien ond s’Parlament verstickt/ond alle senged s’Deitschlandliad, weils koiner me blickt.“

Die Resonanz ist überwältigend. Innerhalb von zwei Jahren verkaufen Schwoißfuaß 150 000 selbst produzierte und selbst vertriebene LPs, der Underdog-Song „Oiner isch emmr dr Arsch“ vom zweiten Tonträger wird zur (regionalen) Hymne einer ganzen Generation. Als der Chef von EMI Electrola der Band einen Plattenvertrag anbietet, lacht ihn Köberlein am Telefon aus. Schwoißfuaß umweht ein Independent-Mythos, der Wechsel ins kommerzielle Lager käme einem Verrat gleich. Die Helden der Subkultur verlangen bei ihren Konzerten sozialverträgliche sieben Mark Eintritt, schleppen das Equipment selbst und verhökern nach jedem schweißtreibenden Gig ihre Platten eigenhändig. Danach wird zusammengeräumt und in der Wohngemeinschaft des Veranstalters auf dem Boden übernachtet.

„Bin i selber Rastamann?“

Mit ihrer Einzelkämpfermentalität zerstört sich die Band allmählich selbst. Der Ehrgeiz, sich von keiner Autorität etwas vorschreiben zu lassen, endet im Masochismus. Bei einem Konzert vor dem Neuen Schloss in Stuttgart, das SDR 3 live überträgt, spielt Schwoißfuaß das Kampflied der Hausbesetzer: „Jeder Stein, der abgerissen/wird von uns zurückgeschmissen.“ Fortan lassen die Radioredakteure die Schwoißfuaß-Anarchos barfuß im Regen stehen, selbst Hits wie „Bin i selber Rastamann?“ gehen nicht mehr über den Sender. „Einerseits waren wir hochmoralisch, haben die politischen Zustände kritisiert“, sagt Köberlein, „andererseits waren wir Arschlöcher, weil wir ein System bekämpften, von dem wir profitierten.“

Von 1982 an driftet die Band auseinander. Alex Köberlein ist verheiratet und Vater. Die anderen wollen sich aufs Pädagogikstudium konzentrieren oder ins hippe Berlin auswandern oder jazzigere Saiten anschlagen. Die dritte Schwoißfuaß-LP („Mir suchad jetzt dr Dialog“) ist hochpolitisch, die vierte („Du glaubscht des war a Spiel“) höchstpersönlich. Der Dialektlyriker Köberlein beschreibt die Zeugung seines unehelichen Sohnes oder seine geplatzten Hippieträume.

Töne und Texte sind verkopft, während sich die Zielgruppe der Pubertierenden nach den rauen Gitarrenriffs und banalen Wahrheiten der frühen Kompositionen zurücksehnt: „De gaile Böck, dia hand a Freidin, de Brave, dia gugged blöd/de oine dia siehsch en dr Disco, de andre dia wixed im Bett.“ Solche derben Gassenhauer kommen Köberlein nicht mehr in den Sinn, die Verkaufszahlen brechen ein, und das Finanzamt fordert eine Nachzahlung von 200 000 Mark. Schulden, Streit, Stress. Im Herbst 1985 verabschiedet sich Schwoißfuaß von der Bühne.

Nach zwei LPs ist die Solokarriere beendet

Notgedrungen kriecht Köberlein, der eine Familie ernähren muss, nun doch unter die Fittiche eines Plattenriesen. WEA will ihn zu einem Solokünstler aufbauen, der dem Alphaville-Falco-Zeitgeist entspricht, und verpasst ihm ein neues Image: trauriger Pirat. Ein trauriger Pirat singt Hochdeutsch, trägt lange Mäntel und komponiert Balladen, die von der tiefen Sehnsucht nach dem großen Glück handeln. Die Single „Fliegen“, ein Song über das Erwachsenwerden, wird tatsächlich zum Radiohit: „Wir waren phantastisch doof und gar nicht aufgeklärt/hatten keine Meinung, aber die hat sich bewährt.“ Das Sternchen Alex Köberlein lernt Stars wie Peter Maffay und Howard Carpendale kennen. In dieser Phase tun ihm zum ersten Mal die Bandscheiben weh. Köberlein spürt, wie sein Rückgrat zerbröselt, er wird zum ersten Mal operiert.

„Ich habe in die Welt des Musikbusiness hineingeschnuppert, aber da wollte ich nicht bleiben“, sagt er heute. „Damals fühlte ich mich fremd im eigenen Körper. Ich war eine Kunstfigur, hatte schwere Identitätsprobleme.“

Nach zwei LPs war die Solokarriere beendet. Wie ging’s weiter? Köberlein baute in der Scheune neben seinem selbst renovierten Bauernhaus eine private Kindermusikschule auf. 1996 ging Schwoißfuaß mit neuer Platte („Rattakarma“) auf eine Revivaltour; zu elf Konzerten kamen fast 50 000 Besucher. Zehn Jahre später wollte eine Plattenfirma der Band zu einem weiteren Comeback verhelfen, Köberlein schickte Demoaufnahmen an seine verbliebenen Kollegen (der Schlagzeuger Sulla Bracke verbrannte 1987 im Bett, der Keyboarder André Schnisa starb 1999 an Magenkrebs), doch die waren wenig begeistert. „Damals habe ich beschlossen, mein Alphatierdasein aufzugeben“, erzählt Köberlein. „Wenn man immer vorangeht, wird man irgendwann müde.“

Klingelingeling, wieder steht jemand vor der Haustür. Diesmal ist es die Polizei: Dem Pfäffinger Ortspfarrer wurden in der Nacht offenbar die Autoreifen aufgeschlitzt. Köberlein hat nichts mitbekommen. Der Polizist verabschiedet sich, Köberlein schickt ihnen ein Grinsen hinterher. Er mag seine verrückte Dorfwelt.

Ein Mann lässt sich treiben

2007 trennte sich Alex Köberlein von seiner Frau: „Die Liebe war weg.“ Als er kurz darauf schwer krank wurde, schloss er die Musikschule und überschrieb seinen Besitz auf die vier Kinder aus zwei Ehen. „Ich habe meine weltlichen Verpflichtungen abgeschafft“, sagt er. Nun lebt er in den Tag hinein, „wie ein Gelehrter“. Köberlein beschäftigt sich mit Philosophie und werkelt in seinem Tonstudio. Zwischendrin schaut eine Zugeherin vorbei, schmiert Butterbrezeln und putzt. „Das ist die allerschönste Zeit in meinem Leben“, sagt der 61-jährige Köberlein. Statt zu strampeln, lässt er sich treiben. „Ich habe viel Zeit, über mich und andere Dinge nachzudenken.“

Alex Köberlein hat vom Ruhm gekostet, aber nicht so viel, dass er davon besoffen geworden wäre. Er war Kopf der besten Schwabenrockband aller Zeiten. Noch immer verkauft er im Eigenvertrieb Schwoißfuaß-CDs, die Gema schickt Schecks, und mittlerweile bringen auch iTunes und Amazon ein paar Euro ein. In der Hitparade von SWR 1 landete „Oiner isch emmr dr Arsch“ kürzlich exakt zwischen „Satisfaction“ von den Rolling Stones und „TNT“ von AC/DC. Und mit Grachmusikoff, der vor 35 Jahren in Bad Schussenried gegründeten Mundartkapelle, tritt Alex Köberlein in diesem Jahr etwa 60-mal auf. Vor den Konzerten trinkt er ein Bier, ein weiteres in der Pause, mehr nicht, er muss ja auf den Blutdruck achten. Was macht der Schwabenrocker, wenn er irgendwann nicht mehr stehen kann, weil die Knochen zu morsch sind? „Dann lass ich mich im Rollstuhl auf die Bühne schieben.“