Von den derzeit 29 Millionen Russen unter achtzehn Jahren sind laut einer Studie bereits mindestens 60 000 Alkoholiker. Die Dunkelziffer, fürchten die Forscher, könnte um ein Vielfaches höher liegen. Ein neues Gesetz soll Abhilfe schaffen.

Russland - Im Durchschnitt konsumiert der russische Schüler täglich zwei bis sechs Liter Bier und zwei bis fünf Dosen mit alkoholhaltigen Cocktails. Die Zahlen stehen auf der Website von Norma, einem auf Suchtkrankheiten bei Kindern spezialisierten medizinischen Zentrum in St. Petersburg, das Betroffenen auch Beratung und Heilung anbietet. Von den derzeit 29 Millionen Russen unter achtzehn Jahren, heißt es dort weiter, seien bereits mindestens 60 000 Alkoholiker. Die Dunkelziffer, fürchten die Forscher, könnte um ein Vielfaches höher liegen. Doch schon die offizielle Statistik ist erschreckend.

 

Zwar gehört das Koma-Saufen bisher nicht zu den Lieblingssportarten russischer Jugendlicher. Das Land ist jedoch seit Jahren weltweit Spitzenreiter bei Alkoholkonsum von Minderjährigen. Laut Statistik greift inzwischen fast jeder zweite Heranwachsende regelmäßig zur Flasche. Und das Einstiegsalter bei der Droge Alkohol wird offenbar immer jünger. Fünf Prozent aller Erstklässler gaben bei Umfragen zu Protokoll, regelmäßig Bier zu trinken und sahen darin nichts Schlimmes.

Neues Gesetz soll den Griff zur Pulle erschweren

In den oberen Klassen trinken bereits 95 Prozent aller Schüler nach eigenen Aussagen gewohnheitsmäßig. Und 92 Prozent aller erwachsenen Trinker gaben zu, mit dem Alkohol erstmals in Berührung gekommen zu sein, als sie noch nicht einmal fünfzehn Jahre alt waren. Jeder dritte davon war, als er das erste Mal probierte, jünger als zehn. Es steht also grottenschlecht um den „genetischen Fond“ des russischen Volkes, den Kremlherrscher Wladimir Putin bei jeder sich bietenden Gelegenheit strapaziert. Nun soll ein neues Gesetz Kindern den Griff zu Pulle und Dose erheblich erschweren. Der Entwurf, so Innenminister Wladimir Kolokolzew, sei bereits fertig. Er sieht unter anderem Haftstrafen von zwei bis sechs Jahren für den Verkauf von Alkohol an Heranwachsende vor.

Derzeit kommen ertappte Sünder mit Bußgeldern davon, die eher Anreiz sind: Die Fusel-Verkäufer zahlen maximal 5000 Rubel, circa 125 Euro, ihre Brötchengeber höchstens 100 000 Rubel (2500 Euro). Vor allem aber sollen sich in Zukunft auch Eltern, deren Kinder in berauschtem Zustand in der Öffentlichkeit angetroffen werden, strafrechtlich verantworten müssen. Regierungschef Dmitri Medwedew hatte sich kürzlich dafür stark gemacht und gleichzeitig auch gefordert, strenger als bisher gegen Fusel-Panscher vorzugehen. Denn einschlägige Statistiken sind nicht weniger alarmierend als die zu Alkoholgenuss im Kindesalter.

Alkoholmissbrauch gilt bisher nicht als kriminell oder krankhaft

An gepanschtem Wodka starben 2011 fast so viele Menschen wie bei Verkehrsunfällen: 23 000, Tendenz steigend. Künftig sollen für Herstellung und Vertrieb von gepanschtem Alkohol – in den Flaschen, deren Etiketten besten Weizenbrand versprechen, ist häufig hochgiftiges Methanol drin – Strafen von bis 500 000 Rubel – das sind etwa 12 500 Euro – fällig werden. Experten sind skeptisch, ob die geplanten Gesetze einen Abschreckungseffekt haben. Haft allein bringt nichts und dürfe erst dann greifen, wenn Erziehungsmaßnahmen versagt haben, warnt Russlands Oberster Narkologe, Jewgeni Brjun. Von besoffenen Eltern könne man keine nüchternen Kinder erwarten, ätzte auch der Beauftragte für die Rechte des Kindes in Moskau, Jewgeni Bunimowitsch, ein Mann, der schon mal den Wettbewerb „Bester Lehrer Russlands“ gewann. Das größte Problem sei ein mentales: Alkoholmissbrauch gelte „aufgrund unseres Nationalcharakters“ bisher weder als kriminell noch als Krankheit.