Österreich lebt zu einem Großteil von der Wasserkraft. Der Weg zur völligen Energie-Unabhängigkeit von anderen Ländern ist aber noch weit.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Wien - Am Wochenende hatte das Wiener "Ö-1-Journal" Daniel Cohn-Bendit als Radiogast, bevor später der Anti-Atom-Gipfel im Rathaus begann. Wie es so seine Art ist, redete der Grünen-Fraktionschef aus dem EU-Parlament sehr laut und ohne auch nur die leiseste Andeutung von Punkten und Kommata. Besonders hatte er es dabei auf Österreich abgesehen, wo seiner Meinung nach im Augenblick eine Art falscher Suppenküchengemütlichkeit aufkomme wegen der Atomkraft. Ja, ja, krähte Cohn-Bendit, zwar habe die Republik Zwentendorf, das von Bruno Kreisky eigenmächtig hingepflanzte AKW, in den Siebzigern nicht ans Netz gehen lassen, aber die Bereitschaft, echte Anti-Atom-Politik aufzubauen, sei doch sehr begrenzt gewesen. Damit habe das Land, Cohn-Bendit, sagte es wirklich so, "nicht gestrahlt".

 

Wer es schaffte, der Cohn-Bendit'schen Blendrhetorik einigermaßen lange zuzuhören, gewann den Eindruck, man könne dem Radio auch den Stecker ziehen, es liefe trotzdem einfach weiter. Aber so einfach ist es dann auch wieder nicht.

Überhaupt liegen die Dinge in allem, was Atom oder nicht Atom betrifft, europaweit etwas komplizierter, was man schon daran sieht, dass es eher nicht an Cohn-Bendit wäre, den Mund extravoll zu nehmen, schließlich waren die französischen Grünen qua Regierungsbeteiligung Ende der Neunziger auch zumindest mit zuständig für entsprechende Entscheidungen.

Enel investiert in den Ausbau der Kernenergie

Wie bewusst sich jedenfalls Österreich umgedreht hat, dass es keinesfalls einen Seligkeitsinselplatz reserviert hat, nur weil kein AKW läuft, erkennt im Lauf der Konferenz spätestens jeder, als wieder die Klage der Wiener gegen den slowakischen Atommeiler Mochovce zur Sprache kommt, anhängig beim Europäischen Gerichtshof. Mochovce, gerade einmal 160 Kilometer von Wien entfernt, arbeitet ohne Schutzhülle, produziert aber Strom, der wiederum hauptsächlich vom italienischen Großanbieter Enel verkauft wird. Dabei investiert Enel beim Ausbau zweier Reaktoren vor Ort in etwas, was Rom seit 1987 verboten hat: den Ausbau von Kernenergie. Fast alles hängt eben mit allem zusammen.

Eine gute Weile war man hier der Meinung - und der Umweltminister Niki Berlakovich ist es eigentlich heute noch -, es ginge in Richtung Energieautarkie voran wie anfangs in Güssing, einem hübsch gelegenen, aber auch irgendwie halb aus der Welt gefallen wirkenden Nest im südlichen Burgenland, zehn Kilometer noch von Ungarn entfernt. Als die Grenzen fielen, und der verkommene k.u.k Handel vollkapitalistisch in Schwung kam, hatte Güssing nichts davon. Was gab es hier schon, außer Holz. Aber Holz hatten die Ungarn auch.

Die Alternativenergien

Der gewitzte ÖVP-Bürgermeister Peter Vadasz, heute noch im Amt, verfiel deswegen auf die Idee, ein Fernwärmekraftwerk zu gründen, wenig später kam die Fotovoltaik dazu, damals eine neue Vorzeigetechnologie. EU-Gelder flossen, mehr als tausend Arbeitsplätze entstanden. Aus einem Dorf ohne jede Bedeutung wurde ein Muster mit internationalem Wert: Güssing stand für die Idee, dass Energieautarkie möglich sei für eine 4000-Seelen-Gemeinde. Noch heute kommen im Jahr fast 20000 Besucher aus aller Welt, um nach Alternativen zu suchen, und nach Fukushima werden es eher mehr werden. Was finden sie? Schnaufende Güssinger. Ökonomisch brauche Güssing, sagt der Bürgermeister, "einen langen Atem", doch lassen ihm die Zahlen wenig Luft. Güssing hat 13 Millionen Euro Schulden. Das Biomassekraftwerk, in dem 20000 Tonnen Holz verarbeitet werden, ist in Konkurs gegangen. Güssing lebt vom Konjunktiv, und real fast zur Hälfte von zugekaufter Energie.

Man muss aus der Tiefebene erst mal ganz hoch hinauf, nämlich auf fast 2000 Meter und zum Kärntner Kölbreinspeicher, um eine Ahnung zu bekommen, welche Kraft Österreich zu mittlerweile 60 Prozent energietechnisch am Leben hält: Wasser. Hier oben in den Hohen Tauern zum Beispiel, an der Kraftstation Galgenbichl, wird es in Schach gehalten von einer 200 Meter hohen Bogenmauer. 200 Millionen Kubikmeter Wasser "liegen" einem aufs Jahr verteilt zu Füßen, wie der Spezialist sagt, und liegen ist in diesem Fall ein direkt einleuchtendes Wort. Still ruht der See. Im Sommer trainiert der Deutschlandachter auf dem Speicher und rudert dahin. Wen es nach mehr Lebenskitzel verlangte, könnte sich aufs Bungeespringen die Mauer hinunter verlegen. Man geht ungern wieder weg.

"Letzter Unfall am 13. 3. 2011" leuchtet es rot und digital

Eine knappe Autostunde weiter, wieder im Tal Richtung Rottau und auf dem Weg zum Diplomingenieur Josef Oberlerchner, ist die Stimmung nur wenig aufgeregter als droben. Dann und wann ein Getränkelaster, Indoorklettern, Billa. Österreich, wie es nicht viel österreichischer geht. Gleich in der Eingangshalle vom Kraftwerk Rottau auf 598 Metern allerdings begegnen einem Wörter und Zahlen, die kurz erschauern lassen: "Letzter Unfall am 13. 3. 2011" leuchtet es rot und digital, aber da ist ja auch schon der Herr Oberlerchner, Anfang fünfzig und vom drahtigen Typus, der kann da nur lächeln: "Kleinigkeit", und da habe "Pflaster gereicht". Aber es sei natürlich immer gut, wenn man aufmerksam bleibe, deshalb die Anzeige.

In den Jahren, als Österreich sich allmählich auf die Atomkraft vorbereitet, also in den Siebzigern, sind die Speicherkraftwerke Malta und Österreichs größte Talsperre, die Kölnbreinsperre, gebaut worden, schließlich war Kärnten hier am regenreichsten. Oberlerchner stammt aus der Gegend, hat in Graz studiert und ist mit dem Gedanken aufgewachsen, dass man sich das Wasser gefällig machen muss, wenn man so will. Andererseits hat auch er mit der Atomkraft kokettiert, zumindest theoretisch. Noch im Studium ist er dann in Fessenheim am Oberrhein gewesen. "Da habe ich registriert, dass die ja ungeheuere Energie brauchen, um das System herunterzufahren." Das hat ihn nervös gemacht. Wasser ist vergleichsweise unkompliziert, und in Rottau hat man besonders gut gelernt, es zu lenken. In drei höher gelegenen Speichern wartet das gesammelte und aus diversen Flüssen der Umgebung teils hochgepumpte Material auf Abruf: ein Sechstel des Stroms, der aus Wasserkraft erzeugt wird, kommt in Österreich hierher.

Das Denken der Menschen hat sich gewandelt

Oberlerchner schwärmt ein bisschen von den naturgegebenen Vorteilen, die es zu nutzen gelte ("das Neigungsgefälle der Donau ist für das Land ein Segen"), beobachtet aber auch, dass sich das Verhältnis der Menschen zur Energieerzeugung in den vergangenen Jahren weg von einem Selbstverständlichkeitsdenken entwickelt hat. Definitiv "wollten alle weg vom Öl".

Mittlerweile sind die anfangs beargwöhnten Solardächer und Pelletsheizungen fast schon Standard geworden. Auch gibt das Werk seinen Mitarbeitern keinen Nachlass mehr auf Strom, mit dem es seit vielen Jahren europaweit handelt. Energie ist, auch wenn sie wie rings ums Maltatal schier unerschöpflich zur Verfügung zu stehen scheint, eben etwas Kostbares geworden. Andererseits, sagt Oberlerchner, könne man gerade in dieser Gegend "kaum auf sein Auto verzichten - und immobil wollen die Leute zuallerletzt sein".

Ein "Supergau" am Staudamm ist fast unmöglich

Im zweiten Stock des Rottauer Haupthauses der Austrian Hydro Power liegt die Zentrale. Bildschirm über Bildschirm, viele Kurven, viele Zahlen, und natürlich kann die Frage nicht ausbleiben, was passieren würde, wenn sich der größte anzunehmende Unfall am Kölnbreinspeicher ereignete. "Überschwemmung", sagt Josef Oberlerchner lakonisch, "aber da müssten schon viele Dinge zusammenkommen". Der diensthabende Ingenieur lacht ein wenig und ergänzt: "Angriff aus dem Weltall."

Die Wasserwerker von Rottau aber wahren ein geerdetes Verhältnis zu dem, was sie tun. Auf dem Tisch liegt vor allen Computern eine dicke Kladde, die täglich gefüllt wird. Wer die Aufsicht hat, gibt sich schriftlich Rechnung über jeden Handgriff. "Nicht vorgeschrieben", sagt Josef Oberlerchner, "aber schon ganz gut." Der Mensch hat die Natur auch hier nur vermeintlich in der Hand. Aber er schaut sich wenigstens dauernd auf die Finger dabei.

Ein Land ohne Atomkraft

Vergleich Österreich ist mit einem Anteil der erneuerbaren Energiequellen an der Inlandsstromerzeugung von rund 69 Prozent Spitze in der EU. Das hat mit der günstigen Topografie und vor allem mit der Nutzung der Wasserkraft zu tun: 631 Laufwasserkraftwerke, 106 Speicherkraftwerke und 2400 Kleinwasserkraftwerke gibt es. Mit 60,7 Prozent (in Deutschland sieben Prozent) leistet die Wasserkraft den höchsten Beitrag.

Leistung In verbrauchsarmen Zeiten wird Wasser in die Speicher gepumpt. Auf dem Weg nach unten durchläuft das Wasser dreimal Turbinen, die kinetische Energie in elektrische umwandeln. An der Kölnbreinsperre liegt die Pumpleistung bei 406 Megawatt, die Turbinenleistung bei 891 Megawatt.