Hat das nächtliche Alkoholverkaufsverbot etwas gebracht, um Jugendliche vom Trinken abzuhalten? Ein Blick auf die Zahlen lässt kurz nach der Abschaffung des Gesetzes erste Rückschlüsse zu.
Stuttgart - Das Wort „Komasaufen“ ist nicht mehr so häufig in Gebrauch wie noch vor rund zehn Jahren. Damals hatte man den Eindruck, es sei geradezu Mode, dass junge Menschen sich bis zur Bewusstlosigkeit mit Alkohol zuschütten. Das hat sich geändert, aber eine völlige Entwarnung können die Mediziner nicht geben. Nach wie vor trinken viele junge Menschen regelmäßig zu viel, und die Tendenz ist wieder steigend. In Stuttgart sind im vergangenen Jahr 113 Kinder und Jugendliche mit Alkoholvergiftungen ins Krankenhaus gebracht worden, das verzeichnet das Städtische Klinikum in seiner Statistik. Das ist erneut ein Anstieg. Dabei haben die Zahlen noch nicht wieder das Niveau der Zeit vor dem nächtlichen Alkoholverkaufsverbot erreicht.
Die Ärzte des Klinikums hatten Anfang Dezember sogar noch mit wesentlich drastischeren Zahlen gerechnet. Sie hatten damals aufgrund ihrer Erfahrungswerte eine Zahl von etwa 140 Fällen bis zum Jahresende erwartet – denn meist kommen zwischen den Weihnachtsfeiertagen und Silvester noch etliche Fälle hinzu. Das ist im vergangenen Jahr jedoch nicht eingetreten. So wurde nicht, wie zunächst befürchtet, ein Wert wie in Zeiten vor dem nächtlichen Verkaufsverbot für Alkohol erreicht.
Die gezählten 113 Kinder und Jugendlichen sind ein paar Fälle mehr als im Jahr davor, als das Klinikum 104 Fälle registriert hatte. Ein starker Rückgang war lediglich in den Jahren 2014 und 2015 mit 85 beziehungsweise 86 Fällen verzeichnet worden.
Die Wirkung des nächtlichen Verkaufsverbots ist umstritten
Die Zahlen werden aufmerksam in der Politik und im Gesundheitswesen verfolgt. Denn Ende 2017 fiel das nächtliche Alkoholverkaufsverbot in Baden-Württemberg. Seither können Bier, Wein und Spirituosen auch wieder nach 22 Uhr verkauft werden. Das Verbot war von der schwarz-gelben Landesregierung auch deshalb eingeführt worden, um den übermäßigen Alkoholkonsum bei Jugendlichen einzudämmen. Experten streiten sich, ob diese Wirkung tatsächlich eingetreten ist. Die Stuttgarter Zahlen sprechen nicht dafür, auch wenn noch nicht wieder das Niveau aus den Zeiten vor dem Verbot erreicht ist: 2010, als die Neuregelung gegen Jahresende in Kraft getreten war, zählte man 145 Fälle im Stuttgarter Klinikum.
Auch ein Blick auf die Landeszahlen offenbart einen ähnlichen Trend: Nach einer stetigen Zunahme der Alkoholvergiftungen bei Jugendlichen in den Jahren 2001 bis 2009 von knapp 1800 auf mehr als 4000 Fälle verzeichnete die DAK-Gesundheit einen Rückgang in den folgenden Jahren. Der niedrigste Stand nach dem Anstieg war im Jahr 2015 mit rund 2800 Fällen erreicht, teilt der DAK-Sprecher Daniel Caroppo mit. Die Krankenkasse führt eine jährliche Statistik über die Werte. Für 2017 liegen noch keine Landeszahlen vor.
In der Notaufnahme des Kinderkrankenhauses Olgahospital lande „das ganze Spektrum: Vom Jugendlichen, der es nach dem Schulabschluss zum ersten Mal übertrieben hat, bis zu denjenigen, die schon regelmäßig zu viel trinken“, sagt der Ärztliche Zentrumsleiter Axel Enninger, der auch Leiter der Notaufnahme ist. Bei Jugendlichen lägen der Zustand des angenehmen Rausches und des Kontrollverlusts oft nah beieinander. „Das kann manchmal mit einem einzigen weiteren Getränk kippen“, erläutert der Arzt. Das liege am Abbau, der Verteilung im Körper und den sensibleren Nerven: In diesen Punkten unterscheiden sich die Kinderkörper von Erwachsenen. Ein schlimmer Rausch im Jugendalter „kann ja mal passieren“, sagt Enninger. Was er Jugendlichen dann wünsche, seien gute Freunde: „Die zu ihren Kumpels stehen, Hilfe holen und dabei bleiben, bis der Krankenwagen da ist.“
An die Eltern appelliert er, eine klare Erziehungslinie einzuhalten. „Man kann sich dabei am Jugendschutzgesetz orientieren. Es gibt ja Gründe, warum Hochprozentiges erst ab einem bestimmten Alter erlaubt ist“, rät er den Erziehungsberechtigten.
Wenn ein Jugendlicher alkoholisiert in der Notaufnahme landet, werde immer das Kinderschutzteam der Klinik eingeschaltet, sagt Enninger. „Sie klären, ob es ein einmaliges Vorkommnis ist, oder ob eine Gefahr besteht, dass das öfters vorkommt.“ Dann greife das Team präventiv ein. Daneben bieten Polizei und Sozialverbände Beratungen und Präventionsprogramme.