Ensemble Recherche und Freiburger BarockConsort gehen im Stuttgarter Wizemann mit „In nomine“ auf Zeitreise.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Ab und zu muss jeder Mensch „mal raus“, wie es sprichwörtlich heißt: an die frische Luft, in eine andere Stadt, aufs Land oder unter (andere) Leute. Und der institutionalisierten Musik geht es ähnlich. Es tut ihr gut, wenn sie sich einmal nicht, wie üblich, in Kirchen festsetzt, wenn sie die angestammten, wohlbekannten Säle verlässt.

 

Auf der Suche nach neuen Formen (sprich: Freiheit) landete das Musikfest der Internationalen Bachakademie am Montagabend zum ersten Mal im Wizemann hinterm Pragsattel, wo sonst eher der Indie-Rock daheim ist, und sowohl die Zuhörer wie auch der Raum als solcher schienen von Anfang an gewillt, alle Herausforderung anzunehmen, die das Ensemble Recherche und das Freiburger Barock Consort bereithielten.

In György Kurtágs Bassklarinettensolo „In nomine all’onghorese“ (von Shizuyo Oka sportlich-federleicht aufgenommen), vibrierten die hauseigenen Röhren unter der Decke munter mit. Und so war die Stimmung in der Halle: Vom ersten Augenblick an waren alle dabei – und mochten am Schluss, nach immerhin 20 Stücken, nur ungern lassen von diesen Virtuosen, die aus einer hübschen Kleinigkeit ein Zeitalter übergreifendes, panoramatisches großes Ganzes gemacht hatten.

John Taverners „In nomine“ war eine Art „Yesterday“ seiner Zeit

Keimzelle des Konzerts nämlich war – nicht mehr und nicht weniger – ein auf vier Stimmen eingedampfter Satz aus einer Messe von John Taverner vom Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, der den Zeitgenossen und englischen Komponisten in der Nachfolge (Picforth, William Byrd, Christopher Tye, und, viel später, Henry Purcell) so gefiel, dass sie sich auf diese „In nomine“-Stelle kompositorisch immer wieder bezogen – eine Art „Yesterday“ oder „Out Of The Blue“ (Miles Davis) seiner Zeit. Danach fand die Praxis – mit Ausnahmen bei Richard Strauss und Peter Maxwell Davies – keine große Fortsetzung mehr, bis die Wittener Tage für neue Kammermusik sich 1999 gleich ein gutes Pfund neue Produktionen in diesem „In nomine“-Sinne bei den Zeitgenossen bestellten. Und alle lieferten: von Brian Ferneyhough bis Hans Zender. Wer spielte nicht gerne mit der Tradition? Auf der damaligen Mischung alter und neuer Kammermusik also fußte im Wesentlichen diese feine Stuttgarter Aufführung, und stellte wieder die Frage: Was ist denn nun alt? Und was ist neu?