Acht Räder angetriebene Räder, 625 Pferdestärken, 35 Prozent Steigung: Daimler testet seinen ihre neuen Alltradschwerlaster in einem Steinbruch auf der Schwäbischen Alb.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Erkenbrechtsweiler - Die Steilwände des Steinbruchs öffnen sich wie die Schlucht zum Tal des Todes. Inmitten der Mondlandschaft blitzt ein künstliches Teichlein auf, das die Arbeiter liebevoll „Die blaue Lagune“ nennen. Baumaschinen dröhnen in dem Schotterwerk von Erkenbrechtsweiler um die Wette. 1000 Tonnen Kies werden hier pro Stunde gefördert – und das trotz der vielen fremden Lastwagen, die an diesem Tag auf dem Gelände zu Testzwecken unterwegs sind. Einen ganzen Fuhrpark hat Daimler vom weltgrößten Lkw-Montagewerk in Wörth am Rhein auf die Schwäbische Alb gekarrt, um ihre aktuelle Allradtechnik zu präsentieren.

 

Zum ersten Mal in der mehr als siebenhundertjährigen Geschichte von Erkenbrechtsweiler sind die Augen der Nutzfahrzeugfachwelt auf den Südrand des Landkreises Esslingen gerichtet. Journalisten aus Russland, Schweden oder Finnland sind angereist, um eine Woche lang den neuen hydraulischen Antrieb der Mercedes-Lastwagen zu testen.

Klaus Huppert, der dieses Schotterwerk leitet, hat sich glattrasiert für seinen medialen Auftritt – und eine Sprengung organisiert: einerseits zur Unterhaltung der Journalisten, andererseits braucht sein Schotterförderband Nachschub. Der Betrieb muss laufen, trotz des Rummels. Steine sind Hupperts Gewinn, und Staub gehört zu seinem Geschäft. Weiße Wolken wehen über die Ausfahrt wie Schnee und legen sich auf die Zufahrtsstraße nach Erkenbrechtsweiler, wo die Schotterlaster zum Albtrauf fahren und in engem Takt ins Tal brummen.

Huppert hat jahrelang als sogenannter Probekunde die Prototypen von Mercedes getestet, bevor sie in Serie gingen. Dass der neue Allradlastwagen Arocs HAD drei Trittstufen hat und keine vier, verdankt der Weltkonzern Daimler vermutlich auch ihm, dem Geschäftsführer des Schottervertriebs Vordere Alb. „Wenn man am Tag fünfzig Mal eine Stufe mehr rauf- und runterklettern muss, dann sagen meine Leute: So ein Scheißdreck.“

Lichter im Arocs

Die Journalisten auf dem Werksgelände, Typen im Karohemd und Baseballkappen, schreiben für Fachmagazine wie „Trucker“, „Fernfahrer“ oder „Gefahrgut aktuell“. Von ihnen sieht man meist nur die Hinterteile, weil sie mit den Köpfen im Radkasten des Arocs hängen und die neue Spitzentechnik begutachten. Ansonsten sieht man noch die Staubschwaden, die sie verursachen, wenn sie mit dem Lastwagen durch das Schotterwerk brettern. Selbstverständlich besitzen die meisten einen Lastwagenführerschein, und alle sind heiß auf die Testfahrten. Wer aufgrund der fehlenden Lizenz nicht selber fahren darf, für den setzt sich Mathias Lichter ans Steuer, der Chef der Mercedes-Lkw-Testcrew.

Lichter hat den Führerschein einst bei der Bundeswehr gemacht, sein Studium als Teilzeit-Fernfahrer finanziert und ist als Diplom-Ingenieur Testfahrer geworden. Eine Karriere, von der viele Männer träumen. Der 56-Jährige ist im Dienst für Daimler zwar ergraut, aber nicht erlahmt. Man merkt, dass Lichter sein Job noch immer einen immensen Spaß bereitet. Gerade steuert er einen Arocs 8x8/4 über die Zufahrtsstraße ins Abbaugebiet des weißen Juras. Ein Unimog hat tiefe Spuren in eine Abraumhalde gefräst, die Zufahrt ist schwarz von den Radierspuren der Lastwagen.

35 Prozent Steigung. Lichter sitzt locker im Laster, lässt ihn rückwärts und vorwärts rollen, langsamer als Schrittgeschwindigkeit. Jetzt würde jede normale Kupplung verbrennen. Er hebt das Datenblatt hoch: Acht Räder werden einzeln angetrieben, zwei Achsen gelenkt. Der Arocs arbeitet sich nach oben. „Nicht ganz billig ist das Auto“, sagt Lichter, „jeder Unternehmer wird sich gut überlegen, ob er es kauft.“ Aber wenn ein normaler Lastwagen liegen bleibt, dann steht eine Kiesgrube eine halbe Stunde still, bis die Planierraupe ihn rausgezogen hat – und dann lohnt sich ein etwa 150 000 bis 360 000 Euro teures Fahrzeug womöglich doch. Die Palette an Varianten, die bei Mercedes geordert werden kann, deckt so ziemlich jeden Bedarf ab: Es gibt allein vier Sechszylinder-Motoren in 16 Leistungsstufen bis 625 PS, Dutzende von Getriebe- und Achskombinationen, seiben verschiedene Kabinen und unzählige Versionen für Sattelzüge, Plattformwagen, Kipper und Betonmischer.

Der 40-Tonner schafft bis zu 70 Prozent Steigung

Der vierachsige Koloss 8x8/4 bringt es voll beladen mit 20 Tonnen Schotter auf dem Kipper auf ein Gesamtgewicht von 40 Tonnen. Für ihn könnte es noch steiler sein. „Wenn der Untergrund griffig genug ist, schaffen wir bis zu siebzig Prozent Steigung“, sagt Mathias Lichter. Das ist ungefähr der Winkel, den die Lehne eines Klappstuhls hat.

Der Allradlaster scheint direkt in die Wolken zu fahren, weil man in der Panoramafrontscheibe nur den Himmel sieht. Am Scheitelpunkt schweben einen Moment lang die Vorderräder in der Luft. Als das Fahrzeug wie eine Taschenmesserklinge ruckartig nach unten klappt, glaubt man, ins Bodenlose zu fallen – und spürt kurz danach, wie die Stollenreifen ins Gestein und die Bremsklötze in die Stahlscheiben beißen. Nicht nur das Auto, auch der Fahrer und der Co-Pilot werden bei der Übung im Grenzbereich kräftig durchgeschüttelt.

Bevor Erkenbrechtsweiler in den Fokus der Motor-Weltpresse geraten konnte, musste das Rathaus die Errichtung einer riesigen Zelthalle im Schottwerk genehmigen. Darin thronen jetzt die Giganten der Landstraße – Schwerlaster vom Typ Actros und die Baustellenvariante Arocs mit dem neuen Hydraulikantrieb HAD. Die Pressesprecherin Kathrin Fritz kauert neben einem Vorderrad und lästert über die Konkurrenz: „Bei Daimler sind die Hydraulikschläuche viel sinnvoller angebracht, nämlich über der Radnabe“, erklärt sie fachfrauisch. „Nutzis“ nennt sie die Nutzfahrzeuge, die sie offenbar in ihr Herz geschlossen hat. Kathrin Fritz hat einst die Theorieprüfung für den Lastwagenführerschein bestanden und dann wegen Zeitmangels aufgehört – die Kinder, ja, natürlich. Sie erzählt, dass sie die Präsentation ausdrücklich in der Region Stuttgart machen wolle, auf der Schwäbischen Alb, wo viele Kunden und viele Tester zu Hause sind und die Landschaft mindestens so traumhaft schön ist wie bei Ascona.

Dem eigenen Werbeslogan folgend („Das Beste oder nichts“) hat Daimler das Schotterwerk für die Präsentation hochprofessionell vorbereitet. Der Konzern ließ ein Kiesbett aufschütten, parkte darauf die Lastwagen und baute dann erst die Zelthalle um die Lastwagen herum auf, weil die Ausstellungsfahrzeuge nicht durch den Eingang gepasst hätten. Die Dekoration: Steinpflanzen blühen auf den Tischen in winzigen Betonblöcken, das Büfett ist auf Vierecksteinen aufgebaut, Stühle und Tische sind aus grobem rustikalem Holz. „Hier wird geschafft!“ soll das Ambiente in jedem Detail signalisieren.

Der Kühler liegt oben

Ein Schaffer ist auch Joachim Schmid, der Geschäftsführer der Baufirma Fischer in Weilheim. Dass der Kühler beim Arocs oben liegt und nicht unten, geht auch auf seinen Sachverstand zurück: „Wäre der Kühler unten, dann würden sich die Lamellen mit Baustellendreck zusetzen“, erklärt er, die Brille über der Stirn. „Die Ingenieure bauen die Teile oft da ein, wo es am günstigsten scheint. Aber in der Praxis sieht das halt anders aus.“

Was bringt es der Firma Fischer, die Mercedes-Baustellenfahrzeuge als Probekunde zu testen? „Ich bekomme dann eben ein gutes Produkt in die Hand, mit dem ich gut schaffen kann“, sagt der Geschäftsmann, der sieben Monate lang den Arocs in seinem Betrieb ausgiebig erprobt hat. Jetzt zieht er sein Jackett aus, wirkt selbst wie ein Baustellenfahrer und zeigt eine Power-Point-Präsentation, um den internationalen Journalisten die Vorzüge des neuen Allradantriebs zu erklären: „Die Hydraulik ist verschleißfreier und leichter, das bedeutet für einen Unternehmer: er hat weniger laufende Kosten und kann mehr Nutzlast mitnehmen.“

Kleine Jungs mögen große Autos – und große Jungs auch: Ob sich Mathias Lichter vorstellen könnte, einen Personenwagen mit zu entwickeln? „Sicher ein interessantes Feld“, sagt er diplomatisch. Aber dann würde ihm die Asphaltcowboy-Romantik und das Flair der Könige der Landstraße fehlen. Und die Technik der riesigen Sechszylinder-Dieselaggregate, die laut Lichter trotz eines Durchschnittsverbrauchs von 28 Litern auf hundert Kilometer kaum für Feinstaubprobleme verantwortlich sind: „Sie könnten mit diesem Auto in einer geschlossenen Halle fahren, es kommt praktisch nur Kohlendioxid und Wasser aus dem Auspuff. Die Luft, die in den Motor reinkommt, ist dreckiger als die Luft, die rauskommt!“ Dann rechnet er: Würde man einen Lastwagenmotor auf Personenwagengröße schrumpfen, könnte er mit zwei Litern laufen.

Bevor Mathias Lichter weitere Fragen beantworten kann, bringt Kathrin Fritz wieder neue Vertreter der Fachpresse in die Halle. Der Mercedes-Cheftester muss wieder los. Der Tross zieht von der Zelthalle hinaus zum Parkplatz, wo die Testfahrzeuge stehen, die jetzt wieder bereit sind für neue Probefahrten. Für sie ist der Arocs ein wundervolles Spielzeug und das Schotterwerk in Erkenbrechtsweiler ein riesiger Sandkasten.