Diese Woche starten die ersten Ludwigsburger Wochen gegen Rassismus. Drei Betroffene berichten von Blicken, Ausgrenzung und unbedachten Bemerkungen im Sportunterricht, die Jugendlichen die Identität entreißen.
Mehrere Organisationen in Ludwigsburg haben sich zusammengetan, um in den kommenden zwei Wochen auf Rassismus aufmerksam zu machen. Mit Vorträgen, Diskussionen und Kundgebungen wollen sie mehr Bewusstsein schaffen – auch für die kleinen Diskriminierungen im Alltag. Wie wichtig die Aktionsreihe ist, zeigen Erfahrungsberichte von drei betroffenen Ludwigsburgern des Integrationsrates.
Viet Nguyen, 58 Jahre, Techniker an der Filmakademie
Anfang der 1980er Jahre kam ich als unbegleiteter Jugendlicher aus Vietnam nach Deutschland – und hatte viel Glück. Wir „boat people“ wurden herzlich aufgenommen. Ich studierte, kam an die Filmakademie, die von einem weltoffenen Geist geprägt ist. Oft waren es glückliche Umstände: Eine andere Herkunft, Religion oder Zeit – und meine Geschichte hätte ganz anders verlaufen können. Ob man gut integriert und nicht diskriminiert wird, sollte aber im Sinne aller Beteiligten keine Frage des Glücks sein.
Trotz meiner privilegierten Situation erleben meine Familie und ich immer wieder Alltagsrassismus. Auf dem Golfplatz etwa schlug mein Sohn ein paar Bälle zu nah an eine Männergruppe. Ich entschuldigte mich, doch einer sagte: „Macht man das in eurem Land so, oder was?“ Solche Sätze verletzen und machen wütend.
Ich kann dennoch darüber hinwegsehen, ich sorge mich aber um meine Kinder. Die haben das Deutschsein so verinnerlicht, dass sie Ausgrenzungen dieser Art umso mehr verletzten.
Mein Sohn kam eines Tages nach Hause, in der Schule ging es um den Holocaust. „Wir haben damals schon schreckliche Dinge gemacht“, sagte er. „Wir?“, fragte ich erstaunt und realisierte, wie sehr diese Generation das Deutschsein verinnerlicht hat, mit allem Drum und Dran. Nur wenige Tage später hatte er Sportunterricht bei einem Aushilfslehrer. Der teilte Teams ein und sagte laut: „Der asiatische Junge noch hier rüber.“ Ein unbedachter Satz, der so viel Verstörtheit und Spaltung auslösen kann.
Unsere Kinder fühlen sich so selbstverständlich deutsch, doch die im Alltag oft auftretende Fremdenfeindlichkeit reißt sie manchmal aus dieser selbstverständlichen Zugehörigkeit. Rassismus ist blind, empathielos, überheblich und zerstörerisch – vor allem der im Alltag.
Shawn Jefferson, 35 Jahre, Lehramtsstudent
Der Rassismus hat sich über die Jahrzehnte verändert. In meiner Jugend war er ganz direkt, es ging immer um meine Hautfarbe, in den Augen vieler war ich ein Mensch zweiter Klasse. Das hat sich zwar gebessert, mit 21 Jahren habe ich aber den Islam angenommen und eine andere Form des Rassismus kennengelernt. Ich erinnere mich an einen Satz einer Mitschülerin, der immer noch bezeichnend ist: „Meine Eltern hätten kein Problem, wenn ich einen schwarzen Freund hätte. Einen Muslim fänden sie aber schlimm.“
Wenn wir als Familie auf dem Markt gehen, spüren wir die Blicke. Sie sehen das Kopftuch meiner Frau, unsere vier Kinder und schütteln den Kopf. Beim Spazieren grüße ich freundlich, bekomme aber keine Antwort. Wenige Meter weiter werden Weiße ganz selbstverständlich gegrüßt. Viele halten uns für Flüchtlinge – und sind erstaunt, wenn wir akzentfrei Deutsch sprechen. Mich trifft das alles nicht mehr so wie früher.
Mich beschäftigt aktuell etwas anderes. Freunde und Bekannte, nicht rassistische Menschen, reden in meiner Gegenwart immer häufiger abfällig über Migranten. Viele bedienen sich dabei Stereotypen, ohne sich selbst ein Bild gemacht zu haben – ohne die Menschen, über die sie reden, zu kennen. Sie reden von fehlender Integration und Kriminalität, ohne den Kontext zu beachten.
„Du bist ja anders“, heißt es dann immer. Nein, ich stecke da mit drin. Wer mich nicht kennt, steckt mich in dieselben Schubladen: kriminell, integrationsunwillig, viele Kinder. Vorurteile gegen Muslime nehmen zu, quer durch alle Schichten. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten kommen Schuldzuweisungen hinzu. Das macht mir Angst. Denn wir kennen das aus der Geschichte. Auch damals hörten bestimmt viele Juden den gleichen Satz, wie ich heute: „Du bist ja anders.“
Rosey Kosgey, 40 Jahre, Marketing Managerin
Ich lebe seit 2013 in Deutschland – und hatte Glück. Offener Rassismus begegnet mir selten, doch es gibt ihn: neugierige Blicke, stereotype Fragen wie „Gibt es in Ihrem Land keine Universitäten?“ oder „Arbeiten Sie in der Pflege?“ Vorurteile, leise, aber hartnäckig. Dank meines Mannes und seines Freundeskreises fand ich schnell ein unterstützendes Umfeld, voller Offenheit und Herzlichkeit. Auch im Beruf erlebe ich Wertschätzung, unabhängig von meiner kenianischen Herkunft.
Und doch beschäftigt mich etwas, das sich schwer benennen lässt – eine Art gesellschaftliche Schieflage. Als Migrantin habe ich oft das Gefühl, mich doppelt beweisen zu müssen. Als müsste ich mehr leisten, um dazuzugehören. Als starte ich mit Rückstand ins Rennen – und müsse ständig aufholen, erklären, rechtfertigen. Dieses Gefühl teilen viele Menschen mit Migrationsgeschichte. Niemand sagt direkt: „Beweis dich erst mal“, aber unausgesprochene Erwartungen sind spürbar.
Das Leben in Deutschland fühlt sich für mich oft widersprüchlich an: eine Spannung zwischen Herzlichkeit und Skepsis, zwischen Zugehörigkeit und Fremdsein. Ich bin eine Schwarze Deutsche mit kenianischen Wurzeln. Ich liebe mein Geburtsland – und vermisse Deutschland, wenn ich in Kenia bin. Für viele in meinem Umfeld ist das selbstverständlich. Andere tun sich schwer damit – und lassen mich das spüren.
Oft wirkt es, als müsse Identität in eine vorgegebene Form passen. Doch Identität ist kein starres Konzept – sie ist ein Gewebe aus vielen Fäden, die zusammen ein Ganzes ergeben. Wahre Zugehörigkeit bedeutet, so angenommen zu werden, wie man ist – mit all seinen Facetten. Und vielleicht ist es an der Zeit, dass wir unsere Vorstellungen von „Deutschsein“ genauso weiterdenken.
Die Ludwigsburger Wochen gegen Rassismus
Bündnis
19 Vereine und Institutionen – darunter Integrationsrat, Stadtverwaltung, AK Asyl, Caritas und DemoZ – gestalten gemeinsam die „Ludwigsburger Wochen gegen Rassismus“. Am Montag ging es los, am 28. März findet das letzte Event statt. Übrigens: Auch in Vaihingen/Enz finden Anti-Rassismus-Wochen mit zahlreichen Events statt.
Veranstaltungen
Die 13 Veranstaltungen in Ludwigsburg werden von jeweils von einem oder mehreren Bündnispartnern organisiert. Unter anderem gibt es Lesungen, einen Poetry Slam, ein kolonialer Stadtrundgang, Kochabende und Podiumsdiskussionen. Alle Veranstaltungen sind kostenlos und über das Stadtgebiet verteilt. Höhepunkt ist der Aktionstag am 21. März – dem Internationalen Tag gegen Rassismus – mit einer Kundgebung auf dem Marktplatz. Einen Überblick gibt es unter www.lb-gegen-Rassismus.de.