Jeff Immelt, der Chef des US-Großkonzerns General Electric, ist nach Paris geflogen, um mit dem Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg den Alstom-Deal zu besprechen. Doch dieser kippte das Treffen quasi in letzter Minute.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Paris - Jeff Immelt jettete vergebens über den Atlantik. Der Chef des US-Großkonzerns General Electric traf am Sonntagmorgen in Paris ein, um die Übernahme der Energiesparte von Alstom mit Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg zu besiegeln; danach sollte der Verwaltungsrat grünes Licht für den Verkauf geben, von dem die Transportsparte mit den TGV-Zügen ausgenommen sein sollte.

 

Doch dann warf Siemens alles über den Haufen. Der deutsche Rivale signalisierte Alstom offiziell „Gesprächsbereitschaft über strategische Fragen zukünftiger Zusammenarbeit“. Die Pariser Zeitung „Le Figaro“ enthüllte fast zeitgleich ein Schreiben des Siemens-Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser an Alstom-Chef Patrick Kron. Die Münchner, mit 78 Milliarden Euro Umsatz fast viermal so groß wie Alstom, interessieren sich ebenfalls für die Energiesparte, die 70 Prozent des französischen Traditionskonzerns ausmacht. General Electric bietet dafür 9,4 Milliarden Euro.

Das US-Angebot kennt der Minister seit ein paar Tagen

Allerdings wollen die Deutschen laut dem Schreiben nur einen Teil in bar zahlen. Sie wollen vor allem die eigene Transportsparte – unter Ausschluss der U-Bahn-Technik – an Alstom abtreten, wie „Le Figaro“ berichtet. Für Europas Industrie wäre das eine gewaltige Umschichtung: Deutsche würden das Turbinen- und Kraftwerkgeschäft dominieren, Franzosen die Bahntechnik. In Paris schlug die Siemens-Meldung wie eine Bombe ein. Montebourg annullierte kurzerhand sein geplantes Treffen mit Immelt. Er zeigte sich „überrascht“, dass der US-Elektrokonzern, der es auf 106 Milliarden Euro Umsatz bringt, hinter dem Rücken der französischen Regierung agiert habe, um Alstom zu übernehmen. Die plötzliche Entrüstung wirkt jedoch etwas aufgesetzt: Montebourg hatte schon am Donnerstag erklärt, er wolle Alternativen zu General Electric prüfen. Gemäß „Le Figaro“ streckte er selbst die Fühler nach München aus, um ein Gegengebot für Alstom zu erwirken.

Alstom ist zwar ein börsennotiertes Privatunternehmen mit einem privaten Hauptaktionär, dem Bau- und Medienkonzern Bouygues, aber der französische Staat beansprucht gerade bei nationalen Flaggschiffen ein Mitspracherecht; als Käufer der TGV-Züge kann er auch entsprechend Einfluss nehmen. Bouygues steht zudem Montebourg nahe. Und der Wirtschaftsminister plädiert wie Staatspräsident François Hollande für die Bildung eines „Airbus der Energie“ aus europäischen Partnern. Mit General Electric würde Alstom hingegen eher einen „Boeing der Energie“ zimmern helfen, wie Spötter vergangene Woche in Paris meinten.

Die Franzosen wollen die Nuklearsparte schützen

Montebourg bestätigte am Sonntagnachmittag, dass neben General Electric auch Siemens ein Angebot eingereicht hatte. Es bestehe darin, „zwei europäische und weltweite Champions in den Bereichen Energie und Transport zu schaffen – den einen um Siemens, den anderen um Alstom“. Aus diesem Grund wolle die Regierung beide Angebote im Lichte des „nationalen Interesses“ prüfen, und das erfordere eine gewisse Zeit. Ein Hauptaugenmerk liegt laut Montebourg auf der „Unabhängigkeit der französischen Nuklearsparte“, in der der Turbinenhersteller Alstom ebenfalls tätig ist.

Der Übernahmekampf um Alstom beginnt jetzt erst richtig. General Electric hat finanziell die besseren Karten. Die Siemens-Offerte dürfte bei der französischen Regierung aber gut ankommen, da das Geschäft mit dem TGV – in Paris Teil des Nationalstolzes – in französischer Hand sogar aufgewertet würde. Das liefe den Plänen Krons zuwider, der keine Heirat mit Siemens will. Der von Montebourg ausgebremste Chef scheint so stark desavouiert, dass er womöglich bald seinen Hut nimmt.

Siemens hatte schon 2003 ein Auge auf Alstom geworfen; der damalige Staatspräsident Nicolas Sarkozy zog dann aber eine vorübergehende Teilverstaatlichung vor. Eine deutsch-französische Kooperation wäre auch heute nicht einfach. Der Pariser Ökonom Elie Cohen kritisierte Frankreichs Haltung gegenüber Deutschland: „Wir schließen mit unseren Nachbarn gleichberechtigte Einigungen, wenn wir wie bei Airbus die Stärkeren bleiben. Wenn wir weniger Gewicht auf die Waage bringen, verkaufen wir uns lieber an die Amerikaner.“ Kaesers Idee, die Energie Siemens und den Transport Alstom zuzuschlagen, umgeht diese psychologische Hürde.