Der Sehbehinderte Yasin Sarikaya stößt oft auf Widerstand, wenn er mit seinem Labrador einkaufen geht. Vor den Geschäften wird er abgewiesen, weil sein Hund aus hygienischen Gründen nicht gerne gesehen wird.

Stuttgart - Yasin Sarikaya betritt mit seinem schwarzen Blindenhund eine kleine Bäckerei im Stuttgarter Westen. Der 24 Jahre alte Sehbehinderte wird bedient, aber mit Murren. Eigentlich seien Hunde in einer Bäckerei nicht erlaubt. „Wenn die Lebensmittelkontrolle das mitbekommt, kann ich meinen Laden schließen“, lässt der Bäckermeister den Kunden wissen. Dabei sind die Brötchen und Brote sicher hinter einer dicken Glasscheibe verwahrt.

 

Kaum hat Sarikaya den Penny-Markt in der Schwabstraße wenige Meter weiter betreten, ruft ein Verkäufer von seiner Kasse aus, Hunde seien nicht erlaubt. Der Stuttgarter klärt den Mann auf, dass es sich um einen Blindenhund handelt, und geht weiter. Der Verkäufer ist irritiert, beschließt dann aber an der Kasse sitzen zu bleiben, nachdem ein Kunde in der Schlange ihn darauf hingewiesen hat, dass der blinde Mann ohne seinen Hund ja wohl aufgeschmissen sei. Die Verunsicherung des Verkäufers aber ist offensichtlich.

Sicherheitsdienst sagt „Nein!“

Ein anderer Tag, ein anderer Ort. Sarikaya will mit seinen Eltern und seinem Hund seinen Wocheneinkauf im Marktkauf in Ostfildern-Scharnhausen machen. Der junge Mann aber kommt mit dem Labrador erst gar nicht in die Filiale rein, dafür sorgt der Sicherheitsdienst. „Man wird behandelt, als hätte man etwas geklaut“, beschreibt der Deutsche mit türkischen Wurzeln das Gefühl. Als Sarikaya in der Woche darauf beim Filialleiter anruft, sagt dieser ihm, dass Blindenhunde erlaubt seien. Als er aber am darauf folgenden Samstag mit seinen Eltern und dem Labrador wieder den Laden betreten will, wird er erneut aufgehalten. Es kommt zu einer längeren Diskussion. „Mir wurde vorgeschlagen, meinen Einkaufszettel einer Verkäuferin zu geben, die mir alles zusammentragen würde. Aber es ist mir wichtig, meinen Einkauf selbstständig zu machen“, sagt Sarikaya. Nach einem Anruf bei der Regionaldirektion darf der junge Mann mit Hund in den Lebensmittelmarkt, allerdings nicht in die Abteilung mit Obst und Gemüse. „Es ist diskriminierend“, findet der Behinderte.

Oktay Arda, Filialleiter von Marktkauf in Scharnhausen, versichert unterdessen, dass er niemanden diskriminieren wolle. Aber er dürfe eben keine Hunde einlassen und verweist auf die vielen offenen Lebensmittel, die aus hygienischen Gründen mit Tieren auf keinen Fall in Berührung kommen dürften. Noch einmal bietet er Sarikaya die Begleitung durch eine Verkäuferin an. „Das ist doch sowieso besser. Wie soll sich ein sehbehinderter Mensch selbst mit seinem Hund in einem so großen Markt zurechtfinden?“ Sarikaya lehnt das Angebot ab: „Ich bin froh, dass ich durch meinen Hund eine größere Selbstständigkeit erreicht habe, die will ich nicht aufgeben.“

Ständig langwierige Diskussionen am Eingang

Seit dem Sommer 2015 hat Sarikaya seine Labradorhündin Race. Seither kämpft der 24-Jährige um Einlass in Supermärkte, Bäckereien und Metzgereien. „Ohne langwierige Diskussionen geht es nie“, sagt Sarikaya, der sich mit Infobroschüren ausgestattet hat, die ihm im Zweifel doch nichts nutzen. Wie aber ist die Rechtslage? Auf der Internetseite des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ist zu lesen: „Lebensmittelunternehmer müssen grundsätzlich vermeiden, dass Haustiere Zugang zu Räumen haben, in denen Lebensmittel zubereitet, behandelt oder gelagert werden. Im Mitführen von Blindenführhunden aber ist ein Sonderfall zu sehen.“ Es müsse darauf geachtet werden, dass die Tiere nicht mit Lebensmitteln in Berührung kommen, so das Bundesministerium. Für Yasin Sarikaya ist das eine Selbstverständlichkeit: „Race ist ausgebildet. Wenn sie im Geschirr ist und mich führt, dann schnuppert sie nicht an Lebensmitteln herum.“

Bei Blindenführhunden gibt es kein Betretungsverbot

Noch deutlicher wird Thomas Stegmanns von der Lebensmittelüberwachung der Stadt Stuttgart. „Bei Blindenführhunden gilt das Verbot nicht, der jeweilige Supermarktleiter muss dafür sorgen, dass die Sehbehinderten eingelassen werden.“ Natürlich sei es nicht im Interesse der Lebensmittelüberwachung, dass jeder Hund mit in die Metzgerei gehe und dort womöglich sein Geschäft erledige, aber bei Führhunden sei der Fall anders gelagert. „Das sind speziell ausgebildete Hunde, da passiert nichts.“ Selbstverständlich wollten Verkäufer und Filialleiter Ärger mit anderen Kunden vermeiden. „Da dienen wir Lebensmittelkontrolleure dann gerne als Ausrede.“ Deshalb gibt Stegmanns noch einmal zu Protokoll: „Mit uns bekommt niemand ein Problem, wenn er einen Blindenführhund in seinen Laden lässt.“

Bei der bundesweiten Pressestelle von Edeka sind diese Regelungen auch angekommen, werden aber gleich wieder relativiert. In der Regel sei das Mitführen eines Blindenhundes möglich, aber bei der genossenschaftlichen Organisation von Edeka könne keine pauschal gültige Auskunft gegeben werden. Bei der Rewe Group, zu der auch Penny gehört, ist die Aussage eindeutiger. Grundsätzlich dürften Menschen, die auf ihre Hunde angewiesen seien, in die Märkte kommen. „Es kann aber gut sein, dass bei dem ein oder anderen Marktleiter eine Unsicherheit entsteht, wenn ein Blinder mit Führhund im Eingang steht“, sagt Thomas Bonrath, Sprecher von Rewe. Für die Landesbäckerinnung Baden-Württemberg macht deren Geschäftsführer Andreas Kofler klar: „Wir warnen vor überschnellen Reaktionen. Es muss gehen, dass der Führhund mit in den Laden kommt.“

Sarikaya sucht bisher vergebens einen Arbeitsplatz

Sarikaya helfen derlei Bekenntnisse im Alltag wenig. Trotz aller Hürden beim Einkauf ist er dankbar, seine Labradorhündin zu haben. „Seit ich Race habe, bin ich gegen keinen Masten mehr gelaufen. Vor allem aber hat sie mir aus der Depression geholfen.“ Sarikaya kämpft auch noch an anderer Stelle. Vor drei Jahren hat der Sehbehinderte seine Ausbildung zum Bürokaufmann bei der Nikolauspflege abgeschlossen – und seither 300 erfolglose Bewerbungen geschrieben. „Die Unternehmen stellen lieber einen Rollstuhlfahrer als einen Blinden ein“, stellt er resigniert fest. Dabei bezahle die Arbeitsagentur die Umrüstung des Arbeitsplatzes. Der junge Mann fragt nach jeder Absage nach, woran es denn gelegen habe. „Ehrliche Antworten gibt keiner, alle weichen mir aus.“