Immer mehr Menschen aus der Türkei und anderen Ländern werden in Deutschland pflegebedürftig. Die Senioreneinrichtungen sind darauf aber nicht vorbereitet. Oft hapert es bereits an der Verständigung.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Nur die Familienmitglieder und alte Freunde habe seine Schwiegermutter noch als Gesprächspartner, darüber hinaus habe sie im Pflegeheim „zugemacht“, berichtet Ergun Can am Dienstagnachmittag im Treffpunkt Senior in der Volkshochschule. Aufgrund ihrer Demenz spreche sie nur noch Türkisch – doch in ihrer Muttersprache wird ihr seitens der Pfleger nicht begegnet. „Das tut schon weh, wenn man jemanden so zum Schweigen bringt“, sagt Can. Er ist nicht als SPD-Landtagskandidat gekommen, sondern um als Angehöriger über seine Erfahrungen zu berichten, wie es in Stuttgart um die Pflege für ältere türkeistämmige Senioren bestellt ist. Wie kultursensibel sind die Pflegeheime in Stuttgart? Die Einschätzung des Sozialdemokraten: „Es gibt noch sehr viel Nachholbedarf, die Einrichtungen sind darauf noch nicht eingestellt“, meint Can.

 

Eingeladen zu dem Fachgespräch über die gesundheitliche und pflegerische Versorgung der türkischstämmigen Senioren hatte das Deutsch-Türkische Forum, das ein von der Robert-Bosch-Stiftung gefördertes Projekt zu dem Thema aufgelegt hat: „KulTürÖffner“, so der Titel, sollte auch Wege aufweisen, wo die Entwicklung hingehen könnte. Wie können Pflegedienste befähigt werden, ihre Angebote zu öffnen? Damit hat sich das Projekt beschäftigt.

Die erste Gastarbeitergeneration ist im Rentenalter

Fest steht, dass der Anteil der türkischstämmigen Senioren, die auf Pflegedienste angewiesen sind oder in Pflegeeinrichtungen leben, zunehmen wird. Die erste Gastarbeitergeneration ist im besten Rentenalter. Die Projektleiterin von „KulTürÖffner“, Nesrin Doghan, hat zu Beginn in ihrem Vortrag auf sehr persönliche Weise auf den kulturellen Hintergrund dieser ersten Generation hingewiesen. Sie hat ein 50 Jahre altes Foto ihrer Familie aus Anatolien gezeigt: Darauf ist eine Großfamilie, die füreinander eingestanden ist, zu sehen.

Doch was ist, wenn diese Strukturen in Deutschland nicht mehr bestehen oder sich auflösen? Das deutsche Pflegesystem überfordert viele, weil sie es aus ihrer Heimat nicht kennen. Auch Einrichtungen wie Hospize gebe es in der Türkei so nicht, berichtet Nesrin Doghan. Als „zukunftsweisend“ stellt sie unter anderem ein Projekt in Zuffenhausen vor: Aktuell entsteht im Stadtteil Rot eine selbst organisierte Wohngemeinschaft für acht türkeistämmige Senioren. Angehörigen falle es so leichter, ihre Familienmitglieder jemand anderes anzuvertrauen.

Hoher Informationsbedarf bei Rentenansprüchen

Noch sei die Gesundheits- und Pflegeversorgung zu sehr auf die Mehrheitsbevölkerung ausgerichtet, ist ein Ergebnis der Masterarbeit der Studentin Sarah Parvin Schmidt, die ältere türkische Migranten aus Stuttgart befragt hat. Es gebe zudem einen hohen Informationsbedarf zum Thema Rentenansprüche und Pflegegeld für Menschen, die im Alter zwischen der Türkei und Deutschland pendeln.

Eigentlich ist das Thema kultursensible Pflege nicht neu, wie der Leiter der Abteilung Integration der Stadt, Gari Pavkovic, anmerkt. Seit 25 Jahren stehe es bereits in Stuttgart auf der Agenda. Doch ältere Menschen hätten keine gute Lobby. „Es braucht Zeit, es braucht einen langen Atem“, weiß Pavkovic, der sich Vorzeigeeinrichtungen im pflegerischen Bereich wünscht, „die wir noch nicht haben“. Was die interkulturelle Vielfalt in der Pflege anbelange, gebe es bei der Integrationshauptstadt Stuttgart noch „viel Luft nach oben“, so Pavkovic auf der Podiumsdiskussion im Rahmen des Fachtags.

Jodok Erb, Gesundheits- und Sozialplaner im Gesundheitsamt, sieht große Ressourcen in der vielfältigen Mitarbeiterschaft der Pflegeheime. Diese würden noch zu wenig genutzt, so Erb. Er wies darauf hin, dass die Mitarbeiter des Bürgerservices Leben im Alter gute Ansprechpartner für die Türkeipendler seien. Sie könnten bei Leistungsansprüchen weiter helfen.