Der US-Bundesstaat Utah ist gerade in den Schlagzeilen gewesen, weil er das Erschießen als Form der Todesstrafe wieder eingeführt hat. Grund genug, an den Fall Gary Gilmore zu erinnern, der 1977 nach zehnjähriger Pause als erster Amerikaner wieder hingerichtet wurde. Aufgeschrieben hat diese Geschichte sein Bruder Mikal Gilmore.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Es zerreißt einem das Herz, wenn man die Kinderbilder in diesem Buch sieht und sich vor Augen führt, was aus ihnen im späteren Leben wurde: Drogensüchtige, Gescheiterte, Gewohnheitsverbrecher, einer sogar Doppelmörder. Speziell um diesen Schwerkriminellen dreht sich das dringend einer Neuaflage bedürfende, da vergriffene „Das Herz der Gewalt“, das der amerikanische Autor Mikal Gilmore 1994 über seinen Bruder Gary geschrieben hat. Doch es ist auch die Geschichte einer Familie – und die Chronik eines Landes, dem der religiöse Fundamentalismus ebenso zusetzt wie die Gewalt (manchmal ist beides gar nicht voneinander zu trennen).

 

Die Gilmores sind eine Familie, wie es sie vielleicht viele gab in den 30er, 40er Jahren. Die Mutter stammt aus einem Mormonenhaus (eine ausführliche, kritische Schilderung dieser Religion nimmt einen großen Platz im Buch ein), der Vater ist Katholik mit einem Hang zu krummen Geschäften. Nicht nur seine ständigen Betrügereien belasten die Familie, die deshalb von einem Ort zum anderen ziehen muss. Er trägt auch ein dunkles Geheimnis mit sich herum, das sein Sohn Mikal trotz allen journalistischen Spürsinns nicht lüften konnte. Offenkundig hingegen ist die Brutalität des Alten, der regelmäßig Frau und Kinder verprügelt, oft aus nichtigen Anlässen.

Helles Köpfchen und künstlerisch begabt

In dieser Atmosphäre wachsen Frank jr., Gary, Gaylen und Mikal auf. Auch als der Vater mit einem seriösen Geschäftsmodell zu einem gewissen Wohlstand kommt, ändert sich daran nichts. Ohnehin ist vor allem Garys Weg da schon vorgezeichnet: das Kind hat zwar ein helles Köpfchen und ist künstlerisch begabt, doch es nutzt seine Intelligenz frühzeitig nur für allerlei illegale Tätigkeiten.

Gary kommt in Besserungsanstalten, später ins Gefängnis. Den größten Teil seines Lebens verbringt er hinter Gittern, ein menschliches Wesen, das gelernt hat, ungeheuer viel einzustecken – das aber auch ungeheures Leid über seine Umwelt bringt. „Kannst du dir vorstellen, wie es ist, Mutter eines geliebten Sohnes zu sein, der zwei anderen Müttern ihre Söhne wegnimmt“, fragt Bessie Gilmore an einer Stelle ihren Sohn Mikal.

Tod am 17. Januar 1977

Weltweit in die Schlagzeilen kommt Gary Gilmore, als er wegen dieser zwei Morde zum Tode verurteilt wird und selbst um die Exekution per Schusswaffe bittet – zu diesem Zeitpunkt war in den USA seit zehn Jahren niemand hingerichtet worden, weshalb seine Familie anfangs meinte, die Strafe werde bestimmt nicht vollstreckt. Doch am 17. Januar 1977 tritt Gilmore vor das fünfköpfige Erschießungskommando. Ehe fünf Kugeln seinen Oberkörper treffen (folglich war keineswegs eine der Waffen nur mit Platzpatronen geladen), sagt er: „Es wird immer einen Vater geben.“

PS.: Die Exekution mit Schusswaffen wurde im Mormonen-Staat bekanntlich wieder eingeführt, weil Utah kein Gift mehr geliefert bekommt. Doch sie hat durchaus einen religiösen Hintergrund: „Gary Gilmore war wohl der letzte Todeskandidat, der durch ein Erschießungskommando hingerichtet wurde, und der letzte, der die mormonische Idee der Blutsühne mit Hilfe der Gerichte verwirklichte“, schreibt Mikal Gilmore. Was für ein Irrtum.

Mikal Gilmore: „Das Herz der Gewalt“. True Crime. Aus dem Englischen von einem mehrköpfigen Team. Goldmann Verlag, München 1994. 446 Seiten. Derzeit nur antiquarisch zu beziehen: das muss sich ändern!