Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Im oberschwäbischen Dürnau wohnen nur 400 Menschen, ein gutes Dutzend davon in einer Kooperative. Auf den ersten Blick unterscheidet sie sich nicht vom Rest des Dorfes: schöne alte Häuser, ein kleiner Aussiedlerhof, ein Lädchen gehören zu der Einrichtung. Doch die Kooperative lebt nicht hinter Rüschenvorhängen.

 

Seit 1980 wohnen mal mehr, mal weniger Menschen in der Gruppe. 15 Bewohner besitzen zurzeit mehrere Gebäude im Dorf, die sie über die Jahre hinweg gekauft haben. Gemeinsam betreiben sie eine Schreinerei, eine Druckerei, einen kleinen Verlag, ein Mietwagenunternehmen, ein Übersetzungsbüro und einen Aussiedlerhof mit zweieinhalb Hektar Land und einigen Tieren. An der neuen „Dorfuniversität“ können Gaststudenten von den Bewohnern Mäusejagd, Buchhaltung, Dänisch für Reisende oder Theaterimprovisation lernen.

Kooperative hat sich gut in die Dorfstruktur integriert

„Familie – was heißt das?“, fragt Rolf Reisiger, der die Kooperative mitbegründet hat, und zeichnet ein düsteres Bild von der Normalität: Familien bauten sich ein Haus, die Eltern seien Kontrollfreaks, die Kinder bekämen Bulimie. Alles gehe in die Brüche.

In der Kooperative sind über die Jahrzehnte hinweg vier Kinder aufgewachsen. Für sie gab es nicht nur Mama und Papa, sondern die Gemeinschaft. Jeden Tag nimmt sie das Abendbrot zusammen ein, auch im Sommer, wenn die Gruppe durch Ferienarbeiter deutlich anwächst.

„Es gab mal so einen Spruch: Wenn du wissen willst, wer du bist, musst du wissen, wonach dich dürstet“, sagt die 22-jährige Alia Ciobalu. Die selbstbewusste Idee in der Schellbergstraße: die Uni und das Lernen neu erfinden. Ob ein Abschluss dabei herauskommt oder alle nur fürs Leben gelernt haben, ist offen. Eine Stiftung finanziert das Haus. Zusammenzuwohnen sei ein Teil des kühnen Plans, erklärt Alia Ciobalu. Man tausche sich aus. Miete zahlt, wer flüssig ist. Symbolisch haben die Studenten im November ihre Immatrikulation gefeiert und sich gegenseitig eingeschrieben.

Jetzt geht das Lernen los. Jeden Morgen steht Martin Essig früh auf und geht nach draußen. Dort zeichnet er Pflanzen. „Ich beschäftige mich mit den Fragen: Welche Formen benutzt der Mensch zur Gestaltung und welche die Natur? Wie stellt sich der Mensch in die Welt hinein?“ Das könne in Richtung Architektur gehen.

Jeder Teilnehmer des Uniexperiments muss sich eine Studienfrage überlegen. Dann entscheidet er, wie er lernen möchte: mit Büchern oder Gesprächspartnern, Experten, Professoren oder in Seminaren.

Gitarre spielen, Gedichte lernen, Hosen nähen

Manche müssen sich erst ausprobieren, so wie Max Kitte. Früher arbeitete er als Elektriker, jetzt hat er angefangen, Gitarre zu spielen. Er hat ein Gedicht auswendig gelernt und versucht, sich eine Hose zu nähen. „Das gibt es doch nicht, dass man das nicht kann, oder?“, fragt er.

Die Studenten arbeiten auch mit anderen Gruppen zusammen, beispielsweise mit dem Campus A, einem anthroposophischen Bildungsprojekt. Alternative Initiativen gebe es viele, erzählt Alia Ciobalu, als Reaktion auf den Bologna-Prozess, Credit Points und Anwesenheitslisten.

Bildung – was ist das überhaupt? Jedenfalls etwas Essenzielles, glauben die Bewohner des Studentenhauses. Auch wenn sie vielleicht nie einen regulären Abschluss haben werden, nie in die Leistungsgesellschaft passen und mancher Nachbar am Ameisenberg den Eindruck hat: Die jungen Leute schaffen den ganzen Tag nichts.

Die Kooperative im oberschwäbischen Dürnau

Im oberschwäbischen Dürnau wohnen nur 400 Menschen, ein gutes Dutzend davon in einer Kooperative. Auf den ersten Blick unterscheidet sie sich nicht vom Rest des Dorfes: schöne alte Häuser, ein kleiner Aussiedlerhof, ein Lädchen gehören zu der Einrichtung. Doch die Kooperative lebt nicht hinter Rüschenvorhängen.

Seit 1980 wohnen mal mehr, mal weniger Menschen in der Gruppe. 15 Bewohner besitzen zurzeit mehrere Gebäude im Dorf, die sie über die Jahre hinweg gekauft haben. Gemeinsam betreiben sie eine Schreinerei, eine Druckerei, einen kleinen Verlag, ein Mietwagenunternehmen, ein Übersetzungsbüro und einen Aussiedlerhof mit zweieinhalb Hektar Land und einigen Tieren. An der neuen „Dorfuniversität“ können Gaststudenten von den Bewohnern Mäusejagd, Buchhaltung, Dänisch für Reisende oder Theaterimprovisation lernen.

Kooperative hat sich gut in die Dorfstruktur integriert

„Familie – was heißt das?“, fragt Rolf Reisiger, der die Kooperative mitbegründet hat, und zeichnet ein düsteres Bild von der Normalität: Familien bauten sich ein Haus, die Eltern seien Kontrollfreaks, die Kinder bekämen Bulimie. Alles gehe in die Brüche.

In der Kooperative sind über die Jahrzehnte hinweg vier Kinder aufgewachsen. Für sie gab es nicht nur Mama und Papa, sondern die Gemeinschaft. Jeden Tag nimmt sie das Abendbrot zusammen ein, auch im Sommer, wenn die Gruppe durch Ferienarbeiter deutlich anwächst.

Der Kooperative ist es vor mehr als 30 Jahren in Dürnau gelungen, sich innerhalb kürzester Zeit reibungslos in die Dorfstrukturen hineinzuschaffen. Aus Wuppertal sind die jungen Unangepassten angerollt, im Schlepptau hatten sie zwei Druckmaschinen. Sie sahen wohl nach Schaffern aus, vermutet Rolf Reisiger, deshalb hätten die Bewohner des Dorfs die Neuankömmlinge gleich akzeptiert. Komisch geschaut hätten sie anfangs schon. Heute ist Rolf Reisigers Sohn der Leiter der Musikkapelle im Dorf. Und die Kooperative hat einen so guten Draht in den Gemeinderat, dass sie zuletzt ein neu ausgewiesenes kleines Industriegebiet kaufen konnte.

Eheleute schlafen in getrennten Häusern

Johannes Loriz erinnert sich an die späten 1970er Jahre, daran, wie er herauswollte aus der „spießigen, katholischen Sozialstruktur“ in seiner Heimat Oberschwaben. Unendlich froh ist er dann gewesen, in Dürnau plötzlich Menschen zu treffen, die nicht Schwäbisch geschwätzt und nicht nur gearbeitet hätten, um sich davon einen neuen Mercedes zu kaufen, erzählt er.

Rolf Reisiger und seine Frau Ulrike haben Anfang der 80er Jahre geheiratet. Ulrike war schwanger und die Ehe eine praktische Konsequenz daraus, wie sie sagt. Der Bürokratie wegen. Heute lebt das Ehepaar Reisiger immer noch in der Kooperative zusammen. Zum Schlafen gehen sie abends in unterschiedliche Häuser. „Wir nerven uns sonst“, sagt Ulrike Reisiger.

Das Beginenhaus in Tübingen

Vor wenigen Jahren war das Gebäude in der Tübinger Mauerstraße noch ein altes, vergammeltes Haus mit einem Taubenschlag. Heute strahlt es in modernem Gelb, ein großes Schild weist auf die Bewohnerinnen hin: Beginenhaus Tübingen. Als die sieben älteren Frauen Ende 2012 in das Altstadtgebäude eingezogen sind, haben die Nachbarn nicht gleich gewusst, was das Beginenhaus sein soll. Es gab Gerüchte: Hier leben Nonnen, militante Lesben, Feministinnen. Manche sagten: „Das ist die Drachenburg!“

Die Bewohnerinnen fänden das witzig, erzählt Waltraud Wipper. Sie seien doch nur ein paar ältere Damen, die keine Lust mehr gehabt hatten auf ihre Einfamilienhäuser mit riesigen Gärten auf dem Land. Vor ihrem Umzug war jede Fahrt in die Stadt mit Ängsten verbunden: Ist es dunkel auf der Heimfahrt, sind die Straßen womöglich gefroren? Was, wenn das mit dem Autofahren irgendwann nicht mehr geht?

Jetzt wohnen die Frauen mitten in der Stadt. Und Waltraud Wippers Enkel können mit dem Fahrrad zur Oma kommen. Das Haus aus dem Jahr 1899 hat die Beginenstiftung gekauft. Es stand im Schlick der Ammer, zwei Millionen Euro sind darin vergraben. Die Frauen haben eine gemeinnützige GmbH gegründet, damit sie ihre Wohnidee ohne Investor umsetzen konnten. Jede Frau, die es sich leisten konnte, brachte sich mit einem zinslosen Darlehen ein. Jetzt sind alle sieben sozusagen Mieterinnen bei sich selbst – ein seltenes Modell. Im Beginenhaus hat jede ihre eigene voll ausgestattete Wohnung. Es gibt aber auch einen Gemeinschaftsraum, und die Waschmaschine wird geteilt. Drei Zimmer sind zurzeit an Studentinnen vermietet, zwei sind für Gäste reserviert.

Solidarität und Verantwortung füreinander

Über all dem steht die Idee der Beginen: Im Mittelalter waren das Frauen, die sich zusammenschlossen, um ein Leben in Gemeinschaft zu führen – als Alternative zum Leben als Ehefrau und Mutter oder zum Eintritt ins Kloster. Heute spielt Religion für die Gemeinschaft keine Rolle mehr. Werte wie Solidarität und Verantwortung füreinander schon, erklärt Ingrid Gerth, die Gründerin der Beginenstiftung. Jede muss im Haus Aufgaben übernehmen und sich kümmern. Alle sieben Frauen haben in sozialen Berufen gearbeitet, waren Ärztin, Krankenschwester oder Lehrerin.

Ob es gut geht, wenn man plötzlich, ohne einander zuvor gekannt zu haben, in einer Gruppe lebt, im Alter, mit all den Verschrobenheiten, die man sich über die Jahre vielleicht zugelegt hat? Es geht. Zumindest bis jetzt. Waltraud Wipper sagt: „Wenn eine mal ausrastet, sag ich sofort: ,Jetzt halt mal die Luft an!‘“