Jugendliche trinken bis zum Umfallen. Es ist leichter, eine Sucht zu verhindern, als sie später zu behandlen. Aufklärung soll helfen.

Stuttgart - Das Saufen bis zum Umfallen endet oft auf der Intensivstation. Die Jugendlichen werden in der Klinik medizinisch versorgt, nach Hause entlassen – und trinken weiter. Dabei ist den meisten der jungen Erwachsenen nicht klar, dass sie sich dabei nicht nur akut, sondern auch langfristig schaden. Das Nervensystem im jungen Gehirn ist noch nicht endgültig ausgebildet, die Entwicklung durch alkoholische Exzesse wird gestört. „Man findet bei diesen Jugendlichen neurodegenerative Veränderungen im Frontalcortex, wie man sie sonst nur bei 50- bis 60-jährigen Alkoholikern sieht“, berichtet Sonja Bröning vom deutschen Zentrum für Suchtfragen am Hamburger Universitätsklinikum bei den diesjährigen Tübinger Suchttherapietagen.

 

Durch den exzessiven Alkoholkonsum nehme die Reaktionsgeschwindigkeit ab, das Gedächtnis werde schlechter, die Aufmerksamkeit sinke und die Konzentration lasse nach, erklärte die Psychologin. Zudem komme es unter Alkoholeinfluss zu ungewollten sexuellen Übergriffen, und das alkoholisierte Autofahren ende nicht selten tödlich.

In kaum einem anderen europäischen Land betrinken sich so viele Jugendliche wie in Deutschland. „Es muss hier mehr gegen den Alkoholmissbrauch getan werden“, forderte Bröning. Dies beginne zunächst bei den Eltern. So habe eine Befragung unter Jugendlichen beispielsweise ergeben, dass der Großteil der Eltern sehr liberal gegenüber dem Trinken eingestellt sei. Doch auch die Politik, Kommunen und Vereine seien in der Pflicht: Auf Feiern und Festen werde Alkohol im Vergleich zu antialkoholischen Getränken oft zu billig verkauft und auch über die Werbung müsse man nachdenken.

Jugendliche sollen lernen, „Nein“ zu sagen

Daniela Piontek vom Institut für Therapieforschung München hält die kommunale Suchtprävention für einen vielversprechenden Ansatz. Dabei müsse für jede Gemeinde ein individuelles Konzept erarbeitet werden. Dadurch sollten die Jugendlichen lernen, „Nein“ zu sagen, sie sollen in ihrem Selbstvertrauen gestärkt werden und bewusster mit ihrem Körper umgehen. Noch fehle ein allgemeines Konzept, es gebe zu wenig wissenschaftliche Begleitung. Hier bestehe noch viel Forschungsbedarf, um die verschiedenen Projekte zu vergleichen und zu beurteilen, sagte Piontek.

In der Grundlagenforschung ist man auf der Suche nach den Ursachen des Alkoholmissbrauchs. Dabei dienen Tiere als Modell für den Menschen. „Doch kann man ein derart komplexes Verhalten wie die Sucht an einem Tier untersuchen und dies dann auch noch auf den Menschen übertragen?“, überlegte Rainer Spanagel vom Institut für Psychopharmakologie am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim. Und er gab sich und den Besuchern des Kongresses die Antwort: „Ja, man kann“. Und zeigte dies an einem Beispiel aus seiner Forschung. Die Ursache des Alkoholmissbrauchs liegt teilweise in den Erbanlagen. Beim Menschen hat man festgestellt, dass eine bestimmte Genvariante (rasgrf2), die geschlechtsspezifisch nur bei Männern vorkommt, den alkoholischen Missbrauch verstärkt. Diese Erbanlage findet man auch bei Mäusen: Bei sogenannten „Knock-out“-Mäusen ist sie ausgeschaltet. Diese Mäuse meiden den Alkohol, während ihre Artgenossen mit Gen trinken bis zum Umfallen. Dieser Drang, diese unbezwingbare Gier hat molekulare Ursachen im Gehirn. Alkohol bringt eine ganze Reihe von Botenstoffen durcheinander, mit deren Hilfe die Zellen untereinander kommunizieren. Ein Beispiel ist das Glutamatsystem: Glutamat erhöht in den Nervenzellen die Bereitschaft, eine Nachricht zu empfangen. Gleichzeitig regt sie die Zelle dazu an, Signale weiterzuleiten.

Überreizung von Hirnregionen führt zu Entzugserscheinungen

Alkohol kann diese Wirkung blockieren und schwächt dadurch den erregenden Effekt ab – das wirkt beruhigend. Wird jedoch häufig Alkohol getrunken, sind die Bindungsstellen ständig belegt. Der Körper kompensiert dies und bildet neue Bindungsstellen. Wenn nun an diesen Stellen der Alkohol fehlt, sind die entsprechenden Zellen übererregt. Diese Überreizung bestimmter Hirnregionen könnte die Ursache für verschiedene Entzugserscheinungen sein und führt zum Kontrollverlust und Rückfall. Dabei könnte die Genvariante eine Rolle spielen, denn sie wirkt auf den empfindlichen Stoffwechsel der neuronalen Botenstoffe.

Diese Untersuchungen mit Mäusen lassen sich auch beim Menschen nachvollziehen. Man könne den Glutamatspiegel beim Menschen spektroskopisch messen, sagte Spanagel. Und es zeigte sich, dass beim Alkoholentzug die Konzentration dieses Botenstoffes im menschlichen Gehirn erhöht sei. Somit könne im Tierversuch dieser molekulare Kontrollverlust und mögliche dagegen wirkende Medikamente erforscht werden, erklärte der Biologe, und man können vom Tier auf den Menschen schließen.