Die Regierungskoalition läuft erstaunlich reibungslos – doch die konfliktträchtigen Themen kommen erst noch.

Stuttgart - Die ersten beiden Monate sind um – zu wenig, um über das Klima der grün-schwarzen Koalition tiefgründig urteilen zu können. Dennoch hatten beiden Seiten schon ein paar Aha-Erlebnisse, die mehr aussagen über den Alltag als die aufgekratzte Stimmung der Anfangsphase. „Gespräche mit der SPD haben wir meist in der Annahme geführt, dass wir uns schnell einig sein werden. Diese Annahme hat sich aber oft genug als falsch herausgestellt“, sagt Oliver Hildenbrand, Grünen-Landesvorsitzender und als studierter Psychologe besonders aufmerksam auf gruppendynamische Prozesse. Dann fügt er hinzu: „Bei Gesprächen mit der CDU gehen wir erst mal davon aus, dass wir uns vermutlich nicht einig sein werden. Aber beide Seiten sind darum bemüht, am Ende doch zusammenzufinden. Das verändert die Art und Weise, wie Gespräche geführt werden.“ Das ist eben der Vorteil von niedrigen Erwartungen. Man ist nicht als Liebespaar gestartet, sondern als Zweckgemeinschaft.

 

Beide Seiten bescheinigen sich gegenseitig Fairness, gehen auch mal ein Bier zusammen trinken, weil dann „das Politische flüssiger wird“, wie ein Koalitionär sagt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann war sogar beim 60. Geburtstag von CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart in der Bad Mergentheimer Wandelhalle, wo er dem „lieben Wolfgang“ versicherte, er habe noch nie so viele Schwarze auf einem Haufen gesehen. Dass es erstaunlich gut laufe, sagen übrigens nicht nur die Hierarchen, die gern Zweckoptimismus zur Schau tragen. Auch einfache Abgeordnete wie Karl Zimmermann, dem die Grünen im Grunde nicht geheuer sind, loben die Harmonie: „Ich komme mit dem Andy gut zurecht“, sagt er über den Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz.

Grün-Schwarz das neue Traumpaar

Bisweilen glaubt man sich im falschen Film. Wenn etwa Grünen-Fraktionsvize Uli Sckerl im Landtag rechtfertigt, warum Polizei und Verfassungsschutz zur Terrorabwehr auch Einsicht in Kommunikationsdaten nehmen sollen, klingt das original christdemokratisch. Zur Verteidigung der Freiheit gehörten auch schlagkräftige Sicherheitsbehörden, sagte Sckerl kürzlich und gab zu Protokoll: „Ich will hier in aller Deutlichkeit für meine Fraktion sagen, dass wir uns da jetzt von Missverständnissen und mancher Diskussion der Vergangenheit verabschieden.“ Er hätte viel mehr Ideologie erwartet, wundert sich ein führender CDU-Mann – während die Grünen anerkennend feststellen, die CDU arrangiere sich viel besser mit ihrer Juniorrolle als die SPD.

Ist Grün-Schwarz also das neue Traumpaar? Die Mühen der Ebene kommen erst noch. Und das Reservoir an Misstrauen ist noch gut gefüllt. Das zeigen die Nebenabsprachen zum Koalitionsvertrag, die kürzlich an die Öffentlichkeit gelangten. Das Bündnis versucht sich darin gegen jede Eventualität abzusichern, und sei es für den Fall, dass der Flughafenchef mal wieder eine zweite Startbahn fordert. Die Koalitionäre fixieren alle schwarz auf weiß: Selbst die Fraktionen haben mittlerweile vereinbart, was sie im parlamentarischen Alltag voneinander erwarten.

Um Konflikte frühzeitig zu entschärfen, tagt mindestens alle 14 Tage (gern auch öfter) der Koalitionsausschuss – ein Spitzengremium von jeweils sieben Vertretern. Wie schnell unvorhergesehene Frage auftauchen können, hat sich Anfang Juli im Bundesrat gezeigt. Als es dort um die Ausdehnung der Maut auf Kleinlaster und Fernbusse ging, hat ein Vertreter von Grünen-Verkehrsminister Winfried Hermann zwar im Verkehrsausschuss zugestimmt. Doch im Plenum enthielt sich das Land, denn Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) legte ihr Veto ein, weil sie Nachteile durch die Maut für das Handwerk befürchtet.

Das Abstimmungsverhalten in der Länderkammer birgt denn auch das größte Konfliktpotenzial. In der Auseinandersetzung um die Verschärfung des Asylrechts waren die ersten Spitzen schon zu vernehmen. Die CDU pochte auf ein Ja – obwohl es auf Baden-Württemberg wegen des Widerstands der übrigen Länder mit Grünen-Regierungsbeteiligung gar nicht mehr ankam. Das Thema wurde zwar letztlich abgesetzt, doch Kretschmann demonstrierte seine Koalitionstreue und bekannte öffentlich, dass er mit Ja gestimmt hätte. Umso erstaunter war man bei den Grünen, als CDU-Landeschef Thomas Strobl nachkartete und dem Regierungschef vorhielt, dieser habe seinen „segensreichen Einfluss“ auf die störrischen Parteifreunde nicht genügend geltend gemacht. „Ich bin nicht der Chef der Grünen“, antwortete Kretschmann. Grünen-Landeschef Hildenbrand hat sich im Koalitionsausschuss übrigens gegen die Asylrechtsverschärfung gestellt.

Auf Profilierung kann gerade verzichtet werden

„Alle wissen, dass man sich zusammenreißen muss“, mahnt Grünen-Fraktionschef Schwarz – wohl ahnend, dass die brisanten Themen noch kommen. Beim geplanten Konzept für mehr öffentliche Sicherheit wird sich zum Beispiel die Frage stellen: Dürfen freiwillige Polizisten wirklich keine Waffe mehr tragen? Auch die Reform des Landtagswahlrechts, die laut Nebenabrede keine Zweitstimme vorsieht, birgt Zündstoff. Die Episode mit dem Gender-Sternchen ist dagegen geradezu eine Lappalie. „Lassen Sie das doch …“, twitterte der nordwürttembergische Bezirkschef Steffen Bilger, als er das Sternchen, mit dem die Grünen die Gender-Vielfalt markieren wollen, in offiziellen Mitteilungen der Landesregierung entdeckte. So weit geht die Gemeinsamkeit dann doch nicht.

Eine spannende Frage ist, wie beide Parteien sich aufstellen. Zwar zeigten sich die Grünen-Vertreter während der Koalitionsverhandlungen geradezu ins Gelingen verliebt. Doch an der Basis wird sehr wohl Buch geführt, wer auf welches Konto einzahlt. „Wir müssen aufpassen, dass das nicht immer nur ein eine Richtung geht“, heißt es mit Blick auf den Bundesrat. Aber auch die Gegenseite ist wachsam: „Die Partei würde unruhig, wenn sie feststellte, dass die unseren sich in der Koalition unterbuttern lassen“, sagt ein Unionsmann.

Solange keine Wahlen anstehen, werden beide aber wohl auf Profilierungs-Akrobatik verzichten. Denn das käme beim Bürger nicht gut an. „Das Ziel ist, das Grünen-Profil zu schärfen durch gute Sacharbeit in der Regierung“, sagt Schwarz. Das hat übrigens auch die SPD für sich proklamiert. Das Resultat ist bekannt.