Alltagsstress und alte Bilder „Frauen wollen nicht mehr 20 Jahre warten, bis sie was vom Sex haben“

Sexologin Julia Sparmann hat ein Übungsbuch für Frauen geschrieben. Foto: Michaela Grönnebaum/KI/Midjourney/Montage: Pichlmaier

Sexologin Julia Sparmann ruft Frauen zur sexuellen Revolution auf. Sie erklärt, wie man den Alltagsstress im Bett loslässt und wie Sex für jede Frau bombastisch werden kann.

Familie, Zusammenleben und Bildung: Julika Wolf (jwo)

Alltagsstress, Leistungsdruck und innere Blockaden – solche Probleme stehen Frauen oft im Weg, wenn es um Sex geht. Das sagt zumindest Sexologin Julia Sparmann. Um Frauen da rauszuhelfen, hat sie ein Übungsbuch geschrieben: „Befreite Lust“.

 

Frau Sparmann, warum steht ausgerechnet Frauen so viel im Weg, wenn es um Sex geht – und nicht Männern?

Jede Person, gleich welchen Geschlechts, kann an sexuelle Grenzen stoßen. Mein Buch richtet sich an Frauen, die sich auf den Weg machen wollen, um mehr sexuelle Lebendigkeit und Authentizität in ihrem Liebesleben zu haben – ich schaue daher besonders auf Herausforderungen, die Frauen häufig dabei erleben. Männer stehen aber ebenso vor vielen sexuellen Fragen und der Stress, den sie dabei erleben, ist nicht geringer. Mein geschätzter Kollege Michael Sztenc hat für Männer ein wunderbares Übungsbuch geschrieben („Klappt‘s“).

Welche Rolle spielen gesellschaftliche Erwartungen?

Eine große Rolle. Sex ist einerseits nach wie vor ein Tabuthema, über das man nicht genug spricht, und gleichzeitig haben wir durch die mediale Präsenz superlative Vorstellungen von Sex, die bei vielen Frauen einen Erwartungsdruck auslösen. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass Frauen das Gefühl haben, bestimmte Spielarten oder gar den eigenen Orgasmus liefern zu müssen oder dass sie Sorge haben, nicht „sexy“ genug zu sein. Bei all der inneren Beschäftigung treten die eigenen Lustimpulse in den Hintergrund und das führt zu sexuellem Stress und Unzufriedenheit.

Sexologin Julia Sparmann. Foto: Michaela Grönnebaum

Wie kann Ihr Buch dabei helfen?

Das Buch ist eine Einladung, in einen inneren Dialog zu gehen und zu gucken: Was ist mir persönlich wichtig, wenn ich an Sex denke? Was davon sind gesellschaftliche Meinungen, die mich unter Druck setzen? Das Buch regt an, den Fokus wirklich auf sich selbst zu legen und sich zu sensibilisieren für den Körper. Das ist extrem hilfreich, um die eigenen Impulse wahrzunehmen, sie zu kommunizieren und den Sex so zu gestalten, wie er zu einem passt.

Das Buch ist also keine Anleitung zu bombastischem Sex?

Nein, zumindest nicht nach äußerem Maßstab. Es geht darum, das Eigene und Authentische beim Sex zu finden. Und das kann dann natürlich bombastisch sein. In der Beratung erlebe ich oft, dass die Aufmerksamkeit auf der anderen Person liegt. Man will für jemanden eine gute Liebhaberin oder orgasmusfähig sein. Das Buch hilft dabei, mehr zu sich selbst zu kommen.

Warum ein Übungsbuch?

Ich erlebe häufig in der Praxis, dass Frauen sich bereits belesen haben, wenn sie ein sexuelles Problem haben. Trotzdem löst sich das Problem dann nicht auf. Der Kopf weiß Bescheid, aber der Körper kommt nicht hinterher. Der hat seine eigenen Lernschritte und es braucht Aufmerksamkeit, Zeit und Freude, sich damit auseinanderzusetzen. In dem Buch bringe ich viele wertvolle Körperübungen aus meiner langjährigen Erfahrung in der Arbeit mit Frauen ein.

Sie rufen Frauen zum Beispiel dazu auf, ihr Genital näher kennenzulernen. Eine Übung heißt „Reise in dein Vulva-Land“. Dort sollen Frauen ihr Genital berühren, ertasten, spüren. Warum ist das wichtig?

Es ist eine der Übungen, die sehr hilfreich sein können, um das eigene Genital gut zu kennen und darin zu „wohnen“. Alles, was man häufig und bewusst berührt, wird in der Wahrnehmung verstärkt. Und eine intensive Wahrnehmung kann der Kompass sein für mehr Lust und Genuss.

Auf wen zielt das Buch ab?

Alle Frauen, die sich sexuell besser verstehen wollen und den eigenen Sex authentisch und stimmig gestalten wollen. Sex ist dynamisch und entwickelt sich ein Leben lang. Ob man nun 20 oder 70 ist.

Schon für 20-Jährige?

Ja! Ich freue mich total darüber, dass viele junge Frauen auch schon in den Zwanzigern zur Beratung gehen. Das ist relativ neu. Es gibt heute ein anderes Bewusstsein, einen anderen Wunsch, den Sex so zu leben, dass man etwas davon hat – und nicht erst 20 Jahre zu warten. Ich denke, das ist ein Resultat von medialer Aufklärung und von sexueller Bildung an Schulen.

Braucht es beim Sex mehr Achtsamkeit?

Wenn ich vom Sex mehr will, steht das Spüren an erster Stelle. Spüren gewinnt viel durch Achtsamkeit. Dann kann ich auch klarer bemerken, was für eine Art Sex und vielleicht auch ob und in welcher Häufigkeit ich Sex haben will. Und es braucht innerlich die Erlaubnis, Dinge zu hinterfragen und auch mal was Ungewöhnliches auszuprobieren.

Viele Frauen sind vom Alltag so gestresst, dass sie sich nicht richtig auf Sex einlassen können. Was können sie tun?

Zuallererst: Sie müssen sich nicht einlassen. Zweitens: Wenn sie sich für Sex entscheiden und sich innerlich noch zwischen Arbeit, Stau oder komplizierten Gesprächen befinden, ist es hilfreich, noch mal inne zu halten. Was ist das, was ich brauche, um ganz da zu sein und Sex zu genießen? Manchen hilft es, sich zu duschen, wie eine Brücke, um beim eigenen Körper anzukommen. Andere schwören darauf, sich zu schütteln oder zu tanzen, um den Alltag abzuschütteln und in inneren Kontakt mit sich zu kommen. Für die nächste kann es sein, erst mal mit dem Lieblingsmensch den Tag zu besprechen. Das kann nur jede Frau für sich herausfinden.

Und währenddessen?

Währenddessen ist die Frage, worauf man die Aufmerksamkeit richtet. Zu bemerken: Jetzt rattert doch der Kopf weiter und ich denke an das neue Arbeitsprojekt, das Gespräch mit der Freundin, an die Kinder, die in ihren Betten liegen. Oder an meine sexuellen Unsicherheiten, zum Beispiel meine negativen Erwartungen, gleich sowieso wieder keine Lust zu haben oder Schmerzen zu empfinden.

Was hilft dann?

Dann gilt es, den Fokus auf den Körper zu richten: Wo fühle ich die Berührung? Wie spüre ich die Haut des anderen? Welche Bewegungen tun mir gut? Das kann man immer wieder tun. Die Gedankenströme können dann leiser werden.

Sie wollen mit veralteten Vorstellungen über die weibliche Sexualität aufräumen. Welche sind das?

Zum Beispiel: Der Mann wird schon wissen, wo es langgeht. Ein gesunder Orgasmus ist ein vaginaler Orgasmus. Nur penetrativer Sex ist echter Sex. Das ist längst überholt, aber es ist immer noch in vielen Köpfen. Ich rufe zur persönlichen sexuellen Revolution auf. Zum Selbstbewusstsein, sich zu fragen: Was passt zu mir? Wie will ich Sex leben und worauf habe ich überhaupt keinen Bock mehr? Weibliche Sexualität ist so vielfältig, wie wir es zulassen und sie gestalten.

„Befreite Lust“ von Julia Sparmann

Die Autorin
Julia Sparmann ist Sexologin und Sexualwissenschaftlerin. In der Sexualberatung, in Mentoring-Programmen und Workshops begleitet sie Frauen auf ihrem Weg zu einer erfüllten Sexualität. Sie ist Dozentin an der Hochschule Merseburg im Studiengang Sexologie und Autorin.

Das Buch
„Befreite Lust – ein Übungsbuch für Frauen“ ist am 14. September im Hirzel Verlag erschienen. Mit Übungen und Audio-Tutorials lädt es zum Ausprobieren und Mitmachen ein. Es kostet 24 Euro.

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