Mancher Stuttgarter (Fest-)Wirt verkauft übers Jahr nicht so viel Champagner wie an den 17 Tagen Volksfest. In nordrhein-westfälischen Herne sieht es ganz anders aus.

Stuttgart - „Und dann die Hände zum Himmel, komm lasst uns fröhlich sein. Wir klatschen zusammen und keiner ist allein“: Beim Soundcheck am Vormittag in der Almhütte klingt das schon ganz gut. „Macht mal ein bisschen leiser, wir wollen uns unterhalten,“ sagt die Chefin. Im 16. Jahr betreibt sie das Almhüttendorf auf dem Cannstatter Wasen, jetzt beim Volksfest und auch beim Frühlingsfest.

 

„Da startet meine Saison“, sagt Nina Renoldi, die mit ihren Verkaufsständen und dem liebevoll ausgestatteten Zelt im Tiroler Stil durch ganz Deutschland tourt. Ihre Stationen: Domweih in Verden an der Aller, Rheinkirmes Düsseldorf, Libori in Paderborn, Cranger in Herne, Freimarkt in Bremen. So hat sie, anders als die „großen“ Stuttgarter Festwirte, auch eine „Draußen-Sicht“. Auf dem Wasen serviert sie Maultaschen, in Bremen Fischbrötchen, in Düsseldorf Blutwurst und Röggelchen. Und nicht nur die Speisekarten unterscheiden sich.

Während die Düsseldorfer im schicken Sommerkleid über die Kirmes flanieren, kommen in der Pferdestadt Verden handfeste Landwirte zum Rummel. Und Herne ist geprägt von der Arbeitslosigkeit, die das Ende des Tagebaus mit sich gebracht hat. „Die Menschen haben nichts“, sagt Nina Renoldi. Da wird die Kirmes zum Urlaubsersatz, auf den viele regelrecht hin sparen. Manche nähmen sogar Kredite auf, um ein paar Tage feiern zu können, erzählt sie.

Jogginganzug statt Dirndl

Auch nach außen ist das Gefälle zwischen reichem Süden und armem Ruhrpott sichtbar: Dort prägen nicht Dirndl und Janker sondern Jogginganzüge das Bild im Zelt. „Vielleicht sind das die dankbareren Gäste“, sagt Nina Renoldi leise. Sie erinnert daran, dass Kirmes von Kirchmesse kommt und sieht das als Verpflichtung: „Man hat die Aufgabe, auch Menschen teilhaben zu lassen, die weniger Geld haben. Jeder kann dabei sein, das ist ein wichtiger kultureller Aspekt. Wir verkaufen Vergnügen. Jeder hat sein kleines Päckchen, und auf dem Volksfest kommt er mal für zwei Stunden aus dem Alltag heraus.“

Alltag ist für sie selbst der Wohnwagen, in dem sie rund acht Monate im Jahr lebt. Woher sie kommt? „Das fragt mich hier jeder“, sagt Nina Renoldi. Die Antwort darauf fällt ihr schwer. Die Eltern stammen aus Münster/Westfalen und Oberhausen, eine Zeit lang war sie in München in der Schule, dann gemeinsam mit ihrem Bruder in Bremen im Internat – das Norddeutsche hat sie beibehalten. „In Bremen hat meine Oma gewohnt, da konnte sie nach uns schauen.“ So sieht die typische Kindheit vieler aus, die wie sie aus einer Schaustellerfamilie stammen. Nina Renoldi ist die sechste Generation.

Immerhin hat die 42-Jährige jetzt – „zum ersten Mal in meinem Leben“ - im Winter ein festes Domizil. Dann lebt sie bei ihrem Freund, dem Immobilienmakler Achim Niess in Überlingen am Bodensee. „Da bin ich eine ganz normale Hausfrau. Die wenigsten wissen, was ich sonst so mache.“

Eine Fahrt für drei Eier

Auf dem Wasen und in Bad Cannstatt kennen sie viele. Die Wirtin des Almhüttendorfs war hier schon als Kind, mit den Eltern und der Geisterbahn. Ihr Vater, er ist 73, ist seit dem 14. Lebensjahr Schausteller. „Die Großeltern sind mit der Raupe gefahren“, erzählt Nina Renoldi. Selbst während des Krieges seien sie nur ein Jahr nicht gereist. Es gibt noch Fotos von dem Karussell, zusammengeflickt aus alten Panzerteilen. Nach dem Krieg bezahlten die Fahrgäste mit Naturalien. Eine Fahrt für drei Eier. „Meine Großeltern hatten kaum Geld, aber immer genug zu essen“.

Zurzeit steht ihre Mutter mit dem kleineren Zelt „Wildstubn“ auf der Wiesn, ebenso wie ihr Bruder mit der Achterbahn Höllenblitz. Ihr Vater baut schon in Bremen auf, vier Tage nur bleibt Zeit, vom Wasen mit dem Almhüttendorf dorthin umzuziehen. „Im Herbst wird die Ernte eingeholt“, meint die Tochter.

Zum Schluss erzählt sie noch von der älteren Dame, sie schätzt sie auf um die 80 Jahre. Zurzeit schaut sie jeden Abend in der Almhütte vorbei, trinkt ein kleines Wasser, tanzt. Manchmal spendiert Nina Renoldi ihr ein Bier oder einen Schnaps. Solche Gäste, die immer wieder kommen, auch wenn sie sich nicht viel leisten können, die gebe es in jeder Stadt. Sie nennt sie ihre „Glücksbringer“.