Der Landwirt Tony Rinaudo erhält den Alternativen Nobelpreis für eine revolutionäre Entdeckung. Ausgerechnet in den trockenen Böden Afrikas fand er die Lösung vieler Probleme.

Johannesburg - Tony Rinaudo ist die Anspannung anzumerken. Auf dem Flug von der nigrischen Hauptstadt Niamey in die 600 Kilometer weiter östlich gelegene Provinzstadt Maradi nestelt der australische Diplom-Landwirt an seinem Rucksack herum, schaut nervös aus dem Fenster der UN-Maschine, schließt die Augen: Was wird er vorfinden, wenn er nach Jahren wieder in seiner früheren Wirkungsstätte landet? Wird seine Arbeit Früchte getragen haben? Was werden seine damaligen Freunde, die nigrischen Kleinbauern, sagen? Und wird auch der Journalist, der ihn heute begleitet, von dem Fortschritt überzeugt sein? Endlich sucht der ehemalige Missionar Zuflucht, wo er immer Zuflucht findet: Er betet.

 

Nach der Ankunft in Maradi stellen sich Rinaudos Bedenken schnell als ungerechtfertigt heraus. Wo auch immer der 61-Jährige auftaucht, wird er als Freund begrüßt. „Tony, Tony!“, rufen Dorfbewohner, sobald sie den inzwischen leicht ergrauten Weißen zu Gesicht bekommen. Kaum ein über 40-Jähriger, der keine Geschichte über den „Waldmacher“ zu erzählen weiß, mancher verdankt ihm sogar seinen Vornamen. Sule Lebo aus Dan Indo will die Hand seines einstigen Weggenossen gar nicht mehr loslassen: Der Dorfälteste redet in der westafrikanischen Verkehrssprache Hausa mit seinem Besucher, die dieser fließend beherrscht. „Er spricht noch immer Hausa wie ein Esel aus Kano“, lacht Lebo und meint das als Kompliment.

Die Sahelzone galt als einer der schlimmsten Brennpunkte

Die letzte Regensaison sei verdammt spärlich ausgefallen, sagt der Dorfälteste: Und trotzdem habe in Dan Indo niemand Hunger gelitten. Inzwischen seien die Kleinfarmer breiter aufgestellt, erklärt der Bürgermeister: Wenn die Hirse-Ernte mal wieder von einer Dürre dezimiert worden sei, könnten sich die Dorfbewohner inzwischen vom Vieh- oder Holzverkauf über Wasser halten. Dank Tony gehe es Dan Indo heute selbst in schlechten Zeiten besser als Anfang der 1980er Jahre, als der Agronom erstmals hierherkam. Damals habe zwischen seinem Haus und der rund zwei Kilometer entfernten Teerstraße kaum noch ein Baum gestanden, fügt Lebo hinzu: Heute stehen Hunderte der Schattenspender über die Felder verteilt.

Als der 23-jährige Universitätsabgänger Tony Rinaudo gemeinsam mit seiner Frau Liz 1980 von der internationalen Missionsgesellschaft Serving in Mission (SIM) in den Niger entsandt wurde, galt die Sahelzone als einer der schlimmsten Brennpunkte der Welt: Die Ausbreitung der Sahara gefährdete in den Wüste-Anliegerstaaten Millionen von Menschen. Der Baumbestand ging drastisch zurück, der Grundwasserspiegel sank, die Ernten wurden immer dürftiger, eine Hungersnot jagte die nächste.

Sisyphusarbeit mit Setzlingen

Die Missionsgesellschaft beauftragte Rinaudo, der Ausbreitung der Wüste durch das Pflanzen neuer Bäume Einhalt zu gebieten: Von der Missionsstation in Maradi machte sich der Sohn eines australischen Automechanikers Tag für Tag auf, um Setzlinge in den heißen Sand zu pflanzen. Eine Sisyphusarbeit: Die meisten Setzlinge gingen gleich wieder ein, wurden von heißen Sandstürmen begraben oder von Ziegen gefressen. Von den 60 Millionen jungen Bäumen, die Schätzungen zufolge in den 1980er Jahren allein im Niger gepflanzt wurden, überlebte nicht einmal ein Fünftel.

Als Rinaudo eines Tages wieder mit seinem Pick-up voller Setzlinge unterwegs war und Luft aus den Reifen ließ, um besser durch den Sand zu kommen, fiel sein Blick auf die Triebe, die überall aus dem trockenen Boden sprossen, und die er bisher für zähes Unkraut gehalten hatte. Er fand heraus, dass es sich dabei um die Triebe gefällter Bäume handelte. Recherchen ergaben, dass sich unter dem Sand der Sahelzone ein riesiges Netzwerk von Wurzeln befand: Ein unterirdischer Wald, der selbst nach dem Verschwinden der Bäume im Verborgenen weiterlebte.

Dem vorhandenen Wurzelwerk eine Chance geben

Seine Entdeckung stellte die Tätigkeit des Ausgesandten vom Kopf auf die Füße. Das Pflanzen immer neuer Setzlinge, die ohnehin fast alle eingingen, war gar nicht nötig: Man musste nur dem vorhandenen Wurzelnetzwerk eine Chance geben. „Statt Millionen von Dollar braucht man lediglich ein Taschenmesser zur Beschneidung der Triebe“, sagt Rinaudo. Das kam in der Wiederaufforstungswissenschaft einer kopernikanischen Wende gleich: Plötzlich war die Begrünung von Millionen Hektar Land in allen Teilen der Welt ohne große finanzielle oder übermenschliche Anstrengung möglich.

Die nigrischen Kleinfarmer waren allerdings skeptisch. Schließlich hatten ihnen die Kolonialherren eingebläut, möglichst große baumfreie Flächen zu schaffen, um ihre Felder besser mit Ochsenpflügen oder Traktoren bewirtschaften zu können; außerdem glaubte jeder, dass Bäume den mühsam gepflanzten Feldfrüchten Nährstoffe und Wasser wegnähmen. Doch Rinaudo war überzeugt davon, dass Bäume in der Landwirtschaft eine wesentlich positivere Rolle spielen: Sie spenden Schatten, brechen zerstörerische Sandstürme und geben teilweise sogar Nitrat als Dünger ab. Sie können neben essbaren Früchten auch Blätter, Zweige oder Holz liefern. „Bäume sind wie Sparkonten, die die Natur den Bauern zur Verfügung stellt“, überzeugte Rinaudo die Skeptiker.

Rinaudos Methode verbreitet sich rasant

Schon bald folgten Hunderte von Bauern seiner Methode: „Farmer Managed Natural Regeneration“ (FMNR). Mit Erfolg. Habe er einst nur mit einem Ertrag von 150 Kilogramm Hirse pro Hektar rechnen können, fahre er inzwischen auf derselben Fläche bis zu 500 Kilo ein, sagt Dan Indos Dorfältester Lebo: Heute kann er seine 17 Kinder zur Schule schicken. Auch nach Rinaudos Abreise hielten Lebo und seine Kollegen an der Errungenschaft des Landwirtschaftlers fest: Anhand von Satellitenaufnahmen eruierte der Geograf Chris Reij, dass in den vergangenen drei Jahrzehnten allein im Niger mehr als sieben Millionen Hektar Land wiederbewaldet wurden – eine Fläche von der Größe Irlands.

Seit seiner Rückkehr nach Australien setzt sich Rinaudo als Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Vision für die Verbreitung der FMNR-Methode ein: Allein in Afrika wird sie inzwischen in mehr als 20 Staaten praktiziert. Rinaudo machte auch Kleinbauern in Birma, Indonesien oder den Philippinen damit vertraut: Es gebe kaum ein Land in der Welt, in der die Wiederaufforstung nicht nötig und möglich sei, sagt der Australier.

Auf dem Rückflug nach Niamey macht der 61-Jährige einen entspannten Eindruck: Der Besuch in Maradi hat seine Zweifel ausgeräumt. Er ist beeindruckt, dass sich die FMNR-Methode inzwischen auch ohne sein Zutun ausbreitet. Dass seine Entdeckung zu einer „Bewegung“ geworden sei, bedeute aber noch nicht, dass sie überall in der Welt ausreichend Resonanz gefunden habe. Dabei wird dem Waldmacher nun die Auszeichnung mit dem Alternativen Nobelpreis helfen.