Ein handfester Streit tobt zwischen Bayern, Tirol und Südtirol über den Transitverkehr in den Alpen. Bayern drängt auf freie Fahrt – hat aber ein schlechtes Standing, denn: Deutschland hinkt eigenen Plänen um zwei Jahrzehnte hinterher.

München - Es stinkt in den Alpen. Immer mehr Lastwagen donnern durchs Inntal und über den Brenner, und weil sich Tirol das nicht länger bieten lässt, gibt’s handfesten Krach mit den nördlichen Nachbarn. Denn je bewusster die Tiroler blockieren, desto stärker verlangt das Exportland Bayern freie Fahrt für freie Laster. Diesen Montag haben sich die drei betroffenen Transitregionen – Bayern, Tirol, Südtirol – in München zu einem Gipfel getroffen; Pat Cox, der EU-Brenner-Koordinator, ist zur Vermittlung angereist, denn anders ging’s nicht mehr. Dennoch kam am Ende nicht viel heraus – außer Versprechen, den Güterverkehr stärker auf die Bahn zu verlagern und sich im Mai mit konkreteren Ideen wieder treffen zu wollen.

 

Angefangen hat der jüngste Streit – das Thema selbst köchelt seit über zwanzig Jahren – im Herbst 2017. Da gab Italiens Konjunktur unerwartete Lebenszeichen von sich, und die Zahl der Lastwagen auf dme Brenner nahm stark zu; acht Prozent Plus waren es gegenüber dem Vorjahr, mehr als 2,25 Millionen Lkws insgesamt. Für die Tiroler heißt das: Es verkehren pro Tag etwa 1240 Lastwagen mehr als noch vor zehn Jahren. Nachtfahrverbote und Sperren für einzelne Güter hat Tirol längst ausgesprochen; weitere Blockaden sind EU-rechtlich nicht zulässig, und so „dosiert“ man: An besonders verkehrsstarken Tagen lässt Tirol seit Herbst nur mehr 250 bis 300 Lastwagen pro Stunde auf die Inntalautobahn. „Blockabfertigung“ heißt das; die EU-Kommission hat’s erlaubt, nur Bayern ist sauer: Jene Lastwagen nämlich, die nicht ungebremst über Kiefersfelden/Kufstein nach Österreich einfahren dürfen, die stauen sich eben in den deutschen Grenzregionen – und das bis auf 40 Kilometer Länge. „Unzumutbar“, nennt das Bayerns Verkehrsminister Joachim Herrmann. „Unabdingbar“, sagt Tirols Landeshauptmann Günther Platter – und kündigt eine Fortführung dieser „Dosierung“ an.

Halb so teuer wie die Schweiz

Die Tiroler Landesregierung sagt, die Italienroute über den Brenner sei zu billig: Mit 41 Cent pro Kilometer liege die Maut nicht einmal halb so hoch wie jene auf dem „Gotthard-Korridor“ durch die Schweiz; für Spediteure aus Baden-Württemberg zum Beispiel lohnten sich auch einige Hundert Kilometer Umweg; 800 000 Fahrten durch Tirol gingen allein auf dieses Konto.

Besonders maut-attraktiv sind die deutschen Zufahrtsstrecken zum Brenner und südlich davon die italienischen Trassen. Mit Südtirol hat sich das Bundesland Tirol bereits auf eine Angleichung auf österreichisches Preisniveau verständigt, auf 47 Cent pro Kilometer. Damit würde die Lkw-Maut auf mindestens den dreifachen Satz steigen. Aus EU-rechtlichen Gründen müsste Deutschland mitmachen bei dieser „Alpen-Korridormaut“ zwischen München und Verona; Bayern lehnt das rundweg ab: zu teuer für die Spediteure sei das, „eine einseitige Belastung unserer Grenzregion“, wie die Landesregierung tönt.

Bayerns Position ist aber eher schwach. Zum einen saßen der deutschen Gesandtschaft beim Brennergipfel eine österreichische und eine italienische Regionalregierung gegenüber, die demnächst Wahlen zu bestreiten haben. Zum anderen hinken gerade Deutschland und Bayern den eigenen Versprechungen um zwei Jahrzehnte hinterher. Die große Entlastung für den Alpentransit ist nämlich erst mit dem 64 Kilometer langen Brenner-Basistunnel zu erwarten. Der soll 2026/27 fertig sein, und nicht nur die Österreicher, auch die Italiener, die bereits ein Drittel der nötigen Röhren durchgebrochen haben, liegen zeitlich im Plan. Nur die Deutschen, die – wie sie einmal unumwunden sagten – niemals mit solcher italienischer Präzision gerechnet hatten, die fangen erst von vorne an.

Deutschland fängt bei Null an

Es geht um den Ausbau der Eisenbahn-Zulaufstrecken in der Rosenheimer Gegend, ohne die der Brenner-Basistunnel nicht so leistungsfähig sein kann wie gewollt. Es müssen Trassen festgelegt und – teils gegen erbitterten Widerstand von Anliegergemeinden – durchgesetzt werden. Das Verfahren war bisher so konfus, dass Alexander Dobrindt (CSU) als Bundesverkehrsminister alles gestoppt und einen neuen Planungsdialog angekündigt hat. Der dürfte mehrere Jahre dauern. Dann folgen Raumordnungsverfahren und Planfeststellungsverfahren. „Aus der Erfahrung heraus muss mit einem Zeitraum von rund 20 Jahren gerechnet werden“, teilt das Bundesverkehrsministerium mit. Dann wird der Brennerbasistunnel seit zehn Jahren offen sein und Deutschland hat keinen einzigen Kilometer Zulaufgleis gebaut.