Der Mangel an Fachkräften in der Pflege wird existenziell. In Berglen sieht sich der Betreiber des einzigen Seniorenheims im Ort gezwungen, sein Haus für immer zu schließen. Berglen sei kein Einzelfall, sagt die Geschäftsführerin.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Am Mittwoch ist die bittere Botschaft an die Bewohner und die Belegschaft herangetragen worden: Das Alexander-Stift, ein Tochterunternehmen der Diakonie Stetten, das auf die Betreuung von älteren Menschen spezialisiert ist, wird seinen Ende März des kommenden Jahres auslaufenden Mietvertrag für das Gemeindepflegehaus in Berglen-Oppelsbohm nicht mehr verlängern. Die Geschäftsleitung hat sich – wie man betont, nach einem langwierigen Entscheidungsprozess – entschlossen, den Standort aufzugeben.

 

Platzgarantie für jeden Bewohner

Zwar soll jedem der zurzeit knapp 30 Bewohner nach der Schließung ein Platz an einem anderen Standort des Alexander-Stifts garantiert und auch den gut 35 Mitarbeitern ein adäquates Arbeitsplatz-Angebot gemacht werden, dennoch sitzt der Schock über die Nachricht bei Einzelnen tief. Man habe die Entscheidung ob der Tragweite lange abgewogen, versichert Gaby Schröder, die Geschäftsführerin, sich am Ende aber zu dem harten Schnitt gezwungen gesehen.

Der maßgebliche Grund für die Schließung seien die anhaltenden – und durch die Coronakrise noch verschärften – Schwierigkeiten, in dem ländlich gelegenen Standort ausreichend Pflegepersonal zu finden. Auch intensive Bemühungen, etwa über Radio- oder Kinowerbung, hätten nicht den gewünschten Erfolg gezeitigt. Für potenzielle Pflegekräfte aus dem Ausland wiederum habe vor Ort kein Wohnraum gefunden werden können. Und für außerhalb der Flächengemeinde wohnende Interessenten sei die ungenügende Anbindung des Standorts an den öffentlichen Nahverkehr angesichts von Arbeitszeiten im Schichtbetrieb und an den Wochenenden ein zusätzliches Hindernis.

Wirtschaftlich defizitär

Über viele Jahre hinweg konnte die Einrichtung deshalb nur wirtschaftlich defizitär geführt werden. Trotz hoher Nachfrage habe man mehrere Zimmer leer stehen lassen müssen, weil sonst die von der Landesregierung geforderten Mindestvorgaben für Personal in Pflegeeinrichtungen nicht eingehalten worden wären. Eine ausreichende Vergütung der Pflegeleistungen aber wäre nur bei einer 95-prozentigen Auslastung des Hauses gegeben gewesen, sagt Gaby Schröder.

Sie sei ein absoluter Verfechter von Qualität in der Pflege, aber hier hätte sie sich ein wenig mehr Spielraum gewünscht, ergänzt die Geschäftsführerin. Warum etwa könne eine erfahrene Pflegehelferin, die mehr als 20 Jahre lang in ihrem Beruf erwiesenermaßen gute Arbeit leiste, nicht bei der geforderten Fachkraftquote hinzugezählt werden? Auch die Möglichkeiten bei der Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland seien durch etliche Hürden erschwert. Die Pflegebranche sei eine der am härtesten und intensivsten staatlich regulierten Branchen. „Wir ersticken in Bürokratie.“

Gaby Schröder ist überzeugt: „Wenn sich politisch bei den Rahmenbedingungen der Pflege nichts ändert, bekommen wir ein großes Problem.“ Denn mit seinen Schwierigkeiten stehe das Alexander-Stift nicht alleine da. Berglen werde kein Einzelfall bleiben, sagt Geschäftsführerin Schröder voraus, wenngleich in ihrem Pflegehausverbund zurzeit keine weitere Einrichtung ähnlich auf der Kippe stehe, wie sie betont.

Aber: „So wie uns geht es deutschlandweit leider auch vielen anderen Trägern. Es geht hier längst nicht mehr um Einzelfälle sondern um ein strukturelles Problem.“ Gerade eben habe ein privates Pflegeunternehmen, Convivo, das bundesweit mehr als 100 Häuser – davon eines in Ludwigsburg – betreibt, Insolvenz angemeldet. Gaby Schröder: „Der Pflegebranche steht das Wasser wirtschaftlich bis zum Hals.“ Aber nicht nur bei den Auflagen und der Vergütung der Pflegeleistungen müsse sich etwas ändern. Der Pflegeberuf benötige grundsätzlich ein anderes Bild in der Gesellschaft, er müsse sich neu aufstellen und auch eine größere Wertschätzung erfahren, meint Schröder. „Unser Beispiel zeigt einmal mehr, dass die Rahmenbedingungen dringend verbessert werden müssen, damit sich wieder mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden und der stark wachsende Pflegebedarf gedeckt werden kann.“

Pflegeberuf benötige ein anderes Bild in der Gesellschaft

Für die Bewohner und Mitarbeiter des Gemeindepflegehauses in Berglen stehen jetzt erst einmal viele Einzelgespräche an, auch wenn der Betrieb noch gut ein Jahr weitergehen wird. Die Entscheidung sei ganz bewusst mit einigem Vorlauf getroffen und kommuniziert worden, damit für jeden eine möglichst gute Lösung gefunden werden könne. Der Auszug kann aber, wenn gewünscht, schon jetzt beginnen, in der näheren Umgebung, etwa in Allmersbach, sind aktuell offenbar Kapazitäten vorhanden.

Das Alexander-Stift

Allgemein
 Das Alexander-Stift ist als Anbieter der Altenhilfe an 22 Standorten vertreten. Ein Schwerpunkt ist der Rems-Murr-Kreis. Das Tochterunternehmen der Diakonie Stetten bietet insgesamt rund 800 Pflegeplätze an und beschäftigt etwa 900 Mitarbeiter.

Berglen
 Das Gemeindepflegehaus im Berglener Teilort Oppelsbohm verfügt über 40 stationäre Pflegeplätze, von denen zurzeit allerdings lediglich 28 belegt sind. Es ist das einzige Seniorenheim in der Gemeinde mit ihren 6500 Einwohnern, die wiederum auf einer mehr als 25 Quadratkilometer großen Fläche verteilt leben. Die nächst gelegenen Pflegeheime des Alexander-Stift befinden sich in Allmersbach und Rudersberg, jeweils knapp zehn Kilometer entfernt. Die nächsten Pflegeheime anderer Betreiber sind in Winnenden.