Die Tiny-House-Bewegung propagiert ein einfacheres Leben und Selbstgenügsamkeit. Wie es sich auf 5,3 Quadratmetern gut wohnen lässt, will ein Projekt in Nürtingen zeigen.

Nürtingen - Weniger ist mehr – diesem Motto folgend propagiert die in den USA verankerte Tiny-House-Bewegung den Bau von Minihäusern. Die Idee einer platzsparenden und günstigen Alternative zum herkömmlichen Einfamilienhaus findet auch hierzulande ihre Anhänger. Ein solches Minihaus entsteht derzeit im Hof der Nürtinger Alten Seegrasspinnerei. Die Jugendwerkstatt in dem Kulturzentrum ertüchtigt dafür mit Unterstützung von gambischen Flüchtlingen einen rund 80 Jahre alten Bauwagen.

 

In dem Bett haben bis zu zwei Personen Platz

Eine vierköpfige Familie bekommt man in dem Häuschen zwar nicht unter. Aber der Platz von 5,3 Quadratmetern reicht immerhin für den Einbau einer kleinen Küche mit Spüle und Zwei-Flammen-Gasherd, einen Tisch zum Ausklappen und zwei Stühlen aus. Ralf Kuder, unter dessen Anleitung die Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 17 bis 28 Jahren das Wohngefährt richten, ist sich zwar noch nicht ganz sicher: möglich wäre es aber schon, dass auch noch ein Ofen zum Heizen hinzukommt. Ein Rauchabzug ist jedenfalls schon vorbereitet.

Die elektrischen Leitungen sind gelegt und der Raum ist mit Holz verkleidet. Den Hohlraum zwischen der Innenverkleidung und der Außenwand hat das Projektteam zur Dämmung mit Zeitungspapier ausgefüllt. Derzeit ist die Werkstatt am Dach zugange. Im Dachspitz wird ein knapp 1,60 Meter breites Bett Platz finden, in dem bis zu zwei Personen schlafen können. So bietet das Nürtinger Tiny House so etwas wie ein Zweimann-Zelt-Feeling.

Hierzulande steckt die Bewegung noch in den Kinderschuhen

Die neue Wohnform in Mini- bis Kleinhäusern mit einem Platzangebot von bis zu 55 Quadratmetern steht in Deutschland noch am Anfang. Die Idee, ein Tiny House in Nürtingen zu bauen, speiste Stefanie Wetzke von der örtlichen Hochschule in das Forum zukunftsfähiges Nürtingen ein. Das ressourcen- und flächenschonende Wohnen im Tiny House ist eines von mehreren Projekten, mit denen das Forum Zeichen für einen nachhaltigen, sozial verträglichen und ökologischen Lebensstil setzt.

Mitte November gab es an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) eine zweitägige Vortragsreihe „Wie wollen wir wohnen/leben?“ Dabei schilderte unter anderem der HfWU-Professor Christian Arndt seine Eindrücke von der vielfältigen Tiny-House-Bewegung in Portland (USA). Mit der Wohnfläche eines Zimmers streben die Bewohner der Minihäuser ein einfacheres Leben, Umweltbewusstsein, Selbstgenügsamkeit und ein soziales Bewusstsein an.

Künstler auf Besuch könnten in dem Tiny House wohnen

Bei der Vortragsreihe sprach auch der Berliner Architekt Van Bo Le-Mentzel. Der Gründer der „Tiny House University“ hat die Pläne für den Umbau des ausrangierten Nürtinger Bauwagens ausgearbeitet. Schon am zweiten Tag der Vortragsreihe begannen dann die Umbauarbeiten.

Für die Nutzung des Nürtinger Minihauses gibt es einige Ideen. So könnte der Bauwagen Künstlern auf Besuch als Wohnstätte dienen. Angedacht ist auch, das Häuschen auf Rädern für Bürgerdialoge in Nürtinger Stadtteilen einzusetzen.

Plochingen ist der Zeit voraus

Pionier
Am Hermannsberg in Plochingen stehen zwei denkmalgeschützte Häuser mit einer Wohnfläche von gerade einmal 25 Quadratmetern. Gebaut hat sie der Architekt Hans Weisen in den Jahren 1927 und 1942. In einem der Häuser wohnte der Architekt selbst. Jeder Winkel ist ausgenutzt. So ist beispielsweise die Badewanne in der Wohnküche in den Boden eingelassen und wird bei Nichtbenutzung abgedeckt.

Ideenexport
„Ich spare 50 Prozent Raum, 50 Prozent Baukosten, 50 Prozent Heizstoffe und 50 Prozent der Hausarbeitszeit“, sagte Hans Weisen, der die Kleinwohnungsbaugesellschaft „Schaffende Häuser“ gründete und die gleichnamige Zeitschrift herausgab. Weisens Ideen wurden auch in Fachzeitschriften in den USA nachgedruckt.