Mit Baden-Württembergs Agrarminister Alexander Bonde sitzt nun ein neuer Südwest-Realo im Parteirat. Aber im Bund ziehen längst die Linken ihre Strippen.

Stuttgart - Alles ist nun auf Eintracht getrimmt, denn die Europawahl im Mai steht vor der Tür. Die neue Grünen-Spitze in Berlin, die berühmte Viererbande aus Fraktions- und Parteivorsitzenden ist dabei, sich zu sortieren – ohne die starke Figur von Jürgen Trittin, an dessen „autokratischer Führungskultur“, so ein „linker“ Grüner, es flügelübergreifend Kritik gab. In zwei Wochen will die Parteispitze programmatische Aussagen für den Europawahlkampf machen. Querschüsse oder öffentliche Kritik sind da verpönt. Streit sei der „Treibstoff“ der Demokratie, aber er möge in der Partei und „nicht über die Presse“ ausgetragen werden, hatte Parteichef Cem Özdemir auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Berlin gewarnt – ein Seitenhieb auf seine Realo-Freunde Winfried Kretschmann und Boris Palmer in Baden-Württemberg, die sich vor der Wahl in Interviews über den grünen Kurs besorgt äußerten.

 

Alexander Bonde (38), Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Stuttgart, ist auch Realo und frisch gewähltes Mitglied im 16-köpfigen Parteirat der Grünen, der den sechsköpfigen Bundesvorstand inhaltlich beraten soll. Auf seine Wahl mit 50,8 Prozent ist Bonde sichtlich stolz, auch wenn er Schlusslicht war. Es gab für die sechs Männerplätze im Gremium zwölf ernsthafte Bewerber – darunter den Grünen-Fraktionschef Daniel Köbler aus Rheinland-Pfalz – der zum zweiten Mal bei einem Parteitag kandidierte und durchfiel. „Es war ein hartes Rennen“, sagt Bonde. Mit ihm sind nach der Abwahl Palmers 2012 erstmals wieder drei Baden-Württemberger im Parteirat. Neben Bonde sind es kraft Amtes als Parteichef Özdemir sowie der Mannheimer Gerhard Schick, der zum linken Flügel gehört.

Ein Kampf wie David gegen Goliath

Auch Bonde will von Flügelkämpfen nichts mehr wissen. Man trete wie David gegen Goliath gegen die Große Koalition an, und da könne man nicht darüber streiten, „wie wir die Steinschleuder zusammenbauen sollen“. Entsprechend diplomatisch antwortet der Minister auf die Frage, ob er als Realpolitiker aus Baden-Württemberg eine besondere Mission im Parteirat erfüllen wolle: „Die gesamte Führung hat jetzt eine Mission nach einer Wahl, die nicht gut lief. Wir müssen uns konzeptionell so aufstellen, dass wir mit den Themen Umwelt und Gerechtigkeit wieder mehrheitsfähig werden.“ Zur Großen Koalition müssten „starke Gegenangebote“ gemacht werden – allen voran bei der Energiewende, wo SPD und Union wenig zu bieten hätten. Von der Steuerpolitik, die im Europawahlkampf ohnehin keine Rolle spielen dürfte, spricht Bonde nicht. Er merkt aber an, dass es bisher nicht gelungen sei, die „ökologische Modernisierung“ auch als Projekt für die Wirtschaft darzustellen.

Bei den Grünen ist die schlechte Kommunikation zwischen Landes- und Bundesebene beklagt worden, weshalb mit Bonde und der Schulministerin Sylvia Löhrmann aus Nordrhein-Westfalen gleich zwei Landesminister in den Parteirat berufen wurden. Amtierende oder frühere Landesminister haben den Hang zu pragmatischeren Entscheidungen. Und Bonde lobt die neue Parteivorsitzende Simone Peter, die zum linken Flügel gehört, über den Klee. Mit der habe er als Kollegin „klasse Erfahrungen“ gemacht, sie sei „umsetzungs- und kommunikationsstark“. Neun Jahre lang war Bonde Bundestagsabgeordneter, da kann man davon ausgehen, dass er die Bundespolitik kennt: „Ich weiß, wer seine Schnürsenkel da wie herum zubindet.“

Ein Arbeitskreis mit dem Namen „Segel“

Deshalb ist ihm nicht entgangen, dass sich auf dem linken Flügel ein Netzwerk gebildet hat, eine Gruppe von jungen Strippenziehern – genannt „Segel“ oder „Arbeitskreis Segel“, 30 bis 50 Mitglieder stark und nun in der Chefetage gelandet. Fraktionschef Anton Hofreiter (43) ist einer der ältesten beim „Segel“, auch der neue Bundesgeschäftsführer Michel Kellner (36) gehört dem Vernehmen nach dazu ebenso wie Bundesvorstandsmitglied Gesine Agena (26) und die Landeschefs aus Nordrhein-Westfalen und Berlin, Sven Lehmann (33) und Daniel Wesner (37).

„Ich bin nicht beim Segel“, sagt Gerhard Schick. Nach seiner Ansicht sollten die Lager ohnehin ihre Rolle anders definieren. „Ich habe meine Arbeit im Parteirat nie vorrangig strömungsmäßig definiert“, sagt Schick. 2009 und 2013 habe sich die Partei durch die Flügel selbst blockiert. „Es wird eine Aufgabe des neuen Parteirates sein, die Partei so aufzustellen, dass wir 2017 nicht wieder in der Sackgasse landen.“ Die Linken müssten auch Schwarz-Grün für denkbar halten, die Realos Rot-Rot-Grün.

Wer wirklich das Sagen hat in der Partei, wird sich nach einer Regierungsbildung zeigen, wenn die Grünen an den Ressortzuschnitten orientiert ihre Arbeitskreise besetzen und deren Vorsitzende berufen. Da könnten die „Segel“ entscheidend sein. Eine ähnlich mächtige Lobbygruppe gibt es bei den Realos nicht. Sie gelten als zersplittert und ihre führenden Köpfe als wenig durchsetzungsstark.