Fünf Spielerinnen des Volleyball-Bundesligisten MTV Allianz Stuttgart stammen aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Dahinter steckt keine Clubstrategie, sondern etwas ganz anderes.

Stuttgart - Unter dem Hallendach der Scharrena bezeugen sieben Nationalflaggen an den Porträts der Volleyballerinnen und Trainer die internationale Herkunft der Hauptdarsteller des Stuttgarter Bundesligisten. Schon ein ersten Blick verrät: die Fahne mit den Stars and Stripes taucht besonders häufig auf. Ein zweiter Blick auf den MTV-Kader bestätigt die Vermutung, die Stuttgarterinnen sind in dieser Saison ‚very american‘. Die MTV-Frauen kommen einem in dieser Saison ziemlich amerikanisch vor.

 

Fünf von 13 Spielerinnen mit US-Pass

Mit Molly McCage, Paige Tapp, Krystal Rivers, Madison Bugg und Sarah Wilhite haben gleich fünf der 13 Spielerinnen einen amerikanischen Pass, Co-Trainerin Tamari Miyashiro komplettiert das US-Sextett am Neckar. Fast zwingend stellt sich die Frage, ob nun beim MTV neben den Ludwigsburger Basketballern und den Footballern der Scorpions eine weitere Filiale für US-Sportler in der Region entsteht. Diese beantwortet Geschäftsführer Aurel Irion mit einem klaren Nein. „Wir wollen weiterhin deutsche Talente, am besten aus der Umgebung, an unsere erste Mannschaft heranführen“, bekräftigt der 47-Jährige, ergänzt aber: „Um in der Bundesliga und der Champions League oben mitspielen zu können, zählt vor allem die Qualität der Spielerinnen – und nicht der Pass.“

Die gewünschte Qualität haben die Stuttgarter US-Girls in der ersten Phase der Saison allesamt eindrucksvoll nachgewiesen. „Sie haben in unser Anforderungsprofil gepasst und unsere Erwartungen spielerisch wie auch charakterlich voll erfüllt“, sagt Sportchefin Kim Renkema. So bilden Paige Tapp und Molly McCage auch in ihrer zweiten Spielzeit in Stuttgart einen starken, vielleicht sogar den besten Mittelblock der Liga. Abseits des Spielfelds übernimmt das Duo ebenfalls Verantwortung. „Sie sind absolute Musterprofis und leben das in jeder Situation vor. Sie unterstützen ihre Mitspielerinnen und die Neuzugänge, wo sie können“, sagt MTV-Trainer Giannis Athanasopoulos über die beiden Abwehrspezialistinnen.

Colleges in den USA bilden hervorragend aus

Dass in dieser Saison nicht wie im Vorjahr nur drei Amerikanerinnen in der Scharrena aufschlagen, ist zwar keine Strategie des Clubs, aber auch kein absoluter Zufall. Zum einen bringen die Hochschulen in den Vereinigten Staaten in einem profiähnlichen Sportsystem eine Vielzahl gut ausgebildeter Volleyballerinnen hervor. Da es in den USA nach dem Universitätsabschluss für die Spielerinnen keine professionellen Ligen gibt, strömen die US-Talente dann nach Europa – und nach Deutschland. 25 Amerikanerinnen verdienen aktuell ihr Geld in der Bundesliga und bilden damit die größte ausländische Fraktion. „Die Spielerinnen sind vor allem athletisch sehr gut ausgebildet und bringen eine große Bereitschaft mit“, verrät Athanasopoulos über die US-Talente, die zudem mit Englisch, der international verbreiteten Trainingssprache im Volleyball, keine Sprachbarriere haben.

Für die Spielerinnen lohnt sich der Wechsel über den Atlantik ebenfalls. „Für mich ist es ein Privileg, von dem Sport, den ich liebe, auch leben zu können“, sagt Zuspielerin Madison Bugg, die vor der Saison vom Dresdner SC nach Stuttgart kam. Und Molly McCage: „Es ist ein echtes Abenteuer, durch Europa zu reisen, Volleyball zu spielen und jeden Tag etwas Neues zu erleben.“

Tamari Miyashiro mit Doppelfunktion

Dass einige der besten US-Girls in Stuttgart gelandet sind, ist zum anderen der Doppelfunktion von Tamari Miyashiro zu verdanken. Die Co-Trainerin des MTV bekleidet dasselbe Amt auch in der Nationalmannschaft der USA. „Dadurch kennt Tamari alle Spielerinnen der US-Teams. Sie genießt viel Vertrauen und kann den Spielerinnen auch mitgeben, was sie in Stuttgart erwartet“, sagt Kim Renkema.

Neben dem Vertrauensvorschuss haben die positive Entwicklung des MTV und die Champions-League-Teilnahme eine gewisse Sogwirkung erzeugt. „Die Spielerinnen wissen, dass sie sich in Stuttgart weiterentwickeln, auf der internationalen Bühne präsentieren und auch Titel gewinnen können“, sagt Aurel Irion.

Und das Gewinnen kommt bei den fünf US-Girls gut an. „The championship and Pokal“ soll am Ende der Saison rausspringen, wenn es nach Paige Tapp geht, die im Quintett neben dem Spielfeld die Rolle der Köchin einnimmt. „Paige ist sehr kreativ beim Kochen, aber es schmeckt und ist ein Stück Heimat“, lobt Außenangreiferin Sarah Wilhite, die mit Tapp schon auf der University of Minnesota zusammenspielte und eine enge Freundschaft verbindet. In ihrer neuen schwäbischen Heimat fühlen sich die Amerikanerinnen ohnehin pudelwohl. „Man kann hier unheimlich viel unternehmen. Die Menschen sind sehr offen und sprechen häufig Englisch. Das ist anders als in Italien“, sagt Wilhite, die aus der lombardischen Kleinstadt Busto Arsizio an den Neckar wechselte.

Wohngemeinschaften helfen gegen das Heimweh

Gegen aufkommendes Heimweh hilft der regelmäßige Besuch von der Familie und Videoanrufe nach Hause. Oder eben ein Abstecher zum Army-Stützpunkt. „Aber nur einmal, um Süßigkeiten zu kaufen“, gesteht Madison Bugg, die sich mit Julia Schaefer eine Wohnung teilt. Paige Tapp bildet mit Roosa Koskelo eine finnisch-amerikanische WG. „Wir hatten etwas Angst vor einer Grüppchenbildung“, sagt Kim Renkema, „aber sie haben sich als einzelne Charaktere toll ins Team integriert.“

Um die Integration zu erleichtern und ein Stückchen USA nach Stuttgart zu holen, entschloss sich die Mannschaft zu einer gemeinsamen Thanksgiving-Feier. Doch der Abend verlief so, wie sich der Stuttgarter Bundesligist selbst einschätzt: nicht typisch amerikanisch, sondern international. Besonders groß war die Freude über das ungarisch-brasilianisch-amerikanische Büfett bei Krystal Rivers. „Es war so lecker, ich hatte Tränen in den Augen vor Glück“, erzählt der Neuzugang von Beziers VB.

An diesem Mittwoch ist aber der Erfolgshunger der besten Stuttgarter Punktesammlerin gegen ihren Ex-Club gefragt. Um 19 Uhr empfangen die Stuttgarterinnen um die fünf US-Girls in der Scharrena den französischen Meister zum ersten Heimspiel in der Gruppenphase der Champions League. Mit einem ganz klaren Ziel: Gewinnen!