Der Winterbacher Christoph Müller erzählt am kommenden Montag von seinen Erfahrungen als Christ und evangelischer Prediger in der DDR. Er möchte die Zeit nicht missen, die von einem besonderen Zusammenhalt der Gemeinden geprägt war.

Winterbach - Es ist ein erstaunliches Fazit, das Christoph Müller im Rückblick auf seine Biografie zieht: „Ich möchte die DDR nicht missen“, sagt der 66-Jährige, der mittlerweile in Winterbach lebt und dort am kommenden Montag einen Vortrag über seine Lebensgeschichte hält.

 

Erstaunlich ist das Fazit, weil weder er noch seine Familie zu denen gehörten, die von einem geteilten Deutschland profitiert haben – im Gegenteil. „Ich habe als Kind überhaupt nicht verstanden, warum ich meine Oma in Westberlin nicht mehr besuchen kann“, erzählt Christoph Müller, der sich noch gut erinnert, wie er auf der anderen Seite der Mauer jenes Hochhaus sehen konnte, in dem zwei Brüder seiner Mutter lebten.

Trotz guter Noten keine Chance auf das Abitur

Dass seine Eltern beide engagierte Christen waren und sein Vater als Prediger in landeskirchlichen Gemeinschaften wirkte, hat den Alltag in der DDR nicht gerade erleichtert. Weil er nicht Mitglied der Freien Deutschen Jugend, der DDR-Jugendorganisation, war, hatte er trotz guter Noten keine Chance, das Abitur zu machen. Christoph Müller ließ sich konfirmieren, die Jugendweihe lehnte er ab: „Ich wollte mich nicht auf den Arbeiter- und Bauernstaat verpflichten.“

Bürokratischen Verwirrungen nach einem Umzug der Familie war es zu verdanken, dass Müller im Rahmen seiner Ausbildung zum Elektromechaniker in Potsdam doch noch sein Abitur machen konnte. Doch auch in dieser Zeit geriet er immer wieder ins Visier des Systems: Etwa als er – damals dann schon aktiv in der evangelischen Jugendarbeit – in einer Darstellung niederschrieb, welche Bedeutung Jesus Christus für seinen persönlichen Werdegang habe. Oder als er bei der Musterung angab, Bausoldat werden zu wollen, und damit den Dienst an der Waffe verweigerte.

Doch in die Fußstapfen des Vaters getreten

Warum er niemals eingezogen wurde, das bleibt Christoph Müller ein Rätsel. Als er im Alter von 26 Jahren eine theologische Ausbildung am Paulinum in Berlin anfing, sich auf dem zweiten Bildungsweg zum Pfarrer ausbilden ließ, rechnete er fest mit dem Ruf der Armee – doch dieser blieb aus. Sein Berufswechsel hingegen, der hatte mit einem Ruf zu tun. Eigentlich wollte er nie in die Fußstapfen seines Vaters treten, und tat es dann doch: „Man brauchte mich“, sagt er schlicht.

Mit einer kurzen Unterbrechung lebte Christoph Müller mit seiner Frau 30 Jahre lang in Bad Freienwalde in Brandenburg, am Rande des Oderbruchs. Er predigte und lehrte lang als Dozent am Gnadauer theologischen Seminar Falkenberg. „Griechisch und Dogmatik, nicht gerade die Lieblingsfächer der Studenten“, erzählt er. Müller hat Dörfer erlebt, in denen es neben Pfarrer und Messner gerade noch fünf Gemeindemitglieder gab und erzählt von Dörfern, in denen zwar noch eine Kirche stand, das kirchliche Leben aber total zusammengebrochen war.

Mehrere Generationen kannten keine Kirche von innen

„In den bestehenden Gemeinden gab es aber einen unglaublichen Zusammenhalt. Ich denke, das war eine Mischung aus geistlichem Zusammenhalt und Zusammenhalt unter politischem Druck“, sagt Christoph Müller. Und trotzdem hätten nach der Wende enorme Zentrifugalkräfte gewirkt: „Alles schwirrte gen Westen.“ Er blieb nach dem Mauerfall mit seiner Frau in Bad Freienwalde, die Familie wuchs um zwei adoptierte Kinder. Er blieb, weil ihn die Menschen interessierten, weil er gerne mit den jungen Leuten am Seminar zusammenarbeitete, weil er dort seinen Platz sah, und weil er in der politischen Wende eine Chance sah, Menschen wieder neu mit dem Glauben in Berührung zu bringen. „Mehrere Generationen kannten keine Kirche von innen, hatten noch nie eine Bibel in der Hand gehabt.“

Warum er gegen Ende seiner Berufszeit dennoch im Remstal landete, das hat mit einer Stellungsausschreibung zu tun, die ihm zu richtigen Zeit im Seminar ins Auge stach. Er wurde Gemeinschaftsreferent des Württembergischen Christusbundes. „Allerdings nur, weil ich mir theologisch treu bleiben durfte“, sagt Müller, der manches am kirchlichen Leben im Westen kritisch sieht: „Diese Zersplitterung, die konnten wir uns in der DDR nicht leisten. Das ist ein Luxusproblem“, sagt Müller, der mittlerweile im Ruhestand ist und für die Landessynode kandidiert.

Bevormundung durch den Mainstream

Zwar gebe es anders als in der DDR keine Bevormundung durch den Staat, aber eine Bevormundung durch den Mainstream. „Wir müssen nach innen schauen, zwischen den Polen gesprächsbereit sein. Und wir müssen nach außen, immer bei den Menschen sein, so wie es Jesus war.“