Das schlechte Image von alkoholfreiem Bier ist von gestern. Was mit Clausthaler angefangen hat, ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Heute verzeichnet das Getränk zweistellige Zuwachsraten. Keine Brauerei kommt mehr daran vorbei.

Stuttgart - Kein Alkohol ist auch eine Lösung. Egal ob Pils, Weizen oder Radler – alkoholfreies Bier ist schwer in Mode. Brauereien tüfteln ständig neue Varianten des Erfrischungsgetränks aus und verzeichnen damit zweistellige Zuwachsraten, gleichzeitig lässt der Durst der Deutschen auf herkömmliches Bier immer mehr nach. Die Gesellschaft für Konsumforschung hat ermittelt, dass 2012 in 17 Prozent aller deutschen Haushalte mindestens einmal alkoholfreies Bier im Einkaufskorb gelandet ist. Fünf Jahre zuvor lag die Käuferreichweite noch bei elf Prozent. Höchste Zeit also für ein Abc rund ums Thema alkoholfreies Bier.

 

Alkoholfrei

Alkoholfrei und Bier? Lange hat diese Kombination bei den Stammkonsumenten bestenfalls eine abwinkende Handbewegung oder verständnisloses Kopfschütteln zur Folge gehabt. Ein vergleichbares Image hatte in den 80er und 90er Jahren auch die Verbindung der Worte „Frauen“ und „Fußball“. Völlig zu Unrecht, wie mittlerweile in beiden Fällen erwiesen ist. Genau wie die erfolgreichen deutschen Fußballfrauen ist auch alkoholfreies Bier in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Kein großer Hersteller und auch keine mittelständische Traditionsbrauerei kann es sich heute noch leisten, es nicht im Sortiment zu haben.

Brauverfahren

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, die zu völlig unterschiedlichen Biertypen führen: Bei der traditionelleren Methode wird der Gärungsprozess des Bieres frühzeitig gestoppt, so dass Alkohol gar nicht erst entstehen kann. „Die Hefe sagt dem Getränk nur ganz kurz ‚Hallo‘“, beschreibt es Ralph Barnstein, Geschäftsführer (Technik) bei Dinkelacker-Schwaben Bräu in Stuttgart. Das bei diesem Verfahren gewonnene Bier lasse sich mit den Attributen malzig, würzig, süß und leicht pappig beschreiben, so der Diplom-Braumeister.

Die damals noch selbstständige Sanwald Brauerei (heute Dinkelacker) brachte bereits 1972 mit Sanwald Pro ein erstes alkoholfreies Bier auf den Markt. Heute setzen die Stuttgarter auf das modernere von beiden Verfahren: Dabei wird das untergärige Bier oder Weizen zunächst normal hergestellt. Anschließend wird ihm der Alkohol durch Destillation unter Vakuum entzogen. Das Resultat ist ein Getränk, das laut Barnstein den eigentlichen Biercharakter besitzt, weniger süß und dafür spritziger ist. Dinkelacker verzeichnet bei seinem alkoholfreien Hefeweizen jährliche Zuwachsraten von rund 20 Prozent. Vom Erfolg beflügelt, haben die Stuttgarter im Frühjahr ein alkoholfreies Weizen Radler von Sanwald auf den Markt gebracht.

Clausthaler

Wer erinnert sich nicht an den im Jahr 1990 geborenen Werbeslogan „Nicht immer, aber immer öfter“? Clausthaler ist so etwas wie die Mutter aller alkoholfreien Biere in Deutschland. 1979 zum ersten Mal hergestellt und bundesweit mit dem Spruch „Alles, was ein Bier braucht“ eingeführt, war es nach Aussagen des Herstellers das erste alkoholfreie Bier auf dem Markt, das dem Vergleich mit alkoholhaltigen Bieren standhielt. Heute besteht die Produktpalette der zur Frankfurter Binding-Brauerei (Radeberger Gruppe) gehörenden Marke aus den Varianten Extra Herb, Classic und Radler. Eine alkoholhaltige Version von Clausthaler gab es nie.

Diätbier

Um Verwechslungen auszuschließen: Diätbier ist kalorien-, aber nicht alkoholreduziert! Das stark gehopfte Gebräu, bei dem die verwertbaren Kohlenhydrate wie Stärke und Zucker fast völlig vergoren werden, ist besonders für Diabetiker geeignet.

Etikettenschwindel

Wo alkoholfrei draufsteht, ist oft nicht wirklich alkoholfrei drin. Diese Tatsache lässt Kritiker von Verbrauchertäuschung sprechen. Für alle, die im Gegensatz zu etwa Bitburger mit seiner Marke „0,0“ keine 0,0 Prozent garantieren, fordern Verbraucherschützer einen Zusatz wie „alkoholarm“ oder „mit wenig Alkohol“ auf dem Etikett. Im Ausland ist dies zum Teil schon üblich, hier weisen die Worte „Premium Low Alcohol Lager“ ehrlicher auf den Alkoholgehalt in der Flasche hin.

Allerdings ist es in Deutschland gesetzlich festgelegt, dass alkoholfreies Bier bis maximal 0,5 Volumenprozent (Milliliter Alkohol pro 100 Milliliter Getränk) enthalten darf. Doch selbst wer in kurzer Zeit eine ganze Menge davon trinkt, muss nicht befürchten, dass er fahruntüchtig wird. Dafür baut der Körper die geringen Mengen an enthaltenem Alkohol zu schnell ab. Bei Traubensaft liegt der zulässige Maximalwert übrigens bei 1,0 Prozent.

Fußballstadion

Bier und Fußball gehören zusammen – diesem Satz würde kaum ein Fußballfan widersprechen. Im Umfeld der Kicker ist das Getränk allgegenwärtig, der FC Bayern hat die „Bierdusche“ salonfähig gemacht, das Stadion auf Schalke heißt offiziell „Veltins-Arena“. Umso erstaunlicher ist es, dass der Konsum von Alkohol im Stadion eigentlich verboten ist: „Der Verkauf und die öffentliche Abgabe von alkoholischen Getränken sind vor und während des Spiels innerhalb des gesamten Geländes der Platzanlage grundsätzlich untersagt“, heißt es im Paragraf 23, Absatz 1 der DFB-Sicherheitsrichtlinie. Erst eine dauerhaft eingebürgerte Ausnahmegenehmigung erlaubt den Biergenuss. In sogenannten Hochrisiko-Partien wird der Ausschank eingeschränkt, dann gibt’s nur Alkoholfreies auf der Tribüne. Der VfB Stuttgart hat sogar schon einmal für alkoholfreies Bier auf seinem Trikot geworben: in der Saison 1986/87 für die Marke Sanwald Extra.

Von Geschmack bis Quereinsteiger

Geschmack

Als „gesundes Produkt mit wenig Zucker und einem bisschen Geschmack“ bezeichnet Horst Zocher von der Gesellschaft für Konsumforschung alkoholfreies Bier. Zocher ist ein wahrer Bierspezialist, sein Arbeitsfeld sei ein sehr „emotionales Metier“ bei den Verbrauchern. Während der Pro-Kopf-Verbrauch der Deutschen immer weiter sinke, so Zocher, hätten es sich die Hersteller zunutze gemacht, dass immer mehr Konsumenten auf den Geschmack von alkoholfreien Alternativen kommen. „Das ist die Chance der Brauer, auf anderen Feldern zu wildern.“ Mittlerweile erweiterten viele Brauereien ihr Sortiment sogar um Fassbrause, die auf ähnlichem Wege hergestellt wird wie alkoholfreies Bier oder auch Bionade. Die Karlsruher Brauerei Hoepfner hat unter dem Namen Grape active sogar eine Mischung aus Grapefruitsaft und Bier im Sortiment.

Hefeweizen

Die jüngsten Produktentwicklungen wie alkoholfreies Weizen und alkoholfreies Radler haben dem Markt einen weiteren Schub gegeben. Ein Vorreiter war Erdinger. Das oberbayrische Familienunternehmen ist 2001 mit seinem „isotonischen Durstlöscher“ an den Start gegangen und war nach eigenen Aussagen bereits fünf Jahre später die Nummer eins am Markt für alkoholfreie Biere. „Danach sind viele Brauer auf den Zug aufgesprungen“, erinnert sich Horst Zocher.

Isotonisch

Besonders beliebt bei Läufern und anderen Ausdauersportlern ist alkoholfreies Weißbier wegen seiner isotonischen Wirkung. Isotonisch bedeutet, dass die im Getränk enthaltenen Nährstoffe und Vitamine schneller in die Blutbahn gelangen. Kritiker wenden allerdings ein, dass Weißbier weniger für Sportler notwendige Inhaltsstoffe wie Zucker oder Natrium enthält als etwa eine Saftschorle. Dennoch ist gerade die Marke Erdinger Alkoholfrei so etwas wie der Klassiker unter den „Läuferbieren“. Viele verwenden es als Energy-Drink.

Kalorien

Alkoholfreies Bier enthält je nach Sorte zwischen 75 und 150 Kalorien pro 0,5-Liter-Flasche, bei herkömmlichen Bieren kann der Kaloriengehalt bis zu doppelt so hoch sein.

Marktführer

Sowohl beim Absatz von herkömmlichem als auch von alkoholfreiem Bier hat die Radeberger Gruppe (Jever, Schöfferhofer, Stuttgarter Hofbräu, Clausthaler) hierzulande die Nase vorn. Die Zeitschrift „Brauwelt“ weist für 2012 ein Volumen von 660 000 Hektoliter alkoholfreies Bier für die Gruppe aus. Radeberger hat in Deutschland nach eigenen Angaben einen Marktanteil von 15 Prozent.

Namen

Die meisten Brauer zeigen sich bei der Namensfindung für ihre alkoholfreien Produkte wenig kreativ: Egal ob Warsteiner oder Wernesgrüner, Krombacher oder Diebels, Holsten oder König Pilsener, an die Markennamen wird meist nur der Zusatz „Alkoholfrei“ angefügt. Zwei von ganz wenigen Ausnahmen sind Jever Fun und Becks Blue. Die Hersteller der bundesweit beliebten kleinen Bügelflaschen von Flensburger („Das Flenst“) nennen ihr Alkoholfreies schlicht Flensburger Frei.

Punkte

Für den einen ist Erfrischung das ausschlaggebende Argument, für den Nächsten ist es das körperliche Wohlbefinden, wiederum andere verbinden mit alkoholfreiem Bier die Sicherheit, nicht in der Verkehrssünderdatei in Flensburg zu landen. Sie können es einen ganzen Abend lang ohne schlechtes Gewissen trinken und anschließend noch mit dem Auto nach Hause fahren, ohne Punkte zu sammeln. Was will man mehr?

Quereinsteiger

Alkoholfreies Bier ist aber längst mehr als nur eine Notlösung für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen oder Verantwortungsgefühl die Finger von herkömmlichem Bier lassen. Den Brauern ist es mit dem Alkoholfreien gelungen, ganz neue Käuferschichten für sich zu gewinnen: „Immer mehr Verbraucher sehen es als Alternative zu Wasser, Schorle und anderen alkoholfreien Getränken“, sagt der GfK-Experte Zocher. Er nennt alkoholfreies Bier „Erwachsenenlimonade“, die weniger mit Bier als mit anderen Durstlöschern konkurriert.

Von Spott bis Zweifler

Spott

Aus „igitt!“ wurde „na und“ – die Reaktionen auf alkoholfreies Bier in der Öffentlichkeit haben sich geändert. Das belegt die gefühlt sinkende Anzahl der dummen Sprüche, die man sich bei Familienfesten oder Grillabenden dafür anhören muss, nicht zu herkömmlichem Pils zu greifen.

Tannenzäpfle

Auch das bundesweit beliebte Zäpfle aus dem Schwarzwald gibt es in entschärften Versionen, einem Pils und einem Hefeweizen. Die landeseigene Brauerei ließ sich etwas mehr Zeit, ehe sie 2009 im 218. Jahr ihres Bestehens, den Startschuss zum alkoholfreien Genuss gab.

Umsätze

Laut dem Deutschen Brauer-Bund stellen inzwischen rund 200 Brauereien alkoholfreies Bier her. Der Gesamtausstoß betrug 2012 laut der Zeitschrift „Brauwelt“ 4,1 Millionen Hektoliter, allerdings inklusive Fassbrause. Das Statistische Bundesamt liefert keine Daten, weil alkoholfreies Bier nicht der Biersteuer unterliegt, anhand derer die Herstellungszahlen gemessen werden. Der Gesamtabsatz der Deutschen Brauereien erreichte 2012 mit 96,5 Millionen Hektolitern den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Alkoholfreies Bier kommt damit auf einen Marktanteil von rund vier Prozent.

Wasen-alkoholfrei

Auch die Wasen-Maß gibt es in der alkoholfreien Variante. Wer auf dem Stuttgarter Volksfest lieber seine Runden mit der Wilden Maus dreht, als sich die Umdrehungen in den Kopf zu schütten, muss bei Wasenwirt Hans-Peter Grandl nicht verdursten. „Ich bin seit 2000 auf dem Wasen, und wir hatten schon damals alkoholfreies Bier“, sagt Grandl, der in seinem Hofbräu-Zelt eine zunehmende Beliebtheit des Alkoholfreien ausgemacht hat: „Die Leute sind bewusster geworden.“

X bis Zweifler

Wer jetzt noch keinen Durst bekommen hat, wird für immer ein Nörgler bleiben, der auch mit Frauenfußball nicht viel am Hut hat.