In unserer Serie über alte Berufe stellen wir den Töpfer Hartmut Allmendinger vor. Seine Werkstatt ist im Stuttgarter Westen.

S-West - Es ist warm, regelrecht kuschelig in der kleinen Werkstatt. Draußen fällt kühler Nieselregen auf die Bebelstraße, doch hier, ein wenig versteckt gelegen in einem Hinterhof, vertreibt heimeliges Licht die früh heraufziehende Dunkelheit. An der Wand ein Kruzifix, alte Ausstellungsplakate, eine Uhr. Die eine Ecke des Raumes wird von zwei wuchtigen Brennöfen eingenommen. Sie strahlen Hitze ab, obwohl sie längst ausgeschaltet sind. Hitze – und einen ganz besonderen Geruch. Es riecht angenehm erdig, wärmend – nach Ton. Ein wohltuender Geruch, der nicht nur in der Patina klebt, sondern längst in die Seele dieser Werkstatt übergegangen ist.

 

Abgesehen von seinen Lehrjahren hat er es noch nie über Botnang hinaus geschafft

Hartmut Allmendinger nimmt ihn wahrscheinlich gar nicht mehr wahr. Ihm gehört diese Werkstatt, er ist Töpfermeister aus Leidenschaft und untrennbar mit dem Westen verwurzelt. „Mal abgesehen von meinen Lehr- und Wanderjahren zwischen Besigheim, Landshut und Sardinien habe ich es noch nie weiter geschafft als einmal über den Botnanger Sattel“, erzählt er und blickt schmunzelnd über den Rand seiner goldenen Brille hinweg. „Und ich wüsste auch nicht, weshalb.“

Seit über 25 Jahren töpfert er hier an der Seite eines getreuen Mitarbeiters in ähnlichem Alter in seiner eigenen Werkstatt, schon vor vielen Jahren stand er als Lehrling hier am Brennofen. Insgesamt gehen mehr als 40 Jahre Töpferkunst auf sein Konto. Heute ist er 61 – und noch immer kann er sich keinen schöneren Beruf vorstellen als die Töpferei. „Ich wusste damals nur, dass ich etwas Kreatives machen möchte“, blickt er in die wilden Siebziger zurück. „Damals“, so merkt er an, „war Töpfern sehr populär, also versuchte ich es einfach mal damit – ohne groß darüber nachzudenken.“

Das Töpferhandwerk reicht viele Jahrtausende zurück

40 Jahre ist das her. Ein Klacks im Verhältnis zur Geschichte des Töpfereihandwerks. Das reicht viele tausende Jahre zurück, bis in die Steinzeit sogar. Allmendinger gefällt der Gedanke, mit seinen Händen eine ganz ähnliche Arbeit zu verrichten wie die Menschen in der, sagen wir, Antike. Dennoch ist er froh, dass man die Öfen heute elektrisch auf ihre Betriebstemperatur von weit über 1000 Grad bringen kann – und nicht, wie früher, von Hand anheizen muss. „Töpferei ist zudem bis heute ein internationales Handwerk, das bis auf wenige Ausnahmen auf der ganzen Welt ausgeübt wird. Das schafft eine Verwandtschaft zwischen allen Töpfern.“ Von denen gibt es nicht mehr allzu viele. Die, die diesen Traditionsberuf in Stuttgart professionell ausüben, kann Allmendinger an einer Hand abzählen, ausbildende Betriebe in Baden-Württemberg gibt es nur noch drei. Dafür ist der Draht untereinander umso besser: „Wir sind perfekt vernetzt und verstehen uns blendend“, bekräftigt Allmendinger und lächelt sein schelmenhaftes Lächeln. „Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir alle ein schräges Volk sind.“ Kann man bestätigen.

Seine Töpferei lebt von Stammkunden. Im vorderen Teil der Werkstatt ist ein kleines Ladengeschäft beherbergt, in dem Allmendinger seine Werke ausstellt und feilbietet. Wunderschöne Keramiken, Teller, Schalen und Behältnisse in satten, warmen Farben, elaboriert gearbeitet und formvollendet. Er verkauft ausschließlich auf Töpfermärkten und in seiner Werkstatt. „Ich mag es, meine Ware direkt in die Hände der Käufer zu geben. Deshalb halte ich mich auch aus dem ganzen Online-Handel raus.“

Sogar bei ihm zu Hause gibt es die ein oder andere Plastikbox

Noch vor einem Jahrhundert war Töpferware ein Alltagsgegenstand, der zuhauf in jedem Haushalt auftauchte. „Heute stehen in jeder Küche Plastikboxen, sogar bei mir gibt es die eine oder andere, wie ich zugeben muss. Der Bedarf“, so der Töpfermeister, „war früher entsprechend größer. Ja, in Budapest wurden Mineralwasserflaschen noch bis in die Dreißiger hinein handgedreht.“

Auch wenn das heute anders ist: An der Freude über einen fertigen Gegenstand hat sich nichts geändert. Bis es soweit ist, vergehen gut und gerne mal drei Wochen, wie Allmendinger erklärt, nachdem er an der Drehscheibe Platz genommen hat. Er nimmt einen Tonklumpen, wirft die Scheibe an, macht sich an die Arbeit. Nebenher legt er die Arbeitsschritte dar. „Ich beginne mit dem weichen Ton auf der Drehscheibe und forme ihn“, sagt er und seine Stimme wird automatisch langsamer, ruhiger. „Dann lasse ich die weiche Form stehen und trocknen, meist über Nacht. Am nächsten Tag ist sie lederhart, wie der Töpfer sagt – verarbeitungsfähig, aber etwas fester. Oberfläche glätten, dann muss sie wieder trocknen. Das Wasser muss raus, sonst springt der Gegenstand in der Hitze.“ Danach kommt das Werk in den Ofen, gut und gern bei 1000 Grad, wird einmal gebrannt und dann entsprechend weiterverarbeitet: Glasiert, dann bemalt. Dann wird es zum zweiten Mal gebrannt, diesmal auf noch höherer Temperatur, um „dicht“ zu brennen. Das sorgt für hohe Stabilität und Spülmaschinentauglichkeit. „Das gab es früher auch nicht.“ Gut, es gab ja auch keine Spülmaschinen, aber Allmendinger geht es hier wohl eher ums Prinzip.

Schaut man ihm bei der Arbeit zu, spürt man schnell, was ihm so gut daran gefällt. Seine Bewegungen sind ruhig, fließend, meditativ, seine Gesichtszüge entspannen sich sofort. „Geduld ist fast das wichtigste“, betont Allmendinger. „Sicher, auch ein gutes Formgefühl und eine ruhige Hand. Aber Geduld kommt zuerst.“ Es ist auch die Vielfältigkeit, die ihm bis heute an dieser Profession imponiert. „Ein Töpfer muss dreidimensional denken, muss aber auch Maler und mindestens ein halber Chemiker sein, unter anderem wegen der Zusammensetzung des Tons.“ Den lässt er nach seinem Spezialrezept im Westerwald herstellen, zwei Tonnen verbraucht er im Jahr. „Zudem ist jeder Gegenstand anders. Diese Vielfalt reizt mich bis heute.“

Er erhebt sich, wäscht sich die Hände, legt seine Schürze ab. Zufrieden stemmt er die Fäuste in die Hüften. „Mir war noch keinen einzigen Tag langweilig.“